Staatsanwaltschaften überlastet - Unbearbeitete Fälle häufen sich
Bei Staatsanwaltschaften in Niedersachsen sind Ende 2024 insgesamt 76.111 Ermittlungsverfahren unbearbeitet gewesen. Der Grund: Fälle werden komplexer. Mehr als 60 Tatverdächtige wurden deshalb bundesweit aus der U-Haft entlassen.
Steigende Aktenberge führten dazu, dass sich Strafverfahren in die Länge zögen, warnte der Bundesgeschäftsführer des Richterbundes, Sven Rebehn. Dass Tatverdächtige zum Teil aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssten, weil die Verfahren nicht schnell genug bearbeitet werden konnten, nannte er alarmierend.
Tatverdächtige kamen bundesweit vorzeitig aus U-Haft
Nach Angaben des niedersächsischen Justizministeriums ist die Dauer der Verfahren trotz der erhöhten Belastung seit 2017 "nicht nennenswert" gestiegen. Nach NDR Informationen wurde im vergangenen Jahr in Niedersachsen ein Haftbefehl fallen gelassen, weil das Verfahren nicht schnell genug bearbeitet wurde. Deutschlandweit mussten laut Deutschem Richterbund allerdings mehr als 60 dringend Tatverdächtige aus der U-Haft entlassen werden. Der niedersächsische Richterbund hatte bereits im April 2024 kritisiert, dass Staatsanwälte förmlich unter Aktenbergen versinken.
Zahl der unbearbeiteten Verfahren um drei Prozent gestiegen
Die Zahl der unbearbeiteten Verfahren sei von Ende 2023 bis Ende 2024 um gut drei Prozent gestiegen, teilte der Deutsche Richterbund mit, der sich auf Zahlen des Justizministeriums beruft. Im Vergleich mit 2021 sei die Zahl um 23 Prozent gestiegen. Niedersachsen liegt damit demnach unter dem Bundesdurchschnitt. Die Zahl der unbearbeiteten Verfahren sei von Ende 2023 bis Ende 2024 um gut drei Prozent gestiegen, teilte der Deutsche Richterbund mit, der sich auf Zahlen des Justizministeriums beruft. Im Vergleich mit 2021 sei die Zahl um 23 Prozent gestiegen. Niedersachsen liegt damit demnach unter dem Bundesdurchschnitt. Dem Richterbund zufolge sind bundesweit mehr als 930.000 Fälle offen. Das seien knapp 30 Prozent mehr als drei Jahre zuvor. Im Land Bremen wurden dem Richterbund zufolge Ende 2024 16.787 unerledigte Fälle gezählt. Das seien fast neun Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Die bundesweit höchste Zahl unerledigter Verfahren verzeichnet dem Richterbund zufolge Nordrhein-Westfalen mit 255.245 Fällen - dort gibt es demnach im Vergleich zu 2021 ein Drittel mehr Fälle.
Justizministerium: Verfahren werden komplexer
"Zweifelsohne sind unsere Staatsanwaltschaften in Niedersachsen stark belastet", sagte eine Sprecherin des niedersächsischen Justizministeriums. Allein im ersten Halbjahr 2024 hätten die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Niedersachsen 29 Prozent mehr als vorgesehen gearbeitet. Als Grund für den Anstieg der Verfahren nannte die Sprecherin unter anderem, dass Ermittlungsverfahren in bestimmten Bereichen - etwa in Wirtschaftsstrafsachen - zunehmend komplexer würden.
Diese Staatsanwaltschaften sind besonders stark belastet
Besonders belastet sind nach Angaben der Ministeriumssprecherin die Staatsanwaltschaften Göttingen, Hannover, Stade, Verden, Oldenburg und Osnabrück. Hintergrund seien unter anderem Schwerpunkt-Zuständigkeiten: In Göttingen sei die Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet angesiedelt, in Hannover die Zentralstelle zur Bekämpfung gewaltdarstellender, kinderpornografischer oder sonstiger jugendgefährdender Schriften.
Justizministerium: Mehr Personal ist im Einsatz
Um die Belastung bei den Staatsanwaltschaften zu reduzieren, stehen nach Angaben der Ministeriumssprecherin aktuell 114 Personen mehr zur Verfügung als 2023. Mit dem Haushalt 2025 wurden der Sprecherin zufolge 55 neue Stellen bei den Staatsanwaltschaften geschaffen. Zusätzlich wurde Personal aus anderen Bereichen der Justiz organisiert, so die Sprecherin. Die CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag übte Kritik am Vorgehen der rot-grünen Landesregierung. "Verschiebungen von Stellen innerhalb der Justiz lösen das Problem nicht", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin Carina Hermann. Es brauche "echte neue Stellen für die Justiz".
"Flutwelle wird bei den Gerichten ankommen"
Der Vorsitzende des niedersächsischen Richterbundes, Frank Bornemann, warnte vor den Folgen der sich stapelnden Akten. "Wir sehen einen Stau bei den Staatsanwaltschaften; wenn dieser Stau beseitigt werden sollte, wird die Flutwelle bei den Gerichten ankommen", sagte er. Auch die niedersächsischen Strafkammern müssten massiv verstärkt werden. Der Deutsche Richterbund fordert deshalb schon länger eine Anschubfinanzierung vom Bund, um neue Richter und Staatsanwälte einzustellen. "Union und SPD sollten ihr Wahlversprechen, einen neuen Bund-Länder-Rechtsstaatspakt zu schließen, möglichst schnell in die Tat umsetzen", sagte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn.
In einer früheren Version des Textes hieß es auf Grundlage von Angaben des Richterbundes, dass ein Tatverdächtiger in Niedersachsen 2024 frühzeitig aus der U-Haft entlassen wurde, weil das Verfahren nicht schnell genug bearbeitet wurde. Entgegen der ersten Darstellung wurde der Mann wegen weiterer Delikte jedoch nicht frühzeitig aus der Untersuchungshaft entlassen, wie das niedersächsisch Justizministerium klarstellte. Es wurde lediglich der Haftbefehl gegen ihn fallen gelassen, weil das Verfahren nicht schnell genug bearbeitet wurde.
