Ukrainische Geflüchtete zwischen Herzlichkeit und Bürokratie
Hinter ukrainischen Geflüchteten, die seit Kriegsbeginn in Norddeutschland angekommen sind, liegen schwierige Zeiten. Und nun beschäftigen sie auf der einen Seite die Sorge um die Bekannten und Verwandten in der Heimat, auf der anderen bürokratische Hürden in Deutschland.
Hellen Höttcher öffnet die Tür ihres Einfamilienhauses in Geitelde bei Braunschweig. Dort wohnen die 54-Jährige und ihre Familie seit März gemeinsam mit zwei geflüchteten Frauen aus dem umkämpften Mykolajiw am Schwarzen Meer. Bei Hilfstransporten nach Kriegsausbruch hatten ehrenamtliche Helferinnen und Helfer einige ukrainische Geflüchtete auf dem Rückweg von der Grenze mit nach Braunschweig gebracht.
"Das ist schon ein bisschen Familie hier!"
"Man hat nicht überlegt, wie lange die bleiben. Man hat einfach nur gedacht: Wir müssen sie irgendwie unterbringen. Wir verstehen uns wirklich super. Das ist schon ein bisschen Familie hier. Da wird gar nicht überlegt, wann sie wieder gehen. Auf gar keinen Fall - im Gegenteil", berichtet Höttcher.
Rund 50 Ukrainerinnen und Ukrainer leben nun in Geitelde. Die größte Hilfe im mittlerweile nicht mehr ganz so neuen gemeinsamen Alltag ist ein automatischer Online-Übersetzer. Meistens funktioniere die Software auf dem Smartphone auch gut, erzählt Höttcher, aber nicht immer.
Zwischen Krieg und neuem Alltag
Irina Herassymova hat gerade Borschtsch gekocht und sitzt mit der Gastgeberin am Esstisch. Dann kommt Irinas Tochter Kristina die Treppe herunter. Die 15-Jährige lernt gerade mit Online-Unterricht an einer ukrainischen Berufsschule das Friseurhandwerk. Aber manchmal fällt der Unterricht wegen des Krieges aus. Der Krieg beschäftigt auch Mutter Irina sichtlich, ihr Mann harrt schließlich noch in ihrer Heimat aus. "Uns gefällt es hier sehr gut, aber wir wollen unbedingt nach Hause. Wir wollen, dass der Krieg so schnell wie möglich endet."
Ein Hindernis: Deutschsprachige Behördenpost
Im neuen Alltag in Niedersachsen gibt es aber gerade noch ganz andere Probleme. Auf dem Esstisch liegen einige Aktenordner. Mehrmals pro Woche klingeln ukrainische Geflüchtete an Höttchers Haustür: In der Hand halten sie dann oft neue Formulare vom Jobcenter und der Familienkasse. Die deutschsprachige Behördenpost ist für viele Ukrainerinnen und Ukrainer ein Hindernis. "Ich verstehe nicht einmal, was dort steht. Denn wenn ich sie online übersetzen lasse, kommt es zu Fehlern. Ich weiß nicht, was wir ohne Hellens Hilfe machen würden", sagt Irina Herassymova.
Ohne ehrenamtliche Hilfe wäre es schwierig
Höttcher hilft den neuen ukrainischen Nachbarn gerne - auch wenn sie mehrere Tage pro Woche damit verbringt, zu übersetzen, zu telefonieren oder zu erklären. "Es kommt so viel Herzlichkeit herüber und ich weiß ganz genau, dass sie sich über meine Hilfe freuen. Wenn Sie sich vorstellen, Sie säßen in Japan und müssten dort Papiere ausfüllen - das funktioniert auch nicht. Ich habe selbst Probleme mit dem Beamtendeutsch."
Beim Jobcenter wiederum komme es sehr darauf an, wer zuständig ist: "Da sind ganz viele Engagierte und manche gehen einfach nach Schema F vor. Da ist die Bürokratie ein totales Hindernis." Die Anliegen, die viele ukrainische Geflüchtete haben, schreiben sie für Höttcher auf Ukrainisch auf.
Jobcenter Braunschweig lässt Formulare übersetzen
Das zuständige Jobcenter teilt auf NDR Anfrage mit: "Für dringende Sofortanliegen stellt das Jobcenter Braunschweig den Geflüchteten aus der Ukraine einen Dolmetschenden zur Verfügung. (...) Alternativ können ggf. auch Übersetzungsdienstleistungen in Anspruch genommen werden."
Außerdem habe man die wichtigsten Formulare inzwischen übersetzt. Allerdings befinden die sich mitten auf einer ansonsten vor allem deutschsprachigen Webseite.
Ein Problem besonders für Geflüchtete auf dem Land
Probleme mit Behördenpost, die ausschließlich deutschsprachig ist, haben nicht nur ukrainische Geflüchtete, sondern auch viele andere Migrantinnen und Migranten. Das kritisiert auch der Niedersächsische Flüchtlingsrat. Hinzu komme, dass die Briefe auch für deutsche Muttersprachlerinnen und -sprachler oft nicht einfach zu verstehen seien.
Daher komme es oft auf ehrenamtliche Übersetzungsinitiativen an. Dazu gehört auch der Ukrainische Verein in Niedersachsen e.V. aus Hannover. "Wir als Migrantenverein verstehen die Belange der Geflüchteten sehr gut. Wir erfahren aus erster Hand, wo die Probleme sind und sprechen diese dann auch bei entsprechenden Institutionen oder in der Politik an - solche Vereine gibt es nicht an jedem Ort“, berichtet die Vereinsvorsitzende Natalya Butych. Es hänge davon ab, wie viel ehrenamtliche Hilfe es gebe. In den Städten erfahrungsgemäß mehr als im ländlichen Raum.
Hellen Höttcher ist im sehr ländlich gelegenen Braunschweiger Ortsteil Geitelde die erste Ansprechpartnerin, wenn es um Übersetzungen geht oder darum, mit Behörden zu kommunizieren. Die ehrenamtliche Helferin wünscht sich mehr Flexibilität von den Ämtern. Denn wegen der Kriegslage in der Ukraine sei nicht jeder Stempel oder Nachweis so einfach zu erbringen.