Straftaten für den Tierschutz: Warum machen Aktivisten das?
Tierrechts-Aktivisten dringen immer wieder in Schlachthöfe ein, um Missstände zu dokumentieren. Dabei nehmen sie Vorstrafen in Kauf. Doch ohne sie würden Verstöße oft unbemerkt bleiben. Ein Beispiel aus Lohne.
Gut 100 Tierschützer demonstrieren vor einem Schlachthof im Oldenburger Münsterland. Sie halten Pappschilder in die Höhe. Auf denen steht "CO2 ist Tierquälerei" oder auch "Jeder Atemzug brennt". Unter ihnen sind Hendrik Hassel und Anna Schubert. Die beiden sind im April 2024 heimlich in den Schlachthof inLohne eingestiegen und haben Kameras in der Betäubungsanlage installiert. Die Bilder dokumentieren, wie Schweine vor der Schlachtung mit einer Art Fahrstuhl in eine Senke mit Kohlendioxid gefahren werden. Auf der Demo beschreibt Anna Schubert das über eine Lautsprecheranlage: "Die CO2-Betäubung ist keine schonende Methode. Es ist ein qualvoller Erstickungskampf. Jeder Atemzug bringt mehr Panik, mehr Schmerz - bis endlich die Bewusstlosigkeit eintritt."
Beim Abholen der Kameras wartet die Polizei
Die Kameras wurden offenbar von Mitarbeitern entdeckt. Als die Aktivisten sie in einer anderen Nacht aus dem Schlachthof holen, werden sie von der Polizei erwischt. Der Vorwurf: Hausfriedensbruch. Hassel und Schubert wissen, dass sie gegen Strafgesetze verstoßen, wenn sie in fremde Gebäude eindringen. Ihr Handeln halten sie trotzdem für gerechtfertigt, sagt Hendrik Hassel: "Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, wie 80 Prozent aller Schweine in Deutschland geschlachtet werden. CO2 ist eine extrem brutale Schlachtmethode. Schlachtereien zeigen diese Bilder nicht."
Transparenz? Nicht bei der Betäubung
Bilder von der Betäubung mit CO2 haben Seltenheitswert. Auch wenn die großen Fleischkonzerne mit Transparenz werben, bei der Betäubung hört das auf. NDR Niedersachsen hat die zehn größten Schweineschlachtunternehmen angefragt. Das Ergebnis: zwei antworten gar nicht, zwei betäuben elektrisch, sechs betäuben mit CO2. Doch keiner dieser sechs Betriebe erteilt eine Drehgenehmigung. Mal lautet die Begründung, man habe zu viel mit der Maul- und Klauenseuche zu tun, mal heißt es, das wären keine schönen Bilder, mal gibt es gar keine Begründung.
Diskussion über die Betäubung ist überfällig
Bereits im Jahr 2004 stellte die europäische Lebensmittelbehörde EFSA fest, dass die Betäubung mit Kohlendioxid nicht tierschutzgerecht ist. Aber die letztlich politisch entscheidende EU-Kommission setzte die Abschaffung in der neuesten Schlachtverordnung von 2009 nicht um. Begründung: Eine andere Betäubungsmethode sei wirtschaftlich nicht tragbar, also zu teuer. Barbara Felde ist stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht. Die Juristin sagt, die CO2-Betäubung würde den Schweinen erhebliche Schmerzen zufügen: "Das sind ganz erhebliche, länger anhaltende Leiden. Das verstößt grundsätzlich gegen das deutsche Tierschutzgesetz und die darin enthaltenen Vorschriften zum Schutz der Tiere." Aber das EU-Recht steht in diesem Fall über dem deutschen Recht. Deshalb ist die Methode noch immer erlaubt.
Fleischindustrie hält CO2-Betäubung für tierschutzgerecht
Die Fleischindustrie sagt hingegen, die Betäubung mit Kohlendioxid sei aktuell die schonendste für die Tiere. Auch wenn die Bilder dokumentieren, dass die Schweine teilweise mehr als eine Minute lang mit der Erstickungsangst kämpfen. Steffen Reiter vom Verband der Fleischwirtschaft begründet das so: "Diese Methode berücksichtigt das Sozialverhalten der Tiere. Schweine sind Gruppentiere und für Schweine ist es somit immer Stress, wenn sie aus der Gruppe getrennt werden. Bei der CO2- Betäubung werden die Tiere eben in der Gruppe betäubt." Dass es schlicht billiger ist, die Tiere gruppenweise in Fahrstühlen zu betäuben, spiele demnach keine Rolle. Und man forsche an neuen Methoden. Beispielsweise mit anderen Gasen, die eventuell weniger Tierleid verursachen.
"Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf diese Bilder"
Das Problem ist lange bekannt. Die Forschung ist bisher nicht weitergekommen. Tierrechtsaktivisten wie Anna Schubert und Hendrik Hassel wollen das nicht länger akzeptieren. Und dafür nehmen sie sogar Vorstrafen in Kauf. Gegen beide wird wegen Hausfriedensbruch ermittelt. Zwar bot die Staatsanwaltschaft eine Einstellung des Verfahrens an, aber nur gegen eine Geldauflage von knapp 1.000 Euro. Anna Schubert ist überzeugt, dass ein öffentliches Verfahren das Thema bekannter machen und eine große gesellschaftliche Diskussion anstoßen kann: "Wir haben diese Bilder aufgedeckt. Das war völlig legitim und absolut notwendig. Dafür werden wir uns nicht kriminalisieren lassen. Denn die Öffentlichkeit hat ein Recht auf diese Bilder."