Stand: 01.03.2018 21:09 Uhr

VW weist Verantwortung für Kursverluste zurück

von Christine Adelhardt, Thorsten Hapke, Stephan Wels

Für Volkswagen ist es der teuerste Rechtsstreit, der zurzeit noch offen ist: die Zivilklagen von diversen Investoren und Investmentfirmen. Über neun Milliarden Euro fordern sie für erlittene Aktienkursverluste im Zuge der Dieselaffäre. VW habe die Aktionäre zu spät über die Rechtsverstöße in den USA und die drohenden Strafzahlungen informiert, sagen die Kläger. Jetzt hat VW eine ausführliche Klageerwiderung im Rahmen der Musterklage vorgelegt, die vor dem Oberlandesgericht Braunschweig anhängig ist.

VW: Vorstände wussten lange nichts vom Betrug

Konkret geht es um die Frage: Hätte Volkswagen im Spätsommer 2015 die Aktionäre mit einer Ad-hoc-Meldung vor den Kursverlusten warnen müssen, die durch den Dieselbetrug drohten? In der Klageerwiderung weisen die VW-Anwälte das mit zwei Argumenten zurück: Zum einen hätten die verantwortlichen Vorstände von dem Betrug lange keine Ahnung gehabt. Zum anderen hätten sie, als der Betrug dann eingestanden war, aufgrund vergleichbarer anderer Fälle davon ausgehen müssen, dass die Höhe möglicher Strafen keine Kursrelevanz haben würde. 

"Ein Problem mit US-Behörden"

In dem Schriftsatz von VW finden sich auch neue Informationen, wie früh der amtierende Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch über die Probleme mit den US-Dieseln informiert war. Nach Darstellung von VW habe Pötsch aber nicht ermessen können, wie brisant der Sachverhalt ist. Fakt ist: Am 28. Mai 2015 informierte der Leiter der Rechtsabteilung den heutigen Aufsichtsratschef und damaligen Finanzvorstand Pötsch über - so heißt es im VW-Schriftsatz - "ein Problem mit US-Behörden wegen Emissionen". Pötsch solle doch mit Vorstandschef Martin Winterkorn über die Sache sprechen. Das tat Pötsch am 4. Juni 2015. Winterkorn, so heißt es im Schriftsatz, habe sich von dieser Nachricht "überrascht" gezeigt.

Ein "ernstes Thema"

Laut der Klageerwiderung war weder für Pötsch noch für Winterkorn erkennbar, dass Betrug hinter den Problemen in den USA steckte. Allerdings steht das in Widerspruch zu den Schilderungen anderer Personen aus dieser Zeit. Denn die Rechtsabteilung, die hernach Pötsch informierte, war offenbar durchaus über die drohende Gefahr in den USA informiert. So hat der Leiter Recht/Produktsicherheit den Leiter der Rechtsabteilung bereits am 21. Mai explizit über die Suche der Amerikaner nach einem "defeat device", also einer verbotenen Abschalteinrichtung der Abgasreinigung, unterrichtet. Der Mann war besorgt, er habe das als "ernstes" Thema kommuniziert, so seine Schilderung nach Informationen des NDR. Fraglich, ob die Dramatik der Warnungen dann Pötsch tatsächlich nicht erreicht hat.

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Wann wusste Winterkorn etwas?

Auch die Rolle von Konzernchef Winterkorn erscheint in dem Schriftsatz von VW in mildem Licht. Er habe von dem Betrug im engeren Sinne erst im September 2015 erfahren. Das ist auch Winterkorns Darstellung. Allerdings gibt es die Aussage eines engen Vertrauten von Winterkorn, der ihm bereits vor einer Sitzung am 27. Juli telefonisch explizit mitgeteilt haben will, man habe, so wörtlich, "beschissen". Am selben Tag soll auch der Leiter der Abteilung Recht/Produktsicherheit mit Winterkorn zusammengesessen und darüber gesprochen haben, dass aus technischer Sicht wohl ein "defeat device" vorliege. Danach habe man gemeinsam beraten, wie nun mit den US-Behörden umzugehen sei. Der hochrangige Manger soll Winterkorn nach Informationen des NDR geraten haben, VW sollte nicht riskieren, von den US-Behörden überführt zu werden. Man habe gehofft, sich mit den Behörden noch einigen zu können.

Information oder Warnung?

