Ärztlicher Bereitschaftsdienst in SH vor dem Kollaps?
Bei gesundheitlichen Notfällen am Wochenende ist der Notdienst oft die erste Anlaufstelle. Doch immer häufiger sind Anlaufpraxen geschlossen. Patienten bleibt dann nur der Gang in die Notaufnahme im Krankenhaus.
"Alle Befürchtungen sind Realität geworden", sagt der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Jens Lassen. Die Belastungen für die niedergelassenen Hausärzte sind deutlich größer geworden. Denn sie übernehmen seit Jahresbeginn alle Notdienste. Bisher haben sogenannte Poolärzte dabei geholfen. Das sind vor allem Ärztinnen und Ärzte im Ruhestand, Teilzeitkräfte im Krankenhaus oder Bundeswehrärzte. Allen 450 von ihnen hatte die Kassenärztliche Vereinigung im Land aber zum Jahreswechsel gekündigt.
Gericht: Poolärzte müssen Sozialabgaben zahlen
Nach einem Urteil des Bundessozialgerichtes müssen diese Poolärzte, die bisher als Freiberufler beschäftigt waren, nämlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden - also als Angestellte. Für sie müssten laut Kassenärztlicher Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) Sozialabgaben im zweistelligen Millionenbereich gezahlt werden. Mehr noch: Im schlimmsten Fall müssten diese Sozialabgaben sogar bis zu vier Jahre rückwirkend gezahlt werden. Der KVSH und dem Hausärzteverband geht es aber vor allem um die Zukunft: Sie drängen auf eine Anpassung der gesetzlichen Regeln.
450 Pool-Ärzte bräuchten jeweils einen Arbeitsvertrag
Das hätte für die KVSH einen hohen bürokratischen Aufwand bedeutet, der nicht zu stemmen gewesen wäre, sagt die KVSH. Angefangen von einer eigenen Personalverwaltung, über Urlaubsansprüche, Dienstzeiten, die mit einem Mal schnell ungesetzlich sein könnten, tarifliche Anpassungen - alles Dinge, die es vorher nicht gab.
Nun müssen die niedergelassenen Ärzte übernehmen
Die Notdienst-Schichten, die vorher die Poolärzte übernommen haben, müssen jetzt von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten geleistet werden. Und das sind eine Menge: 40 Prozent der Notdienste haben vorher Poolärzte übernommen, sagt der Hausärzteverband. Die Belastung habe deutlich zugenommen, sagt der Vorsitzende Jens Lassen. Er macht sich deshalb Sorgen: "Diese Mehrbelastung schwingt wie eine Keule über Nachwuchs-Ärztinnen und -Ärzte: Wer sich niederlassen möchte, verpflichtet sich automatisch zu Notdiensten. Möglicherweise wirkt das abschreckend und noch weniger junge Kolleginnen und Kollegen wollen dann Arztpraxen übernehmen." Die Zahl der Notdienst-Schichten in seiner Praxis hat sich nach seinen Aussagen im vergangen Monat verdoppelt.
Patienten bekommen Folgen bereits mit
Oft bleibt jetzt für Patientinnen und Patienten nur der Gang in die Krankenhaus-Notaufnahmen und die sind bekanntlich ohnehin oft schon ziemlich voll. Denn: Die KVSH hat einige der Anlaufpraxen tageweise schließen müssen. Und auch in den Arztpraxen gibt es Auswirkungen. Ein Arzt, der etwa eine Nachtbereitschaft hinter sich hat, steht vermutlich nicht um acht Uhr früh schon wieder seinen Patientinnen und Patienten zur Verfügung.
Bundespolitik gesprächsbereit - Lösung aber nicht in Sicht
Die KVSH sowie der Hausärzteverband fordern, dass die zuständigen Bundesministerien - das Ministerium für Arbeit und Soziales sowie das Gesundheitsministerium - Regelungen schaffen, die den ärztlichen Notdienst dem Rettungsdienst gleichstellen. Im Rettungsdienst sind Notärztinnen und -ärzte von der Sozialversicherungspflicht ausgenommen, um unter anderem genügend Personal sicherstellen zu können.
Monika Schliffke, Vorstandsvorsitzende der KVSH, sieht die niedergelassenen Ärzte angesichts der vielen Notdienste ebenfalls an der Belastungsgrenze und sagt: "Der Bund erwartet von uns, dass wir diese Strukturen stellen und jetzt wirft er uns solche Knüppel zwischen die Beine, dass wir nicht wissen, ob wir diese Strukturen erhalten können." Beide zuständigen Ministerien haben angekündigt, mit allen Beteiligten noch mal darüber zu sprechen. Konkrete Lösungen sind aber bislang nicht in Sicht.