500 Seiten Bericht: Wo es beim Kita-Gesetz in SH noch hakt

Stand: 14.02.2024 18:41 Uhr

Zweieinhalb Jahre haben Forschende das sogenannte Kitaförderungsgesetz in Schleswig-Holstein untersucht. Sozialministerin Aminata Touré hat die Ergebnisse am Mittwoch vorgestellt. Neben kleinen Erfolgen zeigt der Bericht vor allem finanzielle Lücken auf. Die Opposition spart nicht an Kritik.

von Fabian Boerger

Es soll die Qualität der Kinderbetreuung verbessern und Eltern sowie Kommunen in Schleswig-Holstein finanziell entlasten. Das ist das Ziel des Kita-Reform-Gesetzes. Seit mehr als drei Jahren ist es in Kraft. Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) hat am Mittwoch die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Begleitstudie dazu vorgestellt. 

Forschende unabhängiger Institute haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren die Effekte untersucht, die das neue Gesetz mit sich bringt. Zum einen haben sie mehrfach Einrichtungen, Träger-Organisationen, Kommunen oder Tageseltern befragt. Laut Sozialministerium haben über 80 Prozent der Einrichtungen an den Umfragen teilgenommen. Zum anderen wurden Daten erhoben, die Aufschluss über die Finanzierung von Kindertageseinrichtungen geben.

Das sind die zentralen Ergebnisse, die aus dem über 500 Seiten langen Berichthervorgehen:  

  • Finanzlücke bei Sachkosten: Für Kosten, die zum Beispiel durch Hausmeisterausgaben, Inventar oder Gartenpflege entstehen, fehlt den Kitas das Geld. Außerdem schwanken die Kosten in dem Bereich stark. Die Forschenden empfehlen, zusätzliche Daten wie das Gebäudealter zu erheben und in das Finanzierungsmodell einfließen zu lassen.

  • Mehr Personal, aber Schwierigkeiten beim Betreuungsschlüssel: Obwohl insgesamt mehr Personal vorhanden ist, knirscht es in dem Bereich. So gaben 41 Prozent der Kita-Leitungen bei einer Befragung an, dass es nicht gelänge, den Schlüssel an fünf aufeinanderfolgenden Tagen einzuhalten. Schließungen und kürzere Öffnungszeiten seien die Folge gewesen. Die Forschenden empfehlen, neue Strategien zum Umgang mit dem Ausfall von Personal zu entwickeln.

  • Spürbare Entlastung bei Eltern-Beiträgen: Diese haben sich um durchschnittlich 30 Prozent reduziert. Rund ein Drittel der Eltern fühlt sich durch niedrigere Beiträge entlastet.

  • Mehr Geld für Kindertagespflege: Im Vergleich zu Kitas werden bei der Kindertagespflege weniger Kinder durch Tagesmütter betreut. Ihr Einkommen wurde mit der Reform angehoben. Das Problem: Selbst wenn eine Tagesmutter Vollzeit arbeitet, liegt ihr Gehalt weiterhin unter dem Tarif-Lohn einer ungelernten Kita-Hilfskraft. Die Forschenden empfehlen, die Regelung neu anzupassen.

Touré: "Bericht offenbart Stärken und Lücken des Gesetzes"

Für Sozialministerin Touré ist der Bericht von großer Bedeutung:

“Dieser Bericht liefert wichtige Erkenntnisse darüber, was in der Kindertagesbetreuung im Land gut läuft und wo noch Potenzial für Verbesserungen besteht. Das ist eine gute Grundlage, um in den nächsten Monaten intensiv mit allen Beteiligten die Anpassungen im Kita-System zu beraten." Aminata Touré, Sozialministerin (Grüne)

Vor allem in der Verbesserung von Betreuungszeiten, einer besseren personelle Aufstellung und der Entlastung bei den Eltern-Beiträgen sehe sie Erfolge des neuen Gesetzes.

Viele kleine Lücken im System

Allerdings hat der Bericht laut der grünen Sozialministerin nicht alle Erwartungen erfüllen können. So liefere der Bericht keine einfache Antwort auf die vermeidlichen Finanzierungslücken im Kita-System. Es würden Anhaltspunkte deutlich, dass die Finanzierung insgesamt nicht gänzlich ausreichend sei.

Sozialministerin Aminata Touré sitzt auf einer Pressekonferenz im Schleswig-Holsteinischen Landtag. © Fabian Boerger Foto: Fabian Boerger
Sozialministerin Aminata Touré (2.v.l.) stellte am Mittwoch die zentralen Erkenntnisse des Evaluationsberichts zum Kitaförderungsgesetz vor.

Grund dafür seien viele kleine Lücken im System: So müsse vor allem bei den Sachkosten angepasst werden. Aber auch bei den Personalkosten seien zum Beispiel tarifliche Sonderzahlungen nicht berücksichtigt worden. Hinzu käme, dass nicht ausreichend Fehltage einkalkuliert worden seien, sodass es schnell zu Engpässen in der Betreuung kommen könne.

Erhöhung der Kosten nicht ausgeschlossen

Wie die Lücken künftig geschlossen werden sollen, ließ die Ministerin am Mittwoch offen. Eine Erhöhung der Beiträge der beteiligten Akteure schloss die Ministerin nicht aus. Derzeit trägt das Land 43 Prozent der Kosten. Die Kommunen beteiligen sich mit 37 Prozent und 20 Prozent leisten die Eltern mit ihren Beiträgen.

