VIDEO: Hanseschiff-Wrack: Spurensuche mit Grips und KI (3 Min)

Forscher wollen Rätsel um 400 Jahre altes Schiffswrack lösen

Stand: 08.01.2025 11:08 Uhr

Vor eineinhalb Jahren wird in der Lübecker Trave ein 400 Jahre altes Handelsschiff geborgen. Historiker erhoffen sich Erkenntnisse zur Wirtschafts- und Schifffahrtsgeschichte. Ein Team aus Hobbyforschern hilft den Profis.

von Hauke von Hallern

Es waren Routinearbeiten, die im Jahr 2020 zu einer Sensation führten. Bei einer Vermessung der Fahrrinne entdecken Arbeiter des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes Ostsee ein Schiff in elf Metern Tiefe. Ein Forscherteam der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel wird dazugerufen. Die Wissenschaftler untersuchen das rätselhafte Wrack acht Monate lang.

Das Ergebnis ist eine Sensation: Es handelt sich um ein knapp 400 Jahre altes Schiffswrack aus der Hansezeit. Ein alter Frachtsegler, beladen mit 150 Fässern Branntkalk - ein einzigartiger Fund im westlichen Ostseeraum. Branntkalk ist gebrannter Kalk, der damals zum Bauen verwendet wurde. Seit dem Fund beschäftigen sich Forscher mit den Hintergründen der Havarie. Sie vermuten, dass ein Feuer zum Untergang führte. Ein Team aus Hobbyhistorikern unterstützt die Wissenschaftler bei Recherchearbeiten. Sie untersuchen alte Seegerichtsakten.

Hobbyforscher entziffern alte Seegerichtsakten

Ein verwittertes Fass hängt an einem Kran. © dpa Foto: Markus Scholz
Experten bergen 2023 ein verwittertes Fass Branntkalk aus der Trave.

Drei Hobbyforscher sitzen in der Bibliothek des Hansemuseums vor ihren Laptops. Auf ihren Bildschirmen alte vergilbte Akten: Es sind 400 Jahre alte Seegerichtsakten. Das Team transkribiert sie, also übersetzt und entziffert, die alte Schrift. Eine Fleißarbeit, denn die digitalisierten Akten schlummern zu Hunderten in den Archiven der Hansestadt. Jetzt gilt es genau die zu finden, die Hintergründe zur Havarie des Hanseschiffs in der Lübecker Trave liefern können.

Der ehrenamtliche Forscher Gehard Szperalski ist sich an einer der handschriftlichen Textstellen unsicher. "Steht hier Liegeltage für Liegetage oder Siegeltage für Segeltage?" Die Protokolle seien während der Seegerichtsprozesse schnell mitgeschrieben worden, teilweise sehr unordentlich, da müsse man dann über die ein oder andere Textstelle diskutieren, berichtet Szperalski.

Arbeiten wie ein Detektiv

Insgesamt ein Dutzend ehrenamtlicher Forscher helfen beim Entziffern aus dem Mittelhochdeutschen. Sie sind Teil eines Citizen Science Projektes, das die Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums initiiert hat. Geschichte studiert haben ist hier keine Pflicht. Inga Guttzeit hat zum Beispiel früher in der Familienforschung gearbeitet: "Für mich ist das so ein bisschen wie bei Sherlock Holmes", erzählt sie. Am Anfang verstehe sie kaum ein Wort, weil das Mittelhochdeutsche für sie eine komplett andere Sprache sei. "Ich versuche die Texte dann immer wieder zu lesen, auch mal einen Tag liegen zu lassen. Dann erschließt sich für mich immer mehr die Bedeutung." Sie fühle sich dabei wie ein Detektiv bei der Arbeit, so Guttzeit.

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Lupe auf altem Buch © Olaf Malzahn Foto: Olaf Malzahn

Hansemuseum Lübeck: Ehrenamtliches Engagement für die Wissenschaft

Mit Hilfe einer Software transkribieren Freiwillige Handschriften aus der Hansezeit in moderne Schrift. mehr

KI soll bei der Arbeit helfen

Felix Rösch ist Unterwasserarchäologe der Stadt Lübeck, der die Forschung begleitet. Ihn interessiert vor allem, wie genau es zu dem Unglück kam. "Und Namen interessieren mich besonders. Also wem gehörte das Schiff? Wem gehörte die Ladung? Wer war involviert? Wer hat da eine große Menge an Werten verloren und wer war vielleicht auch Schuld dran?" Mit den Namen könne er später dann ein ganzes Netzwerk aus Personen aufspannen, die in den Handel mit Kalk in der Hansestadt Lübeck involviert waren.

Die Hobbyforscher geben die alten Texte aus den Akten in eine Software ein. Mit dieser Transkribier-Arbeit trainieren sie gleichzeitig eine KI, die die Texte dann irgendwann selbst entziffern können soll, erklärt die Leiterin der im Hansemuseum angesiedelten Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums, Angela Huang. "Lübeck hat ja unglaubliche Schätze im Archiv und Ziel ist es, dass wir mit KI diese Schätze viel besser heben können. Weil heute würde zum Beispiel ich als Forscherin niemals die Seegerichtsakten anschauen, denn das dauert zu lange." Für Forschungsprojekte seien Zeit und Geld oft begrenzt, so Huang.

Erste Ergebnisse in sechs Monaten

Die Hobbyforscher haben das erste Problem des Tages gelöst. Gerhard Szperalsk ist sich sicher: "Wir haben ja hier einen Buchstaben, der aussieht wie ein 'L' und zufälligerweise ist genau über dieser Zeile das Wort Beklagter. Und da kommt auch ein 'L' vor", erklärt der Hobbyforscher. Wenn man dieses "L" mit dem "L" der Liegeltage vergleiche, dann sei das identisch. Also "Liegetage" und nicht "Segeltage", da sind sich die Hobbyforschenden einig. Ihr Ziel für die nächsten sechs Monate: 20 Akten abschreiben und übersetzen. So hoffen sie, neue Erkenntnisse über das Schiffsunglück in der Lübecker Trave zu gewinnen.

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Ein verwittertes Fass hängt an einem Kran. © dpa Foto: Markus Scholz

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 07.01.2025 | 19:30 Uhr

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