VIDEO: Deutschland könnte das selbstgesteckte Klimaziel schaffen (2 Min)

Emissionen gesunken: Wissenschaftler aus SH dennoch skeptisch

Stand: 15.03.2024 14:28 Uhr

Deutschland hat im vergangenen Jahr deutlich weniger Treibhausgase ausgestoßen. Laut Bundesregierung könnten die Klimaziele für 2030 doch erreicht werden. Wissenschaftler aus SH weisen allerdings auf viele Probleme hin.

von Andrea Schmidt

"Wenn wir Kurs halten, sind wir bis 2030 durch." Ein sehr optimistischer Robert Habeck trat Freitagmorgen mit diesem Satz in Berlin vor die Presse. Insgesamt wurden dem Wirtschaftsminister zufolge im vergangenen Jahr rund 673 Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt - ein Rückgang von 76 Millionen Tonnen gegenüber dem Vorjahr. Seit 1990 habe es noch nie solch einen starten Rückgang bei den Emissionen gegeben, freut sich der Minister der Grünen.

Mojib Latif: Ist das Ganze wirklich von Dauer?

Prof. Mojib Latif, Klimaforscher vom Geomar in Kiel © Screenshot
Mojib Latif ist weltweit anerkannter Klimaforscher aus Kiel. Regelmäßig mahnt er, mehr für den Klimaschutz zu tun.

Tatsächlich eine gute Nachricht, findet auch der Klimaforscher Mojib Latif aus Kiel im Interview mit NDR Schleswig-Holstein. Aber: Wie kommt dieser Rückgang zustande? Da müsse man genau hinschauen, so Latif. Zum einen liege es daran, dass die Konjunktur in Deutschland schwächelt: "Und dadurch hat man natürlich auch einen Effekt auf den Ausstoß von Treibhausgasen, der eben deshalb nicht so stark ist, weil die Produktion nicht so stark ist."

Zum anderen haben sich Latif zufolge die Verbraucher sehr zurückgehalten, weil ja alles teurer geworden ist. Die Inflation - auch sie hat demnach bei den Klima-Emissionen indirekt eine Rolle gespielt. "Insofern muss man jetzt mal abwarten, ob das Ganze wirklich von Dauer ist oder ob das nicht auch letzten Endes der wirtschaftlichen Krise zumindest teilweise zuzuordnen ist."

Prof. Mojib Latif, Klimaforscher vom Geomar in Kiel © Screenshot
AUDIO: Erreichen der Klimaziele 2030: "Es bleibt eine Herkulesaufgabe" (4 Min)

Sorgenkind Verkehr: Zu teure E-Autos, unzuverlässige Schiene

Dennoch freut sich der Seniorprofessor des Geomar in Kiel auch über die positiven Entwicklungen: "Die Erneuerbaren Energien wachsen. Im Strombereich sind wir schon gut unterwegs." Schon mehr als die Hälfte der Stromproduktion komme über die Erneuerbaren Energien. Doch gleich folgt leider auch schon wieder ein Aber: "Wir sind immer noch ziemlich schlecht im Gebäudebereich - also im Wärmesektor - und ganz schlecht beim Verkehr." Die E-Autos seien viel zu teuer, kritisiert Latif. Die Menschen seien - verständlicherweise - nicht geneigt, auf E-Autos umzusteigen.

"Und dann haben wir ja noch das Problem mit der Bahn. Wir haben ja immer noch viel zu viele Güter auf der Straße und nicht auf der Schiene." Das liege auch daran, dass die Schiene ziemlich unzuverlässig sei. "Eigentlich sind wir immer noch auf einem Stand wie vor einigen Jahrzehnten."

VIDEO: So wirkt sich der Klimawandel an Norddeutschlands Küsten aus (1 Min)

Flensburger Energieforscher Oei: Im Verkehr muss mehr getan werden

Sorgenkind Verkehr: Da kann der Professor für "Ökonomie der Transformation von Energiesystemen" an der Europa-Uni Flensburg, Pao-Yu Oei, seinem Kollegen aus Kiel nur beipflichten. "Wir müssen von dem Verbrenner-Fahrzeug entweder zum öffentlichen Nahverkehr oder zu weniger CO2-intensiven Verkehrsformen kommen - ein Elektroauto beispielsweise oder Car-Sharing-Option mit Elektroautos."

Der Klimaforscher Pao-Yu Oei © picture-alliance Foto: Geisler-Fotopress
Pao-Yu Oei ist Professor für "Nachhaltige Energiewende Ökonomie" an der Europa-Universität Flensburg.

Im Verkehrssektor müsse unbedingt Gas gegeben werden, mahnte Oei: "Wir sind einigermaßen auf Kurs in einigen Sektoren. In anderen ist es nicht ausreichend gemacht worden. Und wenn wir uns jetzt zurücklehnen und denken, wir lassen das einfach mal so weiterfahren, dann bedeutet das, dass wir die Klimaziele perspektivisch verfehlen werden."

