Europawahl in SH: Daher kommt der Rechtsruck bei Jungwählern

Stand: 10.06.2024 20:59 Uhr

Junge Menschen wählen eher rechts statt grün: Das hat die Europawahl 2024 gezeigt. Deutlich wurde aber auch, dass es den etablierten Parteien immer schlechter gelingt, junge Menschen anzusprechen.

von Fabian Boerger

Wenn Luisa Galli (16) durch ihren Feed bei Tiktok scrollt, kommt es öfter mal vor, dass ihr Beiträge der AfD vorgeschlagen werden. Dabei hat sie keinerlei Sympathien für diese Partei. Ja, sie ist politisch aktiv und gehört zum sogenannten Jungen Rat der Stadt Kiel, einer kommunalen Interessenvertretung für Jugendliche. Aber die AfD wählen? Das käme ihr nicht in den Sinn, wie sie sagt.

AfD mit rekordverdächtigen Zugewinnen

Das sahen bundesweit viele Jugendliche anders. Umfragen des Instituts infratest dimap zeigen, dass die AfD bei der Europawahl 2024 bei jungen Menschen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren 16 Prozent der Stimmen bekommen hat. Rekordverdächtige elf Prozentpunkte sind es, die die Partei im Vergleich zur Wahl 2019 bei der jungen Wählergruppe zugelegt hat. Bei keiner anderen Altersgruppe punktete die AfD mehr. Die CDU kam bei der jungen Wählergruppe auf 17 Prozent und ein Plus von 5 Prozentpunkten.

Gleichzeitig geht der immense Zuwachs bei der AfD mit einer herben Niederlage für die Grünen einher. Die Partei verlor ganze 23 Prozentpunkte im Vergleich zur letzten EU-Wahl. Vor allem die 16- bis 24-Jährigen waren es, die der Partei den Rücken zuwendeten. Doch auch die Kleinstparteien haben von den Jungwählern profitiert. 28 Prozent der Stimmen gingen an Parteien wie Volt, die Tierschutzpartei, BSW und andere.

Die Ergebnisse im Detail:

"AfD findet Wege, Jugendliche zu erreichen"

Luisa Galli erklärt sich den Erfolg der AfD anhand von zwei Punkten. Erstens kenne die AfD Wege, wie sie junge Menschen erreichen kann. "Sie nimmt die Jugendlichen besser ernst, sie kommentiert gerne und geht ins Gespräch", sagt Galli. Dort könnten junge Menschen ihren Frust abladen. Das gelinge den Ampel-Parteien wiederum nicht.

Zwei Personen sitzen in einem Café © NDR Foto: Fabian Boerger
Luisa Galli (l.) und Jan Youssef sind besorgt über die vielen Stimmen für die AfD. Sie sehen aber auch, dass vor allem etablierten Parteien es versäumt haben, mehr auf Jugendliche einzugehen.

Zweitens bekomme es die aktuelle Bundesregierung nicht hin, für Stabilität zu sorgen. Dabei bräuchten vor allem Jugendliche Stabilität, findet Galli. Sie seien es, die eine Krise nach der anderen erleben. Und das in einem Alter, in dem sie eigentlich damit beschäftigt sind sich selbst zu entfalten. "Und wenn das eine Bundesregierung nicht hinbekommt, oder zumindest diesen Eindruck erweckt, dann wundert es mich auch nicht, dass Jugendliche verzweifelt sind und die AfD wählen."

Einfache Antworten auf schwierige Fragen

Bo Oetjens (16), der gemeinsam mit Luisa Galli im Jungen Rat sitzt, kennt Jugendliche im gleichen Alter, die die AfD gewählt haben. Er selbst könne das wenig nachvollziehen - dennoch sehe er die Sorgen und Probleme, die die Menschen hätten. Und die AfD gebe einfache Antworten auf schwierige Fragen, das sei eben für viele sehr angenehm.

