Emissionen gesunken: Wissenschaftler aus SH dennoch skeptisch
Deutschland hat im vergangenen Jahr deutlich weniger Treibhausgase ausgestoßen. Laut Bundesregierung könnten die Klimaziele für 2030 doch erreicht werden. Wissenschaftler aus SH weisen allerdings auf viele Probleme hin.
"Wenn wir Kurs halten, sind wir bis 2030 durch." Ein sehr optimistischer Robert Habeck trat Freitagmorgen mit diesem Satz in Berlin vor die Presse. Insgesamt wurden dem Wirtschaftsminister zufolge im vergangenen Jahr rund 673 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt - ein Rückgang von 76 Millionen Tonnen gegenüber dem Vorjahr. Seit 1990 habe es noch nie solch einen starten Rückgang bei den Emissionen gegeben, freut sich der Minister der Grünen.
Mojib Latif: Ist das Ganze wirklich von Dauer?
Tatsächlich eine gute Nachricht, findet auch der Klimaforscher Mojib Latif aus Kiel im Interview mit NDR Schleswig-Holstein. Aber: Wie kommt dieser Rückgang zustande? Da müsse man genau hinschauen, so Latif. Zum einen liege es daran, dass die Konjunktur in Deutschland schwächelt: "Und dadurch hat man natürlich auch einen Effekt auf den Ausstoß von Treibhausgasen, der eben deshalb nicht so stark ist, weil die Produktion nicht so stark ist."
Zum anderen haben sich Latif zufolge die Verbraucher sehr zurückgehalten, weil ja alles teurer geworden ist. Die Inflation - auch sie hat demnach bei den Klima-Emissionen indirekt eine Rolle gespielt. "Insofern muss man jetzt mal abwarten, ob das Ganze wirklich von Dauer ist oder ob das nicht auch letzten Endes der wirtschaftlichen Krise zumindest teilweise zuzuordnen ist."
Sorgenkind Verkehr: Zu teure E-Autos, unzuverlässige Schiene
Dennoch freut sich der Seniorprofessor des Geomar in Kiel auch über die positiven Entwicklungen: "Die Erneuerbaren Energien wachsen. Im Strombereich sind wir schon gut unterwegs." Schon mehr als die Hälfte der Stromproduktion komme über die Erneuerbaren Energien. Doch gleich folgt leider auch schon wieder ein Aber: "Wir sind immer noch ziemlich schlecht im Gebäudebereich - also im Wärmesektor - und ganz schlecht beim Verkehr." Die E-Autos seien viel zu teuer, kritisiert Latif. Die Menschen seien - verständlicherweise - nicht geneigt, auf E-Autos umzusteigen.
"Und dann haben wir ja noch das Problem mit der Bahn. Wir haben ja immer noch viel zu viele Güter auf der Straße und nicht auf der Schiene." Das liege auch daran, dass die Schiene ziemlich unzuverlässig sei. "Eigentlich sind wir immer noch auf einem Stand wie vor einigen Jahrzehnten."
Flensburger Energieforscher Oei: Im Verkehr muss mehr getan werden
Sorgenkind Verkehr: Da kann der Professor für "Ökonomie der Transformation von Energiesystemen" an der Europa-Uni Flensburg, Pao-Yu Oei, seinem Kollegen aus Kiel nur beipflichten. "Wir müssen von dem Verbrenner-Fahrzeug entweder zum öffentlichen Nahverkehr oder zu weniger CO2-intensiven Verkehrsformen kommen - ein Elektroauto beispielsweise oder Car-Sharing-Option mit Elektroautos."
Im Verkehrssektor müsse unbedingt Gas gegeben werden, mahnte Oei: "Wir sind einigermaßen auf Kurs in einigen Sektoren. In anderen ist es nicht ausreichend gemacht worden. Und wenn wir uns jetzt zurücklehnen und denken, wir lassen das einfach mal so weiterfahren, dann bedeutet das, dass wir die Klimaziele perspektivisch verfehlen werden."
Das Problem mit dem Gesamtziel und den einzelnen Sektoren
Der Flensburger Energieforscher betont im Interview immer wieder die verschiedenen Sektoren und erinnert daran, dass es in Deutschland zunächst sogenannte "Sektor-Emissionsziele" gab. "Das heißt, dass für jeden Sektor eigentlich geguckt wurde: Wieviel kann der eigentlich reduzieren? Wieviel muss der reduzieren?" Auf Drängen der FDP seien diese Sektor-Ziele abgeschafft worden.
Nun gibt es also nur noch ein Gesamtziel, das die Bundesregierung im Blick hat. Klimaziel 2030 bedeutet: Bis zu dem Jahr sollen die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. "Bei diesem Gesamtziel sind wir einigermaßen auf Kurs. Wenn man dann aber genauer hinguckt, sieht man, dass manche Sektoren gerade übererfüllen und andere Sektoren machen weniger, als sie eigentlich müssten."
Notwendig: Gebäude sanieren, alte Heizungen austauschen
Neben dem Verkehr halten beide Forscher - Latif und Oei - die Entwicklung im Wärmesektor für problematisch. Oei weiß, dass hier die Wandlungsprozesse viele Jahre dauern. "Es ist sehr viel einfacher, ein einzelnes Kohlekraftwerk auszuschalten, als jetzt ein gesamtes Stadtviertel zu renovieren und dann neue Heizungen einzubauen." Dennoch: Irgendwann müssen die Gebäude saniert werden, müssen Öl- und Gasheizungen ausgetauscht werden, so der Forscher der Europa-Uni Flensburg.
Was kann jeder Einzelne zum Klimaschutz beitragen?
Bleibt zuletzt noch die Frage: Was kann denn jeder Einzelne tun, um Energie zu sparen und dadurch im Kleinen dazu beitragen, das Klimaziel zu erreichen?
Thema Autofahren: "Man kann ja auch mal ein bisschen weniger Gas geben. Vollgas muss nicht immer sein", meint Latif. Er selbst hat ein Tempolimit, das er auf Autobahnen anschaltet. Schneller als 100 fährt der Klimaforscher und Meteorologe nicht. Und im Haushalt muss auch nicht immer Stand-by sein: "Ein Computer muss nicht 24 Stunden am Tag laufen."
Bus und Bahn nutzen - auch das ist natürlich umwelt- und klimafreundlich, sagt Pao-Yu Oei. Doch genau wie Mojib Latif sagt auch er, dass die Musik eigentlich bei den großen industriellen Firmen und in der Politik spielt: "Und deswegen darf man jetzt nicht mit dem Finger auf andere Leute zeigen und sagen 'Du, du, du musst dich ändern', sondern es ist wichtig, dass die Politik da auch Maßnahmen ergreift."