Deichbau mit Hafenschlick: Innovation auf der Schafsweide
Aus Häfen und Fahrrinnen müssen immer gewaltigere Mengen Schlick gebaggert werden, damit sie für Schiffe befahrbar bleiben. Da das Entsorgen im Wasser seine Grenzen hat, werden jetzt Alternativen an Land gesucht - zum Beispiel im Deichbau.
Die 50 Hektar große Wiesenfläche bei Friedrichskoog (Kreis Dithmarschen) sieht für das bloße Auge aus wie eine gewöhnliche Schafsweide an der Nordsee. Doch unter dem Gras befindet sich etwas, das sich möglicherweise als wertvolles Baumaterial eignet - für den Deichbau: 1,9 Millionen Kubikmeter Schlick aus dem Hafen von Friedrichskoog, der in den vergangenen 40 Jahren hier nach und nach aufgespült wurde. Ob und wie es gelingen kann, diesen getrockneten Schlick für den Kern eines Deichs zu verwenden, möchte der Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein (LKN.SH) in einem Modellversuch herausfinden.
Überangebot an Schlick trifft Deichbau
Die Untersuchungsgegenstände dafür sind zum einen die große Wiese, das sogenannte Spülfeld, auf den der Schlick ursprünglich gebracht wurde, weil er nach dem Ausbaggern irgendwo hin musste. Und zum anderen der Deich Friedrichskoog Spitze, der ab dem kommenden Jahr um 30 Zentimeter erhöht werden soll - mit dem Schlick vom Spülfeld als Deichkern. Gelingt das, wäre das für Jorne Heinrich vom LKN.SH eine Win-Win-Win-Situation.
Denn zum einen ist da der immense Bedarf an Material beim Deichbau: Für die Deichverstärkung an der Friedrichskoog Spitze seien das rund 85.000 Kubikmeter rein an Füllboden, so Heinrich. Dieser Füllboden, sandiges Material, müsste anderenfalls aus Sandgruben vom Binnenland zur Deichbaustelle transportiert werden: "Das ist nicht ressourcenschonend. Das sorgt dafür, dass die Materialknappheit, die sowieso schon da ist, in vielen Bereichen zusätzlich verschärft wird." Sand als Baumaterial ist sowieso schon Mangelware. Ein weiterer Gewinn: Das Material vor Ort sei günstiger, so Heinrich.
Entsorgung im Meer hat Grenzen
Der dritte Vorteil: Die Massen an Schlick, die aus Hafenbecken und Fahrrinnen - besonders in Hamburg und der Elbe - gebaggert werden, werden immer mehr. Das liegt unter anderem am Klimawandel, der heftigere Sturmfluten verursachen kann, die den Schlick zurück in den Elbe schieben. Momentan geschieht die Schlick-Entsorgung vor allem im Wasser, an einer Verklappstelle in der Elbmündung und am Seezeichen Tonne E3 vor Helgoland, auf Schleswig-Holsteinischem Gebiet.
Ein Abkommen dazu zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein gilt eigentlich noch bis 2024, doch das verhandelte Kontingent ist bereits ausgeschöpft. Verhandlungen dazu laufen noch. Ein erstes Treffen Ende 2022 zwischen Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ergab bereits, dass Hamburg dort zwar weiter Schlick abladen darf, aber auch nach anderen Lösungen für den Verbleib des Schlicks gesucht werden muss.
Giftstoffe im Schlick
Eine Lösung wäre, den Schlick für den Deichbau zu nutzen. Doch diese Möglichkeit muss sorgfältig geprüft werden, sagt Jorne Heinrich vom LKN.SH: "Schlick ist nicht gleich Schlick. In jedem Bereich setzen sich unterschiedliche Sedimente an und unterschiedliche Körnung ab." Deshalb lässt sich das Modellprojekt in Friedrichskoog auch nicht einfach auf Elbschlick übertragen.
Das Material im Boden müsse man sich genau ansehen, so Heinrich: "Wir haben hier großflächig das ganze Spülfeld untersucht, abgebohrt und geguckt: Ist es für uns geeignet." Dabei müsse er untersuchen, ob das Material bodenmechanisch geeignet ist. "Das Material muss sandiges Material sein, das den Deichkörper gut stützt. Und zum anderen muss es natürlich auch so sein, dass es von der Belastung her passt, dass keine chemische Belastung drin ist, keine Schwermetalle und Ähnliches." Im Schlick finde sich eine breite Palette von Belastungen wie Schwermetallen und auch organischen Belastungen. Gerade der Schlick, der an Stellen entnommen wurde, wo Hafen und Werften sind und wo Schifffahrt stattfindet, könne die Belastung durchaus vorhanden sein.
Nicht jeder Schlick ist geeignet
Das Ergebnis für Friedrichskoog: Teilbereiche des Schlicks im Spülfeld seien für die Maßnahmen geeignet, dort soll Material entnommen werden: "Aber es ist nicht im gesamten Spülfeld so." Trotzdem soll die Menge ausreichen, um die Deichverstärkung in Friedrichskoog Spitze ohne zusätzliches Material für den Deichkern aus Sandgruben im Binnenland zu schaffen. Heinrich geht nicht davon aus, dass der Schlick immer 40 Jahre trocknen muss, wie im Fall des Spülfelds in Friedrichskoog. Wie lange das dauern wird, kann er pauschal nicht sagen. Setzt sich das Modell durch, rechnet er damit, dass dann auch technische Trocknungshilfen eingesetzt werden.
Ein Modellversuch, der Praxis werden soll
Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) sieht in dem Versuch die Chance, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: "Wir können Schlick nachhaltig ablagern und als Baustoff verwenden." Der Schlick sei ein globales Problem, das auch mit der Klimakrise zusammenhängt. "Die Verwendung von Schlick ist sicher nicht die Lösung für alles, aber es ist ein wichtiger Baustein, denn die Gewinnung von Rohstoffen für den Küstenschutz ist an sich schon eine Schwierigkeit." Und auch Küstenschutz wird durch den Klimawandel immer wichtiger: Steigt der Meeresspiegel, müssen die Deiche höher werden. Zum Beispiel mit Schlick aus der Elbe.