Wie viel China ist gut für Niedersachsen? Stephan Weil im Interview
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) reist am Sonntag nach China. Der Anlass: Seit 40 Jahren pflegt Niedersachsen eine Partnerschaft mit der chinesischen Region Anhui.
Begleitet wird der Regierungschef von einer fast 60-köpfigen Delegation aus Politik und Wirtschaft. Eine Station der Reise ist neben Shanghai auch die Millionenstadt Hefei. Dort betreiben Volkswagen und Continental Fabriken. Wie viel China ist gut für Niedersachsen? Im Interview mit NDR Niedersachsen spricht Ministerpräsident Weil über Chancen und Risiken.
Herr Weil, De-Risking ist gerade ein großes Thema. Es geht darum, wirtschaftliche Abhängigkeiten zu verringern. Mit Ihrem Besuch zeigen Sie Nähe, andererseits will Deutschland weg von China - wie passt das zusammen?
Stephan Weil: De-Risking halte ich für völlig richtig. Auf gut Deutsch heißt das: Wir dürfen nicht abhängig sein. Da haben wir einiges aus den Erfahrungen mit Russland gelernt. Das darf kein zweites Mal passieren. Im Fall China ist das vor allem eine Frage der einzelnen Unternehmen. Und was unsere Versorgung in Deutschland angeht, muss man eben auch sehen: Es gibt - Stichwort Antibiotika - einzelne Produkte, bei denen wir sehr, sehr stark abhängig sind von China. Da brauchen wir alternative Produktionen - am besten natürlich in Deutschland. Und wenn das nicht geht, in anderen Teilen der Welt. Man darf - und das bezieht sich nicht nur auf China - nicht von einem anderen Land abhängig sein. Umgekehrt ist das übrigens auch das Ziel der Chinesen für ihr eigenes Land.
Ist es ist bei China nicht schon zu spät? Solarzellen kommen überwiegend aus China, für Volkswagen ist China der wichtigste Markt.
Weil: Zu spät ist es nicht, aber es ist anspruchsvoll. Wir versuchen gerade, in Deutschland wieder zu einer eigenen Produktion von Solarzellen zu gelangen. Das machen wir nach meinem Eindruck nicht immer konsequent genug. So etwas muss man langfristig durchhalten. Das gilt auch bei der Versorgung mit bestimmten Gütern. Bei Produkten, die wir dringend brauchen, ist eine eigene Produktion in Deutschland unabdingbar.
Empfehlen Sie niedersächsischen Unternehmen, in China zu investieren?
Weil: Das ist Sache der Unternehmen selbst. Ich würde Ihnen empfehlen, sehr genau hinzugucken. Wenn sie für die Entwicklung Ihres Unternehmens sagen können: "Das ist für uns ein sehr interessanter Markt. Aber wir machen die Existenz unseres Unternehmens nicht davon abhängig", ist das schon einmal eine wichtige Voraussetzung. Im Übrigen verweise ich auf die Berichte über einen schwierigen Marktzugang in China. Das ist sicherlich auch ein Thema, über das wir sprechen werden.
Was meinen Sie mit einem schwierigen Marktzugang? Die Bürokratie oder gesetzliche Vorgaben in China?
Weil: Es gibt eine Umfrage der deutsch-chinesischen Außenhandelskammer bei deutschen Unternehmen. Da fällt das Urteil schon sehr gemischt aus. Insbesondere wird gesagt, dass man im Alltag schon viele Probleme hat, die wahrscheinlich chinesische Konkurrenten so nicht haben, beispielsweise einen schlechteren Zugang zu Regierungsbehörden und zu Fachausschüssen, die Standards festlegen. Und auch die erheblichen Subventionen für chinesische Wettbewerber führen zu einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses bei Produktqualität und technischer Führerschaft. Fairer Wettbewerb ist ein Thema, das beispielsweise Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem letzten Besuch in Peking angesprochen hat und das sicher auch von mir thematisiert werden wird.
Was kann der niedersächsische Ministerpräsident bei dieser Reise bewirken? Wie sehen Sie Ihre Rolle?
Weil: Ich bin immer wieder überrascht nach diesen Delegationsreisen, dass die Reaktion aus der Wirtschaft ist: "Das war sehr hilfreich". Das ist tatsächlich eine Rolle als Türöffner. Die Chinesen schätzen erkennbar eine langjährige konstruktive, gute Zusammenarbeit. Ich möchte diesen Besuch nicht überschätzen, aber vielleicht können wir einen Beitrag dazu leisten, dass es gut vorangeht. Gleichzeitig sollte aber bitte keiner der Beteiligten den Anspruch haben, zu glauben, er könne jetzt große Politik machen, national oder international.
Bei Ihrer China-Reise besuchen Sie auch das VW-Werk in Hefei. Was erwarten Sie da?
Weil: Volkswagen engagiert sich schon seit 40 Jahren in China und genießt dort auch ein großes Renommee. Mit der Elektromobilität und der Digitalisierung der Fahrzeuge aber hat eine ganz neue Ära begonnen. Und gerade bei der Digitalisierung sind die chinesischen Wettbewerber schon sehr, sehr stark. Da muss Volkswagen hart arbeiten - und der Konzern tut das auch mit Hilfe von chinesischen Partnern. Und sich diese Zusammenarbeit näher anzuschauen, das ist interessant. Es könnte sein, dass aus den Erfahrungen in China der ganze Konzern noch weiteren Nutzen ziehen kann. Nach vielen Jahrzehnten, in denen deutsche Technologie nach China gebracht wurde, können wir jetzt in einzelnen Bereichen davon lernen, wie es andere sehr gut machen.
VW steht immer wieder in der Kritik, weil der Autokonzern ein Werk in der chinesischen Region Xinjiang betreibt. In der Region gibt es Hinweise, dass China systematisch die Minderheit der Uiguren unterdrückt. Werden Sie das ansprechen?
Weil: Natürlich werde ich das tun, das passiert regelmäßig bei solchen Gesprächen. Wenn man das höflich und respektvoll macht, dann bekommt man auch entsprechende Antworten. Inhaltlich aber sind diese Antworten - das muss man auch nüchtern sagen - nicht solche, wie wir sie uns wünschen. Seitens der Chinesen wird dann darauf aufmerksam gemacht, dass es eine bestimmte Gesetzeslage gebe, die nun mal so vollzogen werde wie in anderen Ländern auch. Was Volkswagen angeht: Das Unternehmen selbst hat gesagt, es prüft derzeit, ob und wie es in Xinjiang weitergehen soll. Und das ist in der Tat sehr ernst gemeint, wie ich weiß.
Das heißt, Sie würden es befürworten, wenn sich Volkswagen aus der Region Xinjiang zurückzieht?
Weil: Ich bin nicht der Sprecher des Unternehmens. Da bitte ich um Verständnis. Aber aus der Art und Weise, wie Volkswagen seine Position öffentlich deutlich gemacht hat, wird schon deutlich, dass man Handlungsbedarf sieht.
Das Interview führte Torben Hildebrandt, NDR.de