Niedersachsens Stromnetz muss für Energiewende ausgebaut werden
Mehr Wärmepumpen, mehr E-Autos, mehr Photovoltaikanlagen auf Dächern: Energieversorger berichten von einer exponentiell wachsenden Nachfrage bei Anschlüssen für solche Anlagen. Ist das Stromnetz dafür bereit?
Der NDR hat bei den Energieversorgern in Niedersachsen nachgefragt, wie gut das Stromnetz für die Energiewende gewappnet ist. Das Niederspannungsnetz, das den Strom in die Haushalte bringt, muss in den kommenden Jahren verstärkt werden, das sagen fast alle Energieversorger. 20 Energieversorger haben geantwortet. Davon haben 14 auch bereits begonnen, das Stromnetz auszubauen. Die Stadtwerke Georgsmarienhütte (Landkreis Osnabrück) haben schon vereinzelt neue Ortsnetzstationen eingebaut, welche die Leistung verstärken. Andere erhöhen den Querschnitt der Leitungen, wenn diese beispielsweise altersbedingt ausgetauscht werden müssen. "Wir dimensionieren die Betriebsmittel dann auf eine Prognose mit Wärmepumpen und E-Mobilität und bauen eine Reserve ein", teilen die Stadtwerke in Burgdorf (Region Hannover) mit.
Stromnetz muss digitalisiert werden
Laut Stadtwerke Einbeck (Landkreis Northeim) liegt die Herausforderung nicht in den Kapazitäten, sondern in der Verteilung und Steuerung der Energie. "Wer benötigt wann wie viel Strom, muss geregelt werden", heißt es. Dafür soll das Stromnetz auch smarter, also mit digitaler Messtechnik ausgestattet werden. In Lüneburg will der Netzbetreiber avacon bis Ende 2024 rund 400 Ortsnetzstationen digitalisiert haben. Fast 40 Millionen Euro investiert der Netzbetreiber in den kommenden Jahren in den digitalen Netzausbau, damit rund um Lüneburg eine Smart Energie Region entsteht.
Ein Problem, wenn alle gleichzeitig Strom brauchen
Auch die Bundesnetzagentur sagt, dass dem höheren Energiebedarf mit einem Netzausbau begegnet werden müsse. Mit der Zunahme von Wärmepumpen und Elektrofahrzeugen werden insbesondere die Niederspannungsnetze gefordert. Also das Netz, dass den Strom letztendlich zum Endverbraucher bringt. "Sowohl bei Elektrofahrzeugen als auch bei Wärmepumpen ist von einer hohen Gleichzeitigkeit des Leistungsbezugs auszugehen, die zu Überlastungsproblemen in einzelnen Netzabschnitten führen kann", teilt die Bundesnetzagentur auf NDR Anfrage mit.
Netzbetreiber dürfen regulieren
Damit am Ende niemand ohne Strom dasteht, sollen Netzbetreiber künftig die Stromzufuhr zeitweise drosseln dürfen. "Eine temporäre Dimmung darf nur in dem Maße und so lange erfolgen, wie es zur Aufrechterhaltung der Netzsicherheit im betroffenen lokalen Netzbereich notwendig ist", sagt die Bundesnetzagentur dazu. Das funktioniere aber nur, wenn die Auslastung der Netze auch digital überwacht werden könne, sagt Hendrik Paul, der kommunale Projektleiter bei avacon in Lüneburg. "Diese Technologie ist bis jetzt noch in einem viel zu geringen Umfang im Einsatz, um überhaupt flächendeckend von dieser Maßnahme Gebrauch zu machen."
Längere Ladezeit für gesicherte Stromzufuhr
Dennoch ist die regulierende Maßnahme wohl nötig, antworten mehrere Energieversorger in Niedersachsen dem NDR. Konkret würde eine Dimmung bedeuten, dass ein E-Auto beispielsweise sechs statt drei Stunden Ladezeit benötigt. Da die Maßnahme aber insbesondere in der Nacht stattfinden soll, sehen die Netzbetreiber darin kein Problem.
Verbraucher profitieren
Der novellierte Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes komme auch den Verbrauchern zugute, sagt Bernd Engel, Leiter des Instituts für Hochspannungstechnik und Energiesysteme an der TU Braunschweig. "Das Gesetz garantiert dann, dass Verbraucher in jedem Fall eine Wärmepumpe oder eine Wallbox für ein Elektroauto an das Stromnetz anschließen kann", so Engel. Das gelte allerdings nicht für Mehrfamilienhäuser. Sollte die Stromzufuhr als ultima ratio reguliert werden müssen, dann seien die Netzbetreiber damit auch verpflichtet, das Netz auszubauen. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet, soll aber ab Januar 2024 gelten.
Stromverbrauch verdoppelt sich bis 2045
Prognosen sagen, dass sich der Bruttostromverbrauch in Deutschland bis 2045 mehr als verdoppeln wird, von heute 530 TWh auf bis zu 1.300 TWh, teilt das Umweltministerium in Niedersachsen mit. Niedersachsen ist Stromüberschussland. Laut Ministerium gibt es auch für den steigenden Anteil von Wärmepumpen und E-Autos grundsätzlich ausreichend Strom. "Von daher ist die Abschaltung von Endverbrauchern wegen Strommangel für Norddeutschland eher unwahrscheinlich", sagt das Umweltministerium. Die Regelung der Bundesnetzagentur sei eine Vorsorge für Bereiche, wo der Netzausbau noch nicht stattgefunden hat. So soll die Verkehrs- und Wärmewende beschleunigt und die Versorgungssicherheit auch in der Niederspannung gewährleistet werden.
Investitionen in Milliardenhöhe
Die Bürger in Niedersachsen müssen aber dennoch in den kommenden Jahren mit mehr Baustellen rechnen. Um neue Leitungen zu verlegen, müssen Straßen aufgerissen werden. Neue Trafohäuser brauchen Platz in den Kommunen. Hendrik Paul von avacon in Lüneburg hofft, dass die Bürger die Maßnahmen akzeptieren. Auch das sei ein wichtiger Teil, um die Energiewende zu schaffen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BdEW) rechnet für den Aus- und Umbau der Netze mit Investitionen in Milliardenhöhe. Die Bürger tragen die Kosten für den Hausanschluss, der Netzbetreiber muss den Ausbau des Niederspannungsnetzes finanzieren. Der BdEW fordert dafür einen neuen, angemessenen regulatorischen Rahmen. Darauf hoffen auch die Stadtwerke Wolfenbüttel. Denn ohne gesicherte und ausreichende Refinanzierung werde kein Stadtwerk über den heutigen Bedarf investieren können, heißt es. Und das würde einer erfolgreichen Energiewende im Weg stehen.