In der Klageerwiderung wird die Affäre detailliert aus VW-Sicht nachgezeichnet - mit Start im Frühjahr 2014. Damals ergab eine Studie des Forschungszentrums ICCT, dass zwei Volkswagen-Diesel-Fahrzeuge im Straßenverkehr deutlich mehr Stickoxid ausstießen als auf dem Prüfstand, vor allem aber: deutlich mehr als erlaubt. Kurz darauf, am 23. Mai 2014, erhielt Konzernchef Winterkorn eine schriftliche Mitteilung über die Studie mit dem Hinweis, es sei eine interne Task-Force zur Überprüfung der Schadstoffwerte gegründet worden. Die Mitteilung sei als bloße Information verfasst gewesen, nicht als Warnung. Der Vorstandschef hätte dadurch nicht auf ein größeres Problem schließen können, heißt es in der Klageerwiderung.

"Aufklärer" spielen nicht mit offenen Karten

Anderthalb Jahre lang versucht die VW-interne Arbeitsgruppe, der Ursache der hohen Schadstoffwerte im Straßenbetrieb auf die Spur zu kommen. Laut Klageschrift wird dabei noch nicht einmal innerhalb der Task-Force mit offenen Karten gespielt. Dass eine Betrugssoftware in den Motoren eingesetzt wird, weiß nur ein Teil der "Aufklärer", die Motorenentwickler nämlich, die die Betrugssoftware programmiert haben, weil sie anders keine Chance sahen, die strengen US-Grenzwerte einzuhalten. Doch die Gruppe besteht eben auch aus Personen, die von der Betrugssoftware nichts wissen. "Allerdings wurden diese VW-Mitarbeiter von den involvierten Personen über die wahren Hintergründe nicht aufgeklärt", schreiben die VW-Anwälte. Mit den US-Behörden verfuhr man genauso: Man war bemüht, die gestellten Fragen zu beantworten, "ohne die Umschaltlogik offenlegen zu müssen". Mit Umschaltlogik ist die Betrugssoftware gemeint, die die Abgasreinigung im Prüfstandsbetrieb ein- und im Straßenbetrieb ausschaltete.

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Die Annahme: Maximal 150 Millionen Dollar Kosten für Betrug

Der erste Verantwortliche für eine Information der Kapitalmärkte war Finanzvorstand Pötsch. Als Volkswagen den Betrug am 3. September 2015 in den USA eingesteht, gehen die VW-Juristen davon aus, dass man mit den US-Behörden über eine Strafzahlung verhandeln könne. Noch am 14. September 2015 glaubt Finanzvorstand Pötsch laut VW-Schriftsatz, der Dieselbetrug koste in den USA maximal 150 Millionen Euro. Angesichts eines VW-Umsatzes von 200 Milliarden Euro keine Summe, die die Aktienkurse bewegt und damit ad-hoc-pflichtig wäre, so die Überlegung.

Plötzlich ist von 18 Milliarden Dollar die Rede

Zur Überraschung von Volkswagen machen die US-Behörden am 18. September 2015 den Betrug öffentlich. In der entsprechenden Pressekonferenz wird auch die maximale Schadenssumme pro Fahrzeug genannt, die nach US-Recht möglich ist: 37.500 Dollar. Dass in vergleichbaren Fällen mit so vielen betroffenen Autos in der Vergangenheit nur ein Bruchteil dieser Strafe verhängt worden war, wird nicht erwähnt. Bei 480.000 vom Betrug betroffenen Fahrzeugen beläuft sich die maximale Schadenssumme also plötzlich auf 18 Milliarden Dollar. Die Kurse der VW-Aktie brechen ein.

Am Ende stehen 26 Milliarden Dollar Kosten in den USA

Zweieinhalb Jahre später übrigens hat sich herausgestellt: Selbst die 18 Milliarden Dollar waren noch niedriger als die tatsächliche Schadenssumme. Der Betrug hat Volkswagen alleine in den USA inzwischen mehr als 26 Milliarden Dollar gekostet - für Strafen und vor allem für Schadensersatz an die betroffenen Kunden.

Risiko dramatisch unterschätzt?

In ihrer Erwiderung auf die Aktionärsklagen legen die VW-Anwälte vor allem auf eines Wert: Der Sachverhalt dürfe nicht aus heutiger Sicht beurteilt werden, sondern nur auf Basis dessen, was die aktienrechtlich verantwortlichen Vorstände bei Volkswagen damals wussten. Auf der Basis, da sind sich die Anwälte sicher, hätten sie nicht anders handeln können. Aus heutiger Sicht allerdings fragt man sich schon, wie die Verantwortlichen bei Volkswagen das Kostenrisiko aus dem Betrug im Spätsommer 2015 so dramatisch unterschätzen konnten.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 02.03.2018 | 08:00 Uhr

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