Das Problem mit dem Gesamtziel und den einzelnen Sektoren

Der Flensburger Energieforscher betont im Interview immer wieder die verschiedenen Sektoren und erinnert daran, dass es in Deutschland zunächst sogenannte "Sektor-Emissionsziele" gab. "Das heißt, dass für jeden Sektor eigentlich geguckt wurde: Wieviel kann der eigentlich reduzieren? Wieviel muss der reduzieren?" Auf Drängen der FDP seien diese Sektor-Ziele abgeschafft worden.

Nun gibt es also nur noch ein Gesamtziel, das die Bundesregierung im Blick hat. Klimaziel 2030 bedeutet: Bis zu dem Jahr sollen die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. "Bei diesem Gesamtziel sind wir einigermaßen auf Kurs. Wenn man dann aber genauer hinguckt, sieht man, dass manche Sektoren gerade übererfüllen und andere Sektoren machen weniger, als sie eigentlich müssten."

Notwendig: Gebäude sanieren, alte Heizungen austauschen

Neben dem Verkehr halten beide Forscher - Latif und Oei - die Entwicklung im Wärmesektor für problematisch. Oei weiß, dass hier die Wandlungsprozesse viele Jahre dauern. "Es ist sehr viel einfacher, ein einzelnes Kohlekraftwerk auszuschalten, als jetzt ein gesamtes Stadtviertel zu renovieren und dann neue Heizungen einzubauen." Dennoch: Irgendwann müssen die Gebäude saniert werden, müssen Öl- und Gasheizungen ausgetauscht werden, so der Forscher der Europa-Uni Flensburg.

Was kann jeder Einzelne zum Klimaschutz beitragen?

Bleibt zuletzt noch die Frage: Was kann denn jeder Einzelne tun, um Energie zu sparen und dadurch im Kleinen dazu beitragen, das Klimaziel zu erreichen?

Thema Autofahren: "Man kann ja auch mal ein bisschen weniger Gas geben. Vollgas muss nicht immer sein", meint Latif. Er selbst hat ein Tempolimit, das er auf Autobahnen anschaltet. Schneller als 100 fährt der Klimaforscher und Meteorologe nicht. Und im Haushalt muss auch nicht immer Stand-by sein: "Ein Computer muss nicht 24 Stunden am Tag laufen."

Bus und Bahn nutzen - auch das ist natürlich umwelt- und klimafreundlich, sagt Pao-Yu Oei. Doch genau wie Mojib Latif sagt auch er, dass die Musik eigentlich bei den großen industriellen Firmen und in der Politik spielt: "Und deswegen darf man jetzt nicht mit dem Finger auf andere Leute zeigen und sagen 'Du, du, du musst dich ändern', sondern es ist wichtig, dass die Politik da auch Maßnahmen ergreift."

Weitere Informationen
Eine Bildmontage mit den Klimaforschern Mojib Latif und Pao-Yu Oei © picture alliance Foto: Horst Galuschka // Geisler-Fotopress // Frederic Kern
1 Min

Ist der Rückgang der Klimaemissionen von Dauer?

Deutschland hat im vergangenen Jahr deutlich weniger Treibhausgase ausgestoßen. Mojib Latif und Pao-Yu Oei zweifeln aber an der Nachhaltigkeit. 1 Min

Die Kokerei Prosper in Bottrop ist eine der drei in Betrieb befindlichen Kokereien im Ruhrgebiet. © picture alliance/ Rupert Oberhäuser Foto: Rupert Oberhäuser

Klimaschutz: Deutschland verfehlt laut Expertenrat Klimaziele

Deutschland wird bis 2030 mehr CO2 ausstoßen, als das Klimaziel erlaubt. Das zeigt ein Bericht des Umweltbundesamtes. mehr

Ausgestopfte Pfuhlschnepfe stehen auf einem inszenierten Strand im Multimar Wattforum in Tönning. © NDR Foto: Pauline Reinhardt

Klimawandel im Wattenmeer: Folgen für Dorsch und Pfuhlschnepfe

Die Nordsee wird immer wärmer, dadurch verändert sich die Entwicklung der Tiere. Auch die Flächen im Wattenmeer sind in Gefahr. mehr

Stürmische Wellen auf der Nordsee. © IMAGO / Jochen Tack

CO₂-Verpressung - Was sind die Vorteile, welche Risiken gibt es?

Der Bund will mit der CCS-Technologie die Klimaziele erreichen. Fragen und Antworten zur Speicherung von CO₂ in der Nordsee. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 15.03.2024 | 15:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Klimaschutz

Energiewende

Umweltschutz

Nachrichten aus Schleswig-Holstein

Die 15-jährige Julia Soennichsen beim Trainingswurf. © NDR

15-jährige Dart-Spielerin will hoch hinaus

Julia Sönnichsen ist zwar erst 15, hat beim Dart aber schon viel erreicht. Viele glauben an eine große Karriere. mehr

Videos