Fernwärme und Nahwärme in Schleswig-Holstein - die Qual der Wahl
Das Thema Heizen beschäftigt gerade sehr viele - auch 78 größere Städte und Gemeinden in Schleswig-Holstein. Die sind verpflichtet, Wärmekonzepte zu erarbeiten. Solarthermie, Erdwärme, Holz, Luft: Für die Nahwärmenetze bieten sich viele Energieträger an, aber welcher ist der beste?
Achtung, Baustelle! In der Gemeinde Hürup (Kreis Schleswig-Flensburg) ist im Moment kein Durchkommen. Überall sind Straßen aufgerissen. Faustdicke Rohre liegen bereit. Durch sie strömt künftig Wasser mit Zusatzstoffen, Temperatur etwa 70 Grad, mit dem dann Alt- und Neubauten beheizt werden können. In den Häusern müssen dazu nur noch kompakte Wärmetauscher für die Zentralheizung installiert werden.
Prinzip der Nah- und Fernwärme: Zentrales Heizwerk, viele Abnehmer
Die Idee der Fernwärme gibt es schon lange. In Dänemark werden fast alle kleineren und größeren Orte so beheizt. Flensburg war deutschlandweiter Vorreiter. Hier gibt es seit 1969 ein Fernwärmenetz mit Anschlusszwang, so dass 98 Prozent der Menschen in Flensburg auf diese Weise versorgt werden. Das Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung: Durch Verbrennung wird Strom erzeugt. Die Abwärme erhitzt die Fernwärme-Flüssigkeit. Der Digitale Atlas Nord hat rund 400 meist kleinere Nahwärmenetze in Schleswig-Holstein erfasst. Mit dem Klimawandel rückt das Thema nun in den Mittelpunkt. Wärmenetze gelten als optimale Lösung, wo große Wohnblocks oder Mehrfamilienhäuser dicht beieinanderliegen. Sie können auch in Wohngebieten dafür sorgen, dass nicht jeder Einzelne eine Wärmepumpe anschaffen muss.
Auch Wärmenetze stehen vor dem "Heizungstausch"
Doch es ist noch viel zu tun, selbst dort, wo bereits Netze bestehen. So stehen die Stadtwerke Flensburg vor der gewaltigen Aufgabe, bis 2035 Gas und Kohle durch Meerwasserwärmepumpen und - sobald ausreichend verfügbar - grünen Wasserstoff zu ersetzen. Alle Gemeinden stehen vor der Herausforderung, für sich den besten Weg zu finden. Bei der Frage, wie die Wärme erzeugt werden soll, stehen sie vor der Qual der Wahl und müssen jetzt schon die Weichen stellen. Das Energiewende- und Klimaschutzgesetz in Schleswig-Holstein verlangt eine Bestandsaufnahme. Die Konzepte müssen in den größeren Orten bis Ende 2024 vorliegen.
Hüruper Bürger gründen ihre eigene Nahwärme-Genossenschaft
Hürup hat sich früh auf den Weg gemacht. Im Amtsbereich haben engagierte Bürger den Verein "Boben Op" gegründet, der von einem eigenen Strompool über Mitfahrbank, Solar-Beratung, Humusaufbau bis zum Reparatur-Café viele nachhaltige Ideen vorantreibt. Daraus ist auch eine Nahwärme-Genossenschaft hervorgegangen, die nicht-gewinnorientiert arbeitet und bei der alle Bürger Mitglied werden können. Noch immer liegt der Nahwärme-Preis unter sieben Cent brutto pro Kilowattstunde - trotz der Energiekrise. Rund 100 Häuser sind schon angeschlossen, 2.000 könnten es zusammen mit den Nachbardörfern Weseby, Maasbüll und Husby werden. Bisher liefert vor allem ein Heizwerk, das mit regionalen Holzabfällen beliefert wird, die Energie, ergänzt durch Biogas und Erdgas.
Solarthermie soll Erdgas ersetzen
Doch das soll sich ändern. Auf einer ehemaligen Bundeswehrfläche wollen die Hüruper die Energie der Sonne einfangen, die auf lange Rohre strahlt: Durch Solarthermie wird so das Nahwärme-Wasser erwärmt. Großwärmepumpen sollen es weiterhin auf 70 Grad Celsius bringen, damit auch Altbauten zunächst noch ohne Sanierung problemlos angeschlossen werden können. Diese Temperatur sei noch vergleichsweise wenig, meint Vorstand Christian Janout. In Flensburg geht das Fernwärme-Wasser nach Angaben der Stadtwerke mit bis zu 129 Grad in die Rohre, damit in Glücksburg noch genug Wärme ankommt.
