Datentausch zwischen Kiel und San Francisco: KI als Assistenzarzt
Mit Hilfe von Algorithmen einen Knochenbruch Jahre im Voraus vorhersagen - das könnte bald Alltag werden. Eine Datenverbindung zwischen Kiel und San Francisco soll helfen.
Sein Telefon steht kaum still. Claus Glüer, Medizin-Physiker an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), muss noch viel klären an diesem Tag, auf den er jahrelang hingearbeitet hat. Letzte Details gilt es abzusprechen. Vor allem: Steht die Übertragung in Kiel und San Francisco? Wird das Netz für den Artificial Inteligenze-Exchange (AI Exchange), also den Austausch Künstlicher Inteligenz, halten?
23 Jahre Forschung, fünf Jahre Vorbereitung
"Ready to roll", schwört Glüer seine Kolleginnen und Kollegen von der Fakultät der Universität von Kalifornien in San Francisco (UCSF) ein und ballt die Faust, während hinter ihm schon die ersten Gäste in das Auditorium gehen. Sie sind gekommen, um dabei zu sein, wenn nach 23 Jahren Forschung und fünf Jahren konkreter Vorbereitung das transatlantische KI-Datenaustausch-Projekt an den Start geht. Künstliche Intelligenz soll von heute an unter anderem die Behandlung von Osteoporose revolutionieren.
Die Forschungskooperation zwischen Glüers' CAU in Kiel und der UCSF geht vor allem auf seine Initiative zurück. Der Radiologie-Experte forschte in den 1990-er Jahren selbst in San Francisco, er schob die Kooperation an. Eine repräsentative Zusammenarbeit: Die UCSF gilt weltweit als Nummer zwei in der klinischen Medizin.
Bessere medizinische Breitenversorgung durch KI erwartet
Konkret geht es um Röntgenaufnahmen. Die künstliche Intelligenz soll Tausende Aufnahmen analysieren, von ihnen lernen und daraus Rückschlüsse auf Erkrankungsrisiken schließen. So soll eine Vorhersagegenauigkeit geschafft werden, die besser ist, als die von aktuellen Vorsorgeuntersuchungen. Claus Glüer beschreibt es so: "Ich denke, sicherlich ist der Topspezialist, der ausgeschlafen ist und keine weiteren Ablekungen hat, der Bessere als die KI, aber das ist er nicht 24 Stunden am Tag." Er glaubt, dass sich die Breitenversorgung durch KI deutlich verbessern wird.
Sensibler Datenschutz gewahrt
Um eine bessere Datengrundlage zu haben, sollen die KI-Netzwerke an beiden Standorten zunächst unabhängig voneinander mit Daten gefüttert und so trainiert werden. Dabei bleiben laut Glüer die Patientendaten jeweils vor Ort, nur das KI-Modell wandert die rund 8.800 Kilometer zwischen beiden Zentren hin und her. "Das heißt, wir schützen die Privatsphäre der Daten der Amerikaner auf San-Francisco-Seite und die der Kieler auf der anderen", so der Professor.
So könne der sehr unterschiedliche Datenschutz der beiden Länder gut gewährleistet werden. Gleichzeitig könne man die Patientendaten nutzen. Allein die UCSF kann auf Daten von neun Millionen Patienten und Patientinnen zurückgreifen. Zudem sieht Glüer noch einen weiteren Vorteil: "Kalifornien hat eine so multi-ethnische Gesellschaft. Das liefert eine deutlich größere Qualität an Daten, die wir in Kiel allein nicht hätten."
Der Arzt oder Ärztin hat das letzte Wort
Der 66-Jahre alte Professor zeigt auch die Grenzen auf. Künstliche Intelligenz soll zwar bei der Diagnose helfen, blind verlassen solle man sich auf KI aber nicht. Mediziner müssten vielmehr selbst nochmal "kritisch abwägen und nicht sagen, jetzt verlasse ich mich nur darauf, was die KI mir jetzt gerade erzählt."
In San Francisco ist die Präsentation inzwischen fortgeschritten: Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) übernimmt die entscheidende Aufgabe: Den Klick, um das Datennetz freizuschalten. Er bewegt die Maus, und - kurzer Schreckmoment - das projizierte Bild wird kurz schwarz. Raunen im Publikum. Dann: Applaus. Die Leitung steht. Erste Balken bauen sich auf. Der Austausch Künstlicher Intelligenz zwischen San Francisco und Kiel läuft.
Feier auch in Kiel
Aus Kiel ist die Präsidentin der CAU, Simone Fulda, zugeschaltet. Bei ihr ist es inzwischen nach Mitternacht. Projektmitarbeiter stoßen im Vordergrund mit Sekt an. Dieses Projekt mache einen Unterschied, betont Fulda. Der akademische Austausch zwischen Deutschland und den USA müsse ausgebaut werden, fordert Glüer.
Kurz- und mittelfristig sind weitere Projekte geplant. So beispielsweise die automatisierte Erkennung der Ursache von Schlaganfällen in der Notfallambulanz. Erstmal ist der Auftakt gemacht: Technisch hat alles geklappt, das Projekt zwischen Kiel und San Francisco läuft.