Finanzlücken sorgen für Unmut

Vor allem an der Frage der Finanzierung entzündeten sich in den letzten Monaten des Öfteren Streit. Wohlfahrtsverbände und kommunale Vertreter kritisierten, dass die vom Land berechneten und mitfinanzierten Fördersätze nicht ausreichen würden, um die Kosten zu tragen. Grund seien die erheblichen Kostensteigerungen beim Kita-Personal, den Mieten, Reinigung und Energie.

Wie hoch die Förderungen sind, die Kitas benötigen, wird aktuell noch auf Grundlage von Kosten-Schätzungen ermittelt. Danach – ab 2025 – soll das neue Finanzierungsmodell stehen, dass die realen Kosten der Einrichtungen abdeckt.

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Fristverlängerung vom Tisch

Streit gab es auch, weil die schwarz-grüne Regierung mit einem Änderungsantrag die im Gesetz vereinbarte Fristen verschieben wollte. Dadurch hätte sich der Übergangszeitraum, in dem sich die Förderungen nicht auf reale Kosten beziehen sondern auf Kosten-Schätzungen, um ein Jahr verlängert. Dagegen hatten Vertreterinnen und Vertreter von Wohlfahrtsorganisationen und Kommunen im Sozialausschuss protestiert. Danach war die Verlängerung vom Tisch.

System zu wenig an Praxis orientiert

Doch auch strukturell sieht die Ministerin beim aktuellen Kita-Gesetz Nachholbedarf:

"Bei allen Erfolgen in der Vergangenheit: Unser Kita-Gesetz ist in Teilen zu weit weg von der Praxis. Es ist bürokratisch und nicht flexibel genug. Es wird insbesondere nicht den Herausforderungen des Fachkräftemangel gerecht. Das ist nicht nur mit mehr Geld zu heilen." Aminata Touré, Sozialministerin

Bei der Überarbeitung des Gesetzes muss laut Touré dagegen eine größtmögliche Verlässlichkeit in der Betreuung sichergestellt werden. Ebenso sollen Fachkräfte weiter gestärkt werden, eine hohe Qualität in den Kindertagesstätten gewährleistet und mehr Flexibilität ermöglicht werden. Zudem solle die Finanzierung fair zwischen allen Beteiligten aufgeteilt werden.

Opposition ist entsetzt

Tourés Vorgänger, Heiner Garg (FDP), der die Kita-Reform mit auf den Weg gebracht hat, zeigte sich kritisch nach der Vorstellung der Ergebnisse. Er warnte vor dem Schritt, die Elternbeiträge wieder anzuheben.

“Damit hat sich die schwarz-grüne Landesregierung Lichtjahre von einer beitragsfreien Kita entfernt, die wir mit der Kita-Reform ja perspektivisch angepeilt hatten.” Heiner Garg, FDP

Weder eine Dynamisierung des Beitragdeckels noch Elternbeiträge, deren Höhe an das Einkommen gebunden sind, würden von der FDP mitgetragen, so Garg.

SPD: "Regierung fehlt politischer Wille"

Serpil Midyatli, Vorsitzende der SPD-Fraktion, und Sophia Schiebe, kitapolitische Sprecherin der SPD, bezeichnen den Bericht als Offenbarungseid.  

“Touré hat heute erneut gezeigt, dass ihr das wahre Ausmaß der Kita-Krise nicht bewusst ist. (...) Dieser Landesregierung fehlt der politische Wille, die Probleme der Familien und Kitas zu lösen.“  Serpil Midyatli und Sophia Schiebe (beide SPD)

Sie fordern mehr Geld für das System. Die Finanzierungslücken dürften weder zulasten der Eltern sein noch negative Konsequenzen für die Qualität haben.  

GEW: "Es braucht auskömmliche Finanzierung"

Auch die Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft befürchtet, dass die Sozialministerin weiter Mindeststandards absenken wolle:

“Bei Formulierungen wie ‘Flexibilisierung der Personalspanne’ können wir nur hellhörig werden. Was soll das anderes bedeuten, als die bisher bestehenden Standards aufzuweichen?”  Henning Schlüter, GEW-Co-Landesvorsitzender

Statt über Verschlechterungen nachzudenken, müsse die Landesregierung für eine auskömmliche Kita-Finanzierung sorgen - und für bessere Arbeitsbedingungen, so die GEW.

Unsicherheit bei Wohlfahrtsverbänden

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Schleswig-Holstein äußerte derweil seine Unsicherheit. Aktuell bliebe für die Träger keine Hoffnung für eine Steigerung der Qualität, es ginge vielmehr die Unsicherheit um, ob für den Betrieb - nach Mindeststandard des Gesetzes - ab Januar 2025 überhaupt genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stünden.

 „Wir erwarten eine ergebnisoffene Auswertung der vorliegenden Evaluationsergebnisse und keine Schnellschüsse ohne einen Blick auf die Auswirkungen für Träger, pädagogische Fachkräfte und Kinder.“ Michael Saitner, geschäftsführender Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes SH

Neustart des Gesetzes in 2025

In den kommenden Wochen werden die Ergebnisse gemeinsam mit allen Beteiligten - Ministerium, kommunale Landesverbände, Träger-Organisationen und Weiteren - beraten. Im September soll im Landtag über den neuen Entwurf beraten und im November abgestimmt werden, sodass das neue Kita-Gesetz zum Januar 2025 in Kraft treten könne, so Touré.

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Schleswig-Holstein Magazin | 14.02.2024 | 19:30 Uhr

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