Selbst kaltem Wasser lässt sich noch Energie entziehen
Janout betont, in Hürup würden sich die Wärmeverluste in den isolierten Rohren in Grenzen halten. Doch generell gilt: Hohe Temperaturen lassen sich mit einfachen Mitteln nur durch die Verbrennung von Öl, Gas oder Holz erreichen. Wärmepumpen spielen ihre Effizienz dagegen nur bei gemäßigten Temperaturen aus. Nur dann schaffen sie es, aus einer Kilowattstunde Strom vier Kilowattstunden Wärme zu erzeugen. Deshalb begannen die Stadtwerke in Schleswig schon früh mit Versuchen, die Temperatur im Wärmenetz möglichst niedrig zu halten. "Kalte Nahwärme" nennt sich dieses Konzept.
Erdwärme, Abwasser, Sonnenenergie in Schleswig geschickt kombiniert
Die Energie dazu kann aus dem Boden kommen: Auf dem ehemaligen Bundeswehrgelände "Auf der Freiheit" an der Schlei wurden gerade 25 Kilometer Rohrleitungen verlegt, die jetzt auf einer fußballfeldgroßen Fläche anderthalb Meter unter der Oberfläche liegen. Später wird hier der zentrale Park des neuen Stadtteils entstehen. Die Erdkollektoren sorgen für eine Grundtemperatur. Auch dem Abwasser wird Wärmeenergie entzogen. Großwärmepumpen, die zum Teil mit der eigenen Photovoltaik betrieben werden, bringen dann das Nahwärme-Wasser auf 45 Grad. Das reicht zum Heizen für die gut gedämmten Neubauten. Sogar das Frischwasser kann damit auf mehr als 40 Grad erwärmt werden. "Heißer duscht auch niemand," meint Vertriebsleiterin Julia Jürgensen.
Der Eis-Speicher
Mit der Kombination erneuerbarer Quellen hat Schleswig schon viel Erfahrung. So nutzen Hausbesitzer in einem Neubaugebiet sogar Nahwärme-Wasser, das im Winter mit Minustemperaturen ankommt. Kaum zu glauben: Wärmepumpen im Haus entziehen der Flüssigkeit noch Wärmeenergie zum Heizen, erklärt Thorsten Bock von den Stadtwerken SH. Die Erdschichten werden zum jahreszeitlichen Speicher: Im Sommer können Häuser gekühlt werden. Das Heizungswasser nimmt die Wärme auf, die sich dann rund um die langen Rohrleitungen verteilt. Hierüber hat bereits der NDR Podcast Mission Klima (zweite Hälfte) berichtet.
Tiefen-Geothermie ist ein Lotteriespiel
Im Gespräch ist auch, Tiefen-Geothermie in Schleswig zu nutzen, denn Richtung Erdkern wird es richtig warm. Doch Bohrungen bis zu zwei Kilometer Tiefe kämen einem Lotteriespiel gleich, meint Thorsten Bock von den Stadtwerken. Er hofft deshalb auf einen Landes- oder Bundesfonds, der das Risiko abfedert. Generell seien die innovativen Konzepte aktuell nur mit Förderung möglich. Langfristig sollen in Schleswig mehrere bestehende Nahwärmenetze miteinander verknüpft werden und weitere hinzu kommen. Ein flächendeckendes Netz für die gesamte Stadt ist aber nicht geplant.
Kompetente Beratung für die Kommunen
Die meisten Gemeinden müssen noch ihre Hausaufgaben machen. Beispiel Schafflund: Hier gibt es ähnlich wie in Hürup Überlegungen für ein komplettes Netz zusammen mit zwei Nachbargemeinden. Abwärme aus der Stromproduktion mit Biogas könnte ein Thema werden, oder auch Solarthermie. Zunächst will die Gemeinde aber eine Machbarkeitsstudie auf den Weg bringen und hofft auf Fördergelder. Beratung bietet dabei die Energie- und Klimaschutzinitiative (EKI) des Landes an.
Nahwärmekunden binden sich an einen Anbieter
Am Ende stehen Verbraucher dann vor der Frage, ob sie ihr Haus an das Wärmenetz anschließen. Der Haken besteht aus Sicht der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein darin, sich an einen Anbieter langfristig zu binden. Nach den zum Teil extremen Preissteigerungen im vergangenen Jahr liegen dazu viele Beschwerden vor. So verlangt das Unternehmen HanseWerk Natur beispielsweise in diesem Jahr mehr als 30 Cent pro Kilowattstunde Wärme in zahlreichen kleineren Netzen in Schleswig-Holstein - rund das Vierfache des Preises in Hürup. Zu 60 Prozent wird noch Erdgas eingesetzt.
Eigene Wärmepumpe trotz Wärmenetz?
Und ob sich der Anschluss an ein Nahwärmenetz für den Klimaschutz lohnt, hängt grundsätzlich vom Anteil erneuerbarer Energien ab. Als Ersatz von Öl- und Gasheizung ist das Wärmenetz meist eine gute Wahl. Eine eigene Wärmepumpe kann aber eine bessere Klimabilanz haben, wenn der Strom - wie in Schleswig-Holstein - weitgehend mit Wind- und Sonnenenergie produziert wird und das Wärmenetz noch fossil beheizt wird.