Klimafreundliches Fliegen? CO2-neutrales Kerosin aus Werlte

Stand: 28.06.2024 21:50 Uhr

Auch der Flugverkehr belastet das Weltklima. Grund dafür ist der Treibstoff Kerosin. Einer Anlage in Werlte ist es nun gelungen, CO2-neutrales Kerosin herzustellen - wenn zunächst auch nur in kleinen Mengen.

Normalerweise wird Kerosin aus Erdöl hergestellt. Beim Verbrennen des Treibstoffes im Flugverkehr entstehen klimaschädliche Abgase, ähnlich, wie beim Autofahren mit Verbrennungsmotor. Mit der Anlage in Werlte (Landkreis Emsland) sollen Wege zum klimafreundlichen Fliegen aufgezeigt werden: Dort wurden nun die ersten fünf Tonnen Kerosin hergestellt - das sind ungefähr 6.000 Liter. Dafür wurden ausschließlich erneuerbare Energien und Ressourcen verwendet. Der Betreiber der Anlage ist Atmosfair, eine gemeinnützige Klimaschutzorganisation aus Berlin, und ihre Betreiberfirma Solarbelt. Ihr zufolge ist die Anlage im Emsland die weltweit erste industrielle dieser Art, die erfolgreich produziert hat. Sie steht auf dem Gelände des Energieversorgers EWE.

Produziertes Kerosin hat erstmal nur symbolischen Charakter

Ein Lkw wird an der Anlage von Atmosfair beladen. Die Pilotanlage im Emsland produziert den Flugzeugtreibstoff aus Strom, Wasser und CO2 aus der Luft. © Lars Penning/dpa Foto: Lars Penning
Am Freitag wurde erstmals getestet, ob sich die ersten fünf Tonnen des grünen Kerosins problemlos in einen Tanklaster verladen lassen.

Mit der bisherigen Produktion von fünf Tonnen sollte zunächst gezeigt werden, dass das Verfahren zur Kerosinherstellung mithilfe elektrischen Stroms überhaupt funktioniert, sagen die Betreiber. Denn bei den fünf Tonnen handle es sich um Kleinstmengen. Zum Vergleich: Allein im Jahr 2023 haben deutsche Fluggesellschaften den Angaben zufolge über zehn Millionen Tonnen Kerosin verbraucht. Ab 2026 soll die Anlage in Werlte rund 250 Tonnen des CO2-neutralen Kerosins jährlich produzieren.

Betreiber sehen Fluggesellschaften in der Verantwortung

Werlte: Blick auf Leitungen einer Anlage zur Produktion von CO2-neutralem Kerosin. © picture alliance Foto: Friso Gentsch
Den Betreibern zufolge zufolge ist die Anlage im Emsland die weltweit erste industrielle dieser Art.

Die Anlage wurde im Herbst 2021 in Werlte durch die damalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) in Betrieb genommen. Laut des Betreibers hat es rund zweieinhalb Jahre Entwicklungszeit gebraucht, bis nennenswerte Größen Kerosin hergestellt werden konnten. Die Betreiber fordern mehr Investitionen in diese Technologie, um mehr Flüge mit dem grünen Kerosin betreiben zu können. Dabei sehen sie vor allem Fluggesellschaften in der Verantwortung: "Die Fluggesellschaften müssen sich im eigenen Interesse jetzt selbst engagieren, wenn sie ihr Businessmodell erhalten wollen, und dürfen nicht weiter auf die Politik verweisen." Ab Herbst wollen den Angaben zufolge zwei Reiseveranstalter Exkursionen mit einer Beimischung des in Werlte produzierten Kerosins anbieten.

Wasser, Strom und CO2 aus der Luft

Der Kraftstoff, der das Fliegen grüner machen soll, wird synthetisch aus Wasser und aus erneuerbarem Strom von Windrädern und Solaranlagen aus dem Umland gewonnen. Außerdem ist CO2 notwendig: Zum einen wird dieser durch eine Biogasanlage geliefert. Zum anderem wird Kohlenstoffdioxid für den Herstellungsprozess durch eine spezielle Anlage aus der Umgebungsluft herausgezogen. Das produzierte Kerosin ist den Angaben zufolge in dem Sinne klimaneutral, dass beim Verbrennen im Flugzeugtriebwerk nur so viel CO2 ausgestoßen wird, wie vorher bei der Herstellung der Umgebungsluft entzogen wurde. Da der Flugtreibstoff aber in einer Raffinerie verarbeitet und dort hin- und zurücktransportiert werden muss, erziele er insgesamt eine CO2-Ersparnis von 96 Prozent im Vergleich zu Erdöl.

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Weltweit gibt es nicht genug erneuerbare Energien

Trotzdem bleibt den Betreibern zufolge immer noch als wichtigste Klimaschutzmaßnahme, weniger zu fliegen. Denn im heutigen Ausmaß sei klimafreundliches Fliegen schlichtweg nicht machbar. Die Herstellung des CO2-neutralen Kerosins sei sehr energieaufwendig. Das liegt vor allem am extrem hohen Verbrauch von klimaschonend produziertem Strom, der zum Beispiel aus Wind, Sonne oder Biomasse kommen kann. Weil regenerativer Strom in vielen anderen Bereichen benötigt wird, stellt sich - ähnlich, wie bei den e-Fuels im Autobereich, die Frage, wie sinnvoll eine "Umwandlung" von Strom in Flüssigtreibstoff wie Kerosin ist. Um den weltweiten Luftverkehr mit klimafreundlichem Kerosin auszustatten, gibt es derzeit einfach nicht genug erneuerbare Energien. Die Kapazitäten erneuerbarer Energien sollten deshalb zunächst weltweit verdoppelt werden, so die Betreiber Anlage in Werlte.

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Hallo Niedersachsen | 28.06.2024 | 19:30 Uhr

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