Hausärzte in Schleswig-Holstein kritisieren AOK-Pflegereport
AOK-Chef Tom Ackermann spricht bei der Vorstellung des Pflegereports Mitte September davon, dass auch Schleswig-Holstein ein "ernsthaftes Versorgungsproblem" bei Schlaf-und Beruhigungsmitteln hat. Doch der Hausärzteverband im Land hält die Zahlen für nicht aussagekräftig.
Laut der AOK-Studie erhalten 6,6 Prozent der Heimbewohner in Schleswig-Holstein eine "problematische Dauerversorgung" von Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Damit liegt der Norden unter dem bundesweiten Durchschnitt von 7,6 Prozent. Die dauerhafte Einnahme von Schlaf- und Beruhigungsmitteln birgt laut AOK erhebliche Risiken und kann zu einer deutlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen. Es drohen demnach unter anderem Abhängigkeit, erhöhte Sturzgefahr und die Entstehung von Angstgefühlen, Depressionen und Aggressionen. Die Auswertung der Verordnungsdaten macht nach Ansicht der AOK deutlich, dass hier ein ernsthaftes Versorgungsproblem besteht.
Ein ähnliches Bild zeigt sich im Norden bei der Dauerverordnung von Antipsychotika bei Demenzkranken. Auch hier liegt Schleswig-Holstein mit 8,8 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt von 9,5 Prozent.
Große regionale Unterschiede
Mit Blick auf die Kreise variieren die Ergebnisse der AOK-Studie erheblich: So liegt die Dauerversorgung mit Medikamenten in Flensburg bei 11 Prozent - in Pinneberg bei 3,6 Prozent. Dem Vorsitzenden des Hausärzteverbands Schleswig-Holstein, Jens Lassen, sind die Zahlen nicht detailliert genug. "Es gibt verschiedene vollstationäre Pflegereinrichtungen. In psychiatrischen Einrichtungen werden zum Beispiel tendenziell mehr Schlaf- und Beruhigungsmittel verordnet, als in Heimen ohne diesen Schwerpunkt. Welche Art von Heimen es in welchen Kreisen gibt, geht nicht aus den Zahlen hervor", meint Lassen. Rückschlüsse auf das generelle Verordnungsverhalten von Ärzten ließen sich deshalb nicht ableiten.
Lassen: Dauertherapie manchmal notwendig
Im Einzelfall könne eine Dauermedikation durchaus auch notwendig sein. Natürlich würde man sich wünschen, dass der Anteil der Menschen im Pflegeheim, der mit Schlaf- oder Beruhigungsmitteln behandelt wird, bei null Prozent liege, erklärt Lassen. "Aber so ein Wunsch geht schlicht und einfach an der medizinischen Realität vorbei. Und es gibt Krankheiten bei älteren Menschen, die eine solche Behandlung erforderlich machen." Eine Dauermedikation werde im Einzelfall immer sehr gründlich abgewogen. Sie sei nicht problematisch. "Sie ist schlicht und einfach eine medizinische Notwendigkeit."
Patientenberater: Ärzten geht Überblick verloren
Die Unabhängige Patientenberatung Schleswig-Holstein berät nach eigenen Angaben Angehörige eher selten zu Medikationsproblemen in Pflegeheimen. Sie kritisiert aber, dass bei Ärzten oft der Überblick bei der Gesamtmedikation verloren ginge. Und zwar genau dann, wenn Patienten von mehreren Ärzten betreut werden. Bei der Medikation müssten sich Ärzte, Apotheker und Pflegekräfte gut abstimmen und das funktioniere bei wechselnden Akteuren schlechter. Nach Ansicht der Unabhängigen Patientenberatung seien die regionalen Unterschiede so erklärbar.
Die Ärztekammer meint, dass wegen des Fachkräftemangels weniger Zeit bleibe, Patienten zu beruhigen. Das geschehe dann über Medikamente.