Dass die Grünen dermaßen viele Stimmen verloren hätten, führt Oetjens auf die Themen der Partei zurück. Vor fünf Jahren sei der Klimawandel ein großes Thema gewesen. Deshalb hätten die Grünen 2019 gepunktet. Jetzt aber gehe es viel mehr um Themen wie Sicherheit oder Migration. "Ich glaube, gerade bei diesen Fragen kommt man leicht in eine Unsicherheit - und da war die AfD das Mittel der Wahl", erklärt Oetjens.

Was ist der Junge Rat?

Der Junge Rat Kiel vertritt die Interessen und Belange von Kieler Jugendlichen in der Öffentlichkeit und bei der Politik. Es gibt ihn seit 2015. Die 16 Mitglieder werden alle zwei Jahre neu gewählt. Wahlberechtigt sind alle Kielerinnen und Kieler zwischen 12 und 19 Jahren. Einmal im Monat haben die Mitglieder des Jungen Rates das Recht, in der Kieler Ratsversammlung zu reden oder Anträge zu stellen. Und der Junge Rat ist keine Kieler Besonderheit - in ganz Schleswig-Holstein gibt es solche kommunalen Kinder- und Jugendvertretungen.

Themen etablierter Parteien sind "out"

Ein Mann blickt in die Kamera © NDR Foto: Fabian Boerger
Dr. Hauke Petersen ist stellvertretender Landesbeauftragter für politische Bildung. Er denkt, dass es vor allem die Enttäuschung über die Ampel war, die für das Ergebnis gesorgt hat.

Das sieht Hauke Petersen, stellvertretender Landesbeauftragter für politische Bildung, ähnlich. Die Themen der etablierten Parteien würden nicht mehr bei den Menschen fangen und zugleich nicht gut genug kommuniziert. "Die AfD hat offensichtlich Erfolg, mit dem Thema Migration Stimmen zu fangen - auch mit einfachen Antworten auf komplexe Fragen." Einfache, prägnante Antworten: Das sei den Ampel-Parteien wiederum nicht gelungen, sagt Petersen.

All das spielt vor allem dann eine Rolle, wenn politische Inhalte auf sozialen Netzwerken verbreitet werden, wie zum Beispiel Tiktok. Diese Plattform ist bei jungen Menschen besonders beliebt. Sie zeichnet sich laut Petersen vor allem dadurch aus, dass möglichst kurze Clips mit möglichst prägnanten, meinungsstarken Aussagen gut verfangen. Der Algorithmus belohnt solche Clips und steigert deren Reichweite.

"Das hat die AfD erfolgreich ausgenutzt", sagt Petersen. Denn diese Partei hat eine sehr starke Präsenz auf Tiktok - deutlich stärker als die der etablierten Parteien. Und das, so Petersen, habe zu dem hohen Wahlergebnis der AfD beigetragen.

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Experte: Große Unsicherheit beeinflusst Wahlergebnis

In die Karten gespielt habe der Partei außerdem eine große Unsicherheit in der Bevölkerung, so Petersen, sei es durch Kriege, Klimawandel oder die Migration. "Wir wissen aus Studien, dass die Unsicherheit dazu führt, dass mehr rechtsextreme und rechtspopulistische Thesen im Vordergrund stehen. Entsprechend werden die Parteien mehr gewählt, die jene Thesen vertreten", sagt Petersen.

Unter dem Strich stehen Gewinne für die AfD - und Verluste für die Ampel-Parteien. Von denen haben sich viele Jugendliche abgewendet. Ob Kommunikation, Themen oder Sicherheitsbedürfnis: In all diesen Punkten fühlen sich junge Wählende momentan nicht genug gesehen. Auch deshalb, so Hauke Petersen, sei die Europawahl zur "Denkzettel-Wahl" umgewandelt worden, in der europapolitische Themen kaum eine Rolle gespielt hätten, sondern die Bundespolitik entscheidend gewesen sei.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 10.06.2024 | 19:30 Uhr

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