Geflüchtete in Schleswig-Holstein: Zwischenstopp in Ratzeburg
700 Geflüchtete hat Schleswig-Holstein dem Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge zufolge innerhalb einer Woche aufgenommen. Knapp 100 davon sind in der Kreisstadt Ratzeburg im Kreis Herzogtum Lauenburg gelandet.
Schleswig-Holstein liegt somit über den Größenordnungen, die bundesweit vereinbart waren. Deshalb kommen immer mehr Kommunen an ihre Grenzen, wenn es um die Unterbringung und Betreuung der Geflüchteten geht. Das ist in Ratzeburg nicht anders. Und bis Ende Oktober sollen hier noch weitere 181 Geflüchtete ankommen.
"Alles, was ich hatte, wurde zerstört"
Eine der nun Angekommenen ist Lin. Die 16-Jährige spricht gutes Englisch - sie kommt ursprünglich aus Syrien. Vor zehn Jahren war sie wegen des Krieges mit ihrer Familie in die Türkei ausgewandert. Dort war sie vom schweren Erdbeben betroffen gewesen - vor Kurzem hat sich die fünfköpfige Familie auf den Weg nach Deutschland gemacht. "Ich hoffe hier auf eine glückliche Zukunft. Alles, was ich in der Türkei hatte, wurde durch das Erdbeben zerstört. Ich habe zwei Monate in der Schule geschlafen. Aber ich hatte schon lange keine Schule mehr", berichtet sie.
Die Familie gehört zu den knapp 100 Geflüchteten, die allein in dieser Woche in Ratzeburg angekommen sind. Alle haben sie einen langen Weg hinter sich - denn die Ausländerbehörde in Ratzeburg ist in der Regel bereits der dritte Stopp der Geflüchteten, bevor sie auf die einzelnen Gemeinden verteilt werden. Ihre Erstaufnahme in Schleswig-Holstein war in Neumünster. Von dort werden Geflüchtete an die Landesunterkünfte in Boostedt, Rendsburg, Bad Segeberg, Seeth und auch in Neumünster selbst weiter verteilt. Für Lin und ihre Familie geht es über Ratzeburg schließlich nach Geesthacht an der Elbe.
Noch ist es ruhig - doch das wird sich ändern
Lin erzählt, dass sich viele syrische Familien ein Leben in der Türkei aufbauen wollten. Doch sie habe es vor Ort als schwer empfunden - sie habe sich nicht willkommen gefühlt. In Ratzeburg kann die Familie sich nur kurz ausruhen. Ein Fahrer bringt sie eine halbe Stunde später in die Flüchtlingsunterkunft nach Geesthacht.
Die Ausländerbehörde verteilt sie und die anderen 64 Geflüchteten auf insgesamt sechs Gemeinden. Dort wohnen sie in größeren Unterkünften, mit viel Glück in Wohnungen oder in der 20 Kilometer entfernten Gemeinschaftsunterkunft in Gudow. Dort war es die letzten Tage noch ruhig - doch das wird sich bald schon ändern. In den nächsten Tagen sollen weitere 40 Geflüchtete ankommen.
Wohlfühlen und in Ruhe ankommen
Die Gemeinschaftsunterkunft gibt es schon seit den 90er-Jahren - seit 2016 wird sie vom Diakonischen Werk Herzogtum Lauenburg im Auftrag der Kreisverwaltung betrieben. Geschäftsführer Ulf Kassebaum erzählt, wie wichtig es ihm sei, dass die Geflüchteten sich in Gudow wohlfühlen und in Ruhe ankommen dürfen.
"Wir müssen uns vorstellen, dass die Menschen wirklich anstrengende, schwierige Geschichten mitbringen und oftmals gar nicht genau wissen, wohin die Reise geht. Insofern ist es gut, einmal ein bisschen durchatmen zu können. Und dafür bietet Gudow die ideale Gelegenheit", sagt er. Doch die Gemeinschaftsunterkunft ist auch wieder nur eine Zwischenstation - die Menschen bleiben dort nicht länger als 6-8 Wochen.
"Den Oktober schaffen wir noch, dann ist es voll"
Der Landrat des Kreises Herzogtum Lauenburg, Christoph Mager, ist froh über diese Einrichtung. Sie dient als sogenannter "Puffer", wo Menschen flexibel einquartiert werden können. Unter anderem, weil fertig bezogene Betten bereitstehen. Langfristiges Ziel sei es, die Menschen dezentral in einzelnen Wohnungen unterzubringen.
Doch genau hier liege das Problem - es gäbe einfach zu wenig passenden Wohnraum. "Wenn man einfach die Zahlen nebeneinanderlegt, was wir haben und was wir erwarten, dann könnte man rechnerisch sagen: Den Oktober, den schaffen wir noch. Doch dann ist es voll." Mager erklärt weiter, dass die Städte und Ämter weiterhin versuchen, Wohnraum zu akquirieren. Jedoch gelingt das nur selten.
Landrat warnt vor Unterbringung in Sporthallen
Der Landrat wünscht sich vom Land Schleswig-Holstein insgesamt mehr Planbarkeit und die Rückkehr zur vierwöchigen Ankündigungsfrist. Diese wurde aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen in den letzten Monaten auf drei Wochen heruntergesetzt. Mager fordert auch eine Begrenzung der Geflüchteten in irgendeiner Form. Jedoch betont er, dass die Stimmung in der Gemeinde noch gut und die Hilfsbereitschaft im Ort groß sei.
Dennoch warnt er vor der Unterbringung in Sporthallen - hier sei eine gute Versorgung der geflüchteten Menschen nicht mehr garantiert. "Ich fürchte die gesellschaftlichen Konflikte, wenn es um die Inanspruchnahme von Wohnraum oder auch von anderen sozialen Kapazitäten geht. Dann kann es doch dazu führen, dass wir auch Konflikte zwischen den Menschen, die in den Gemeinden leben, bekommen", sagt Mager.
"In Afghanistan war es für uns lebensgefährlich"
Auch Elham Walizada aus Afghanistan wird mit seinen zwei Geschwistern und seinen Eltern nach dem Zwischenstopp in Ratzeburg in der Gemeinschaftsunterkunft in Gudow wohnen. Sie kamen vor etwa acht Wochen über Neumünster und Boostedt nach Ratzeburg. Der 27-Jährige berichtet, dass es für die fünfköpfige Familie in Afghanistan nicht mehr sicher war. "Als die Taliban die Macht übernahmen, hat uns glücklicherweise die italienische Regierung geholfen zu fliehen. Mein Vater und meine Mutter haben für die ehemalige Regierung in Afghanistan gearbeitet. Mein Vater war Polizist, meine Mutter Lehrerin an einer Schule für Jungen. Es war für uns lebensgefährlich dort."
In Schleswig-Holstein ist die Familie erst einmal in Sicherheit - doch wie ihre Zukunft aussieht und ob sie dauerhaft in Deutschland bleiben darf, ist unklar. Elham Walizada würde gerne Medizin studieren und als Arzt in Deutschland arbeiten.