Das Gehirn austricksen: Mit VR-Brillen fit nach Schlaganfall
Die Virtuelle Realität hält Einzug in der Medizin. Eine der ersten Kliniken in Schleswig-Holstein, die sich die Vorteile dieser Technik zunutze machen, ist das Westküstenklinikum in Heide.
Es ist ein unscheinbarer weißer Koffer, den Lena Voß über den Flur in der Geriatrie trägt. Doch für die Physiotherapeutin am Westküstenklinikum in Heide und ihre Kolleginnen und Kollegen ist dieser Koffer aktuell ziemlich wertvoll. Denn in dem Koffer stecken 18.000 Euro, in Form einer VR-Brille und der dazugehörigen Software.
Elke Müller ist 77 Jahre alt und begeistert von der VR-Brille. Vor fünf Wochen hatte sie einen Schlaganfall, kann seitdem die linke Hand nicht mehr bewegen. Seit drei Wochen ist sie in therapeutischer Behandlung bei Lena Voß und gemeinsam trainieren sie mit Hilfe der VR-Brille. An diesem Tag steht die Spiegeltherapie auf dem Programm. Die Idee dahinter: Das Gehirn von Elke Müller austricksen. Dafür setzt die Seniorin die Brille auf und schaut auf ihre Hände. Ihre gelähmte linke Hand liegt regungslos auf dem Tisch. Die gesunde, rechte ballt Elke Müller immer wieder zur Faust - denn sie zerplatzt Luftballons mit der Faust. Natürlich nur theoretisch, denn durch die VR-Brille sieht Elke Müller ihre Arme in einer virtuellen Welt. Physiotherapeutin Lena Voß erklärt den Nutzen so: "Die rechte Hand bewegt sie nun. Frau Müller sieht aber durch die Brille ihre linke Hand, die arbeitet. Damit trickst man das Gehirn aus."
VR-Brille statt Spiegel
Dabei macht sich die Technik die visuelle Stimulation zunutze und animiert den gelähmten, linken Arm zur Bewegung. Auch ohne VR-Brille ist die Spiegeltherapie ein gängiges Mittel, um bestimmte Regionen im Gehirn zu aktivieren. Dabei wird ein herkömmlicher Spiegel so in der Körpermitte des Patienten platziert, dass Bewegungen des gesunden Arms gespiegelt als Bewegungen des betroffenen Arms wahrgenommen werden. Der gelähmte Arm liegt hinter, der nicht-gelähmte vor dem Spiegel.
Bei Elke Müller hat der Spieltrieb eingesetzt. Sie zerplatzt einen virtuellen Luftballon nach dem anderen, bewegt dabei den gesamten Oberkörper mit. Nach etwa einer Viertelstunde ist Schluss. "Ich bin richtig k.o.", sagt die Seniorin. "Viele sagen, das sei nicht anstrengend. Aber ich finde, das ist sehr wohl anstrengend." Genau das sei ein wichtiger Punkt, erklärt Physiotherapeutin Lena Voß: Der Spieltrieb sorge dafür, dass die Patienten auch wirklich voll mitmachen bei den Übungen. Nach drei Wochen Therapie merkt Elke Müller manchmal sogar ein leichtes Kribbeln in der linken Hand. Anfangs sei daran gar nicht zu denken gewesen. Sie hofft, dass sie als Linkshänderin bald ihre linke Hand wieder voll bewegen kann.
Einsatzmöglichkeiten auch bei anderen Erkrankungen
Die 18.000 Euro teure Brille kann sich das Klinikum nur aufgrund von Spenden leisten. Denn obwohl der Nutzen wissenschaftlich bewiesen ist, ist die Hilfe der Virtuellen Realität als Therapie keine Kassenleistung. Dabei setzen sie am Westküstenklinikum die Brille inzwischen auch bei Parkinson, Schädel-Hirn-Traumata und Angststörungen ein. In Heide hoffen Lena Voß und ihre Kolleginnen und Kollegen, dass die VR-Brille zeitnah zur Kassenleistung wird - und sie dann noch mehr Patienten spielerisch zu Gesundheit verhelfen können.