Tierschützer kritisieren CO2-Betäubung von Schweinen in Schlachthöfen
Werden viele Schweine vor der Schlachtung einem vermeidbaren Tierleid ausgesetzt? Tierschützer kritisieren die gängige CO2-Betäubung in den Schlachthöfen. Jetzt haben sie das Prozedere dokumentiert.
Die Bilder, die Tierschützer in einem niedersächsichen Schlachthof aufgenommen haben, sind verstörend. Fünf bis sechs Schweine stecken in jeder Kabine. Gruppenweise werden sie in einen rotierenden Paternoster getrieben. Sobald sich ein gefüllte Gondel senkt, nimmt die Sauerstoffkonzentration ab, die CO2-Konzentration nimmt zu. Nach wenigen Zentimetern geraten die Tiere in Panik, fangen an zu schreien. Sie versuchen nach Luft zu schnappen und irgendwie aus diesem aus Rohren zusammengebauten Kasten zu entkommen. Dabei laufen sie durcheinander, steigen aufeinander, beißen in die Rohre.
Grausam - aber nicht ausdrücklich verboten
All das ist nicht illegal. Nach Schätzungen werden 80 Prozent aller Schlachtschweine in Deutschland in solchen Fahrstuhlsystemen mit CO2 betäubt. Allein in Niedersachsen sind es jährlich etwa sechs Millionen Schweine, die so der Schlachtung zugeführt werden.
"Die Tiere wehren sich dagegen"
Für Tierärztin Claudia Preuß-Ueberschär vom Verein "Tierärzte für eine verantwortbare Landwirtschaft" steht fest, dass den Tieren hier erhebliches Leid und Schmerzen zugefügt werden. "Das führt zu einer Art Erstickungsgefühl. Und das merken die Tiere und wehren sich dagegen. Und dieses ganze Prozedere ist die Einleitungsphase der Betäubung, und die kann bis zu 36 Sekunden dauern", erklärt sie. CO2 reagiere mit den Schleimhäuten der Tiere. Die empfindlichen Hautflächen würden verätzt. Dass die Schweine brennende Schmerzen empfinden, sei lange bekannt.
Verbraucher sind ahnungslos
Die Bilder vom Leiden der Schlachtschweine haben Seltenheitswert. Zwar wird in fast allen großen Schlachthäusern auf diese Weise betäubt. Aber das sieht in der Regel niemand. Kürzlich haben Aktivisten nachts in einem niedersächsischen Schlachthof Kameras installiert und die Aufnahmen der Tierrechtsorganisation "Animal Rights Watch" zur Verfügung gestellt. "Wir denken, dass die Menschen ein Recht darauf haben zu erfahren, was den Tieren angetan wird, speziell in den Schlachtbetrieben. Die Tötung von Tieren ist ein Thema, das bewusst von der Industrie ausgeklammert wird, weil es einfach nur schrecklich ist, was dort passiert", sagt Scarlett Treml von "Animal Rights Watch".
Problem ist seit Jahrzehnten bekannt
Nach der deutschen Tierschutzschlachtverordnung ist es verboten, Tieren Schmerzen zuzufügen. Auch die Betäubung müsse schmerzfrei sein. Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt. Schon vor 20 Jahren stellte die oberste Europäische Lebensmittelbehörde EFSA fest: "Es ist unangemessen, ein Tier bei vollem Bewusstsein einer bekannt schädlichen gasförmigen Umgebung auszusetzen, aus der es nicht entkommen kann."
EU-Kommission lehnt Empfehlung ab
Die EFSA empfahl, die Betäubung mit CO2 deshalb schrittweise einzustellen. Passiert ist seitdem nichts. Die EU-Kommission hat die Empfehlung abgelehnt. Begründung: "Die Folgeabschätzung hat ergeben, dass solch eine Empfehlung derzeit in der EU aus wirtschaftlicher Sicht nicht tragbar ist." Soll heißen: Eine Umstellung wäre zu teuer.
Betäubungsmethode wird nicht deklariert
Die Schlachtindustrie ist auf Effizienz getrimmt. Jedes Schwein einzeln und schmerzfrei zu betäuben wäre mit erheblichen Kosten verbunden. Ganze Schlachthöfe müssten umgebaut werden. Nationales Tierschutzrecht wird so durch die EU ausgehebelt. Dabei ist es völlig unerheblich, ob die Schweine im Stall, auf Stroh, im Freiland oder auf Biobetrieben gehalten werden: Die Betäubungsmethode wird nirgends deklariert. Dem Verbraucher wird jegliche Transparenz verwehrt.
Ist die Praxis doch illegal?
Tierärztin Claudia Preuß-Ueberschär hält die gängige Praxis für illegal. "Es ist die Frage, ob man diesen Kompromiss in der Gesellschaft weiter tragen will oder nicht. Das muss irgendwie geklärt werden. Für mich als Tierärztin ist es so, dass ich sage, das sind Schmerzen, Leiden und Schäden. Und nach dem Tierschutzgesetz ist es eigentlich nicht tragbar."
Für eine individuelle und schmerzfreie Betäubung müsste sich die Bundesregierung über die Europäische Schlachtverordnung hinwegsetzen. Rechtsexperten halten das für machbar.