"Dann ist das Haus weg" - Werft-Mitarbeiter der FSG bangen um Existenz

Stand: 24.10.2024 19:00 Uhr

Der Monat ist zu Ende und das Gehalt nicht auf dem Konto. Was für die meisten eine Horrorvorstellung bleibt, ist für 80 Mitarbeitende der Werften der FSG-Nobiskrug seit Anfang Oktober Realität - und die ist existenzgefährdend.

von Christoph Deuschle

"Schlafen kann man das nicht mehr nennen", sagt Patrick Pöppel um 7 Uhr morgens an seinem Küchentisch. Auch diese Nacht war für ihn und seine Frau wieder unruhig. Die Geldsorgen überschatten bei dem Ehepaar mit zwei Kindern aus Schülldorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) im Moment vieles. Denn Patrick Pöppel arbeitet als Betriebssanitäter in der Rendsburger Werft der FSG-Nobiskrug. Deren Eigentümer ist die Investmentgesellschaft Tennor Holding. Ihr Geschäftsführer: Lars Windhorst. Um beide ist es in den letzten Monaten ruhig geworden, zumindest was das Verkünden von Erfolgsnachrichten angeht. Umso hörbarer dagegen die scheinbar großen finanziellen Probleme der Tennor Holding.

Das Elternhaus steht auf dem Spiel

Die Folgen für die Pöppels: Das September Gehalt kam hier deutlich verspätet. Bei 80 weiteren Kolleginnen und Kollegen steht es auch Ende Oktober noch aus. Groß die Sorgen, dass der nächste Zahltag wieder eine ungewollte Nullrunde wird. "Dabei sind wir jetzt schon auf Kante genäht", so der Familienvater. Das frisch geerbte Haus südlich von Rendsburg (Kreis Rendsburg-Eckernförde) wurde für einen hohen fünfstelligen Betrag saniert, der Kredit kann nicht pausiert werden. Wenn die nächste Gehaltszahlung ausfällt, weiß die Familie nicht, wie es weitergehen soll. Wenn die Bank auf den Vertrag pocht, geht es schnell um ihre gesamte Existenz und das Haus seiner Eltern. Dann bliebe den Pöppels nur der Gang zum Arbeitsamt.

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Lars Windhorst © picture alliance/SZ Photo Foto: Friedrich Bungert

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FSG-Nobiskrug seit 2020 ohne Tarifbindung

Dabei machen sie ohnehin schon länger alles, was sie an Tipps zum Geldsparen auftreiben konnten. Im Supermarkt die Angebote einkaufen, weniger Naschereien, kaum noch Ausflüge, "und wie die Weihnachtsgeschenke dieses Jahr ausfallen, darüber mag ich noch gar nicht nachdenken", so Bianca Pöppel. Wie ihnen geht es vielen der Angestellten bei der FSG-Nobiskrug mittlerweile. Denn seit der Übernahme durch die Tennor Holding von Lars Windhorst, ist der Betrieb nicht mehr tariflich gebunden. Seit vier Jahren hat Pöppel deshalb nicht einen Euro mehr Gehalt bekommen, obwohl der Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie eine deutliche Steigerung im Vergleich zu 2020 vorsieht. Rücklagen bilden war unter solchen Voraussetzungen während der vergangenen Jahre kaum möglich.

Drastische Folgen für das Sozialleben

Eine Gruppe Menschen steht mit Transparenten im Halbkreis. © Christoph Deuschle Foto: Christoph Deuschle
70 Kolleginnen und Kollegen kamen zusammen, um ihrer Forderung nach einer Zukunft für die Werften in Flensburg und Rendsburg Ausdruck zu verleihen.

Besonders hart scheint die Geldnot vieler FSG-Nobiskrug-Familien die Kinder zu treffen. "Manchen Kindern wurde schon der Besuch bei Freunden untersagt, weil deren Eltern das nicht wollten", berichtet Bianca Pöppel. Auch in der Schule sei schon gegen einige Kinder wegen der öffentlich bekannten Geldnot gemobbt worden. Unter die spürbare Trauer und Angst der Familie Pöppel mischt sich nun von allen Seiten auch zunehmend Wut. "Die Kinder sind traurig und auch sauer auf Herrn Windhorst. Weil er lässt alle Familien, alle Alleinerziehenden, er lässt alle im Stich. Er lässt einen im Dunkeln stehen. Man hört von ihm nichts."

Die Hoffnung stirbt zuletzt - aber sie schwindet

Auch am Donnerstag haben sich 70 Angestellte der angeschlagenen Werft deshalb wieder getroffen. Zum Teil mit Unterstützung ihrer Familien. Sie haben den Mut noch nicht aufgegeben und kämpfen um ihren Arbeitsplatz. Um den Zusammenhalt untereinander zu stärken, sich auszutauschen und nach außen sichtbar zu sein. Und das klappt. Immer wieder hupen vorbeifahrende Autos beim Anblick der Kundgebung, Passanten sprechen hörbar darüber, wie es wohl sein muss, mit so einer Unsicherheit. Aber: sie werden hier immer weniger. "Erst vergangene Woche hat ein Kollege nach 39 Jahren gekündigt, weil er einen neuen Job gefunden hat. Der wollte nicht weg, aber unter diesen Umständen bleiben halt auch nicht", erzählt Pöppel. Die Stimmung der Werftarbeiterinnen und -arbeiter - noch ist sie kämpferisch.

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"Schall und Rauch" in der "Nachspielzeit"

"Ich empfinde die Situation so als hätten wir in einem Fußballspiel die Nachspielzeit erreicht, es steht 8:0 gegen uns und Herr Windhorst hat sich den Ball geschnappt und weigert sich ihn wieder herzugeben", es sei aber auch keiner da, um das Spiel abzupfeifen. So sieht es Peter Böker, Betriebsrat der FSG-Nobiskrug.

Seit 45 Jahren im Betrieb ist Gundula Ehler. Sie hat schon die große Insolvenz von 1987 miterlebt. An Investor Windhorst lässt sie kein gutes Haar. "Es ist alles Schall und Rauch er kommt hier immer hin und schwingt große Reden. Und natürlich hat man ihm geglaubt damals nach der Insolvenz. Und wir haben geklatscht und fanden das ganz toll, was er erzählt hat. Aber wir mussten alle leidvoll erfahren, genau so wie die Politik und Herr Günther, was er sich eben erlaubt."

Letzter Ausweg: Insolvenz?

Auch am Donnerstag gab es weder von der Tennor Holding noch von Lars Windhorst eine Antwort auf eine Interviewanfrage von NDR Schleswig-Holstein. Welche Pläne die Eigentümer für die Werften und deren Tochterfirmen, darunter auch die Würzburger Interieur Manufaktur (Wima), hat, bleibt damit für die Öffentlichkeit weiter ein Rätsel. Für Angestellte wie Patrick Pöppel ist die größte Hoffnung mittlerweile wohl eine erneute Insolvenz. Dann wäre der Weg für frisches Geld neuer Investoren frei. Bis dahin können die Betroffenen nur auf schnelle Unterstützung vom Amt hoffen. Durch die Freistellung und den fehlenden Lohn, besteht immerhin Anspruch auf Arbeitslosengeld.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 24.10.2024 | 19:30 Uhr

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