Immer mehr Rentner in Schleswig-Holstein beziehen Grundsicherung
Zehntausende Schleswig-Holsteiner sind zusätzlich auf finanzielle Hilfe vom Staat angewiesen, weil die Rente alleine nicht reicht. Die Zahl der Betroffenen ist mit den Jahren gestiegen.
In den vergangenen knapp 20 Jahren waren in Schleswig-Holstein noch nie so viele Menschen im Alter von mindestens 65 Jahren auf Grundsicherung angewiesen wie heute. Laut Statistikamt Nord stieg die Zahl 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 4,12 Prozent auf mehr als 25.600 Menschen. "Das macht uns Sorgen", sagt der Geschäftsführer des Sozialverbands Schleswig-Holstein, Tim Holborn. "Wir spüren das natürlich auch in unseren 16 Beratungsstellen im Land, dass der Druck auf die Menschen größer wird, die Schwierigkeiten haben, ihr Existenzminimum zusammenzubekommen." Im langfristigen Vergleich gibt es laut Verband Zuwächse von 135 Prozent von Menschen, die Grundsicherung im Alter in Schleswig-Holstein erhalten.
Sozialleistungen abhängig von Freibetragsregelung
Die Zahlen haben sich demnach also mehr als verdoppelt. Allerdings ist dabei auch eine Gesetzesänderung entscheidend. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung (DRV) gibt es seit 2021 eine Freibetragsregelung. Wer mindestens 33 Jahre Beiträge für Beschäftigung, Erziehung oder Pflege geleistet, aber besonders wenig verdient hat, der kann seit etwa dreieinhalb Jahren einen zusätzlichen Freibetrag geltend machen, wenn er Grundsicherung beantragen will. Sprich: Durch den Freibetrag wird das tatsächliche Monatseinkommen heruntergerechnet. Und je weniger Einkommen man in der Tasche hat, desto eher besteht die Möglichkeit, die staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Anspruch auf Grundsicherung: Weniger als 1.062 Euro im Geldbeutel
Der Freibetrag, der nicht angerechnet wird, ist tatsächlich gestiegen - laut Holborn von 230 Euro in 2021 auf rund 280 Euro in 2024. Deshalb gibt es also auch mehr Menschen, die Grundsicherung beantragen können. Wer genau hat eigentlich Anspruch? Als einfache Faustregel gilt laut DRV: "Wenn Ihr gesamtes Einkommen unter 1.062 Euro liegt, sollten Sie prüfen lassen, ob Sie Anspruch auf Grundsicherung haben." Ein Rentnerin in Schleswig-Holstein hat im Durchschnitt laut Sozialverband 800 Euro im Monat, ein Rentner 1.200 bis 1.300 Euro.
Aus Scham lieber doch nicht zum Amt
Maximal können die Bürger laut DRV 563 Euro an Grundsicherungsleistungen erhalten - das ist natürlich abhängig von der jeweiligen Rente. Dazu kommt Unterstützung für Miete, Nebenkostung und Heizung. Doch weiß das auch jeder in Schleswig-Holstein? Verschiedene Verbände und auch die Deutsche Rentenversicherung versuchen regelmäßig, die Menschen über diese Unterstützungsgelder zu informieren. Aber oft spielt auch die Scham eine Rolle, weiß Tim Holborn: "Menschen, die eine lebenslange Erwerbsbiographie haben, aber zum Beispiel Familienarbeit geleistet haben, stehen am Ende ihres Berufslebens da, müssen eigentlich den Gang zur Behörde antreten - und das scheuen viele auch aus Scham."
Komplizierte Anträge: Seniorenrat gibt Hilfe
Genau so sieht es auch der Landesseniorenrat in Schleswig-Holstein. Der Vorsitzende Peter Schildwächter ist sich sicher, dass es in Schleswig-Holstein eigentlich noch viel mehr Rentner gibt, die eigentlich Anspruch hätten, aber die Generation 80 Plus habe eben diese Schamgefühle: "Menschen sagen: 'Nee, will ich nicht. Ich will keine Almosen." Die Älteren hätten es einfach nicht gelernt zu sagen, dass sie diesen Anspruch haben. "Sie fühlen sich immer noch als Bittsteller." Ein zusätzliches Problem: Oftmals mangelt es laut Schildwächter an Bildung, um die teils komplizierten Anträge auszufüllen. Der Seniorenrat und andere Organisationen im Land würden dabei aber helfen.
Antrag abgeben beim Sozialamt oder bei der DRV
Wer Grundsicherung beantragen will, kann sich auf der Seite der Deutschen Rentenversicherung schlau machen. Dort finden die Antragsteller die notwendigen Formulare. Dort ist auch nachzulesen, wie sich die Grundsicherung berechnet - was zum Beispiel als Einkommen zählt und was nicht. Der Antrag kann bei der Deutschen Rentenversicherung eingereicht werden, wo er weitergeleitet wird. Der Antrag kann auch direkt beim Sozialamt, Bereich Grundsicherung - abgegeben werden. Eine Zahlung erfolgt grundsätzlich für zwölf Monate.
Bundesweiter Anstieg der Zahlen - Kritik von Wagenknecht
Auch bundesweit steigen die Zahlen an. Ende des ersten Halbjahres 2024 bezogen bundesweit 728.990 Menschen die sogenannte Grundsicherung im Alter - ein Anstieg um 5,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das geht aus einer Antwort des Statistischen Bundesamts auf eine Anfrage des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hervor. Wagenknecht sagte: "Der neue Rekord bei der Altersarmut ist der nächste Offenbarungseid für die Ampel."
Sozialverband SH: Auch Selbstständige sollten in Rentenkasse einzahlen
Die neue Negativentwicklung müsse endlich gestoppt werden, meint auch der Sozialverband Schleswig-Holstein. Geschäftsführer Tim Holborn forderte, das Rentenniveau anzuheben. Um gegenzusteuern muss aus Sicht des Verbands mehr Geld in die gesetzliche Rentenkasse fließen - zum Beispiel, indem auch Selbstständige und Beamte künftig verpflichtend einzahlen müssen.