Fehlende Fachkräfte: Der Mangel wird sich noch verschärfen
In Niedersachsen sind fast 25 Prozent der Beschäftigten laut Industrie- und Handelskammer älter als 55 Jahre. Könnten junge Zuwanderer eine Lösung sein? Wie wollen die politischen Parteien das Problem anpacken?
Auf dem geräumigen Hof der Dachdeckerei Hanebutt mit Sitz in Neustadt am Rübenberge fahren die Bullis zu ihren Einsätzen ein und aus. In einer eigenen Lehrwerkstatt wird der Nachwuchs ausgebildet. Hamza Cetinkaya, Amadou Diogo Barry und Maxim Usolschev sind drei von insgesamt 80 Azubis deutschlandweit, die lernen, wie Holz professionell gesägt, Schindeln zurechtgeklopft und dann auf ein Hausdach montiert werden. Die Firma hat 350 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus 36 Nationen. Und trotzdem sucht Senior-Chef Henning Hanebutt weitere Arbeitskräfte, sagt er dem NDR: "Wir waren schon in Indien, um zu gucken, ob wir dort eine Kooperation machen können. Da sind wir sehr gespannt!" Auch bei der Firma Hanebutt gehen in den nächsten Jahren zahlreiche Menschen in den Ruhestand. Hätte die Firma mehr Mitarbeiter, könnte sie außerdem schon jetzt mehr Aufträge annehmen.
Fachkräftemangel betrifft viele Branchen
Nicht nur im Handwerk gehen viele Mitarbeiter in den nächsten Jahren in Rente. Es betrifft auch die öffentliche Verwaltung. Gerade erst wurde in Niedersachsen auch für diese Branche eine Kampagne zum Anwerben für Kräfte aus dem Ausland gestartet. Demografisch bedingt verliert der deutsche Arbeitsmarkt ohne Zuwanderung in den nächsten zehn Jahren sieben Millionen Arbeitskräfte. Das ist die offizielle Zahl, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit errechnet hat.
Firma Hanebutt: Kreativ in der Mitarbeitergewinnung
Die Firma Hanebutt sucht aktiv im Ausland und im Inland und ist dabei kreativ: Azubis bekommen eine Skifreizeit in Österreich geboten, in der es bei Seminaren auch um Persönlichkeitsbildung geht. Sozialarbeiterin Kristina Schwarz ist festangestellt, hat ein offenes Ohr für die Jugendlichen und hält den Draht zu dem Schulen der Umgebung. Weil die Firma sich sozial engagieren will, gibt Kristina Schwarz auch Nachhilfe. "Die Jugendlichen haben derzeit relativ freie Auswahl, da müssen die Firmen schon einiges tun", sagt sie.
Selbsthilfe: Das Projekt "Brückenbauer" aus Hannover
Die einen suchen dringend Mitarbeiter, andere können ein Lied davon singen, wie schwierig es zum Teil ist, beruflich trotz aller Zielstrebigkeit erfolgreich zu sein. Beim Projekt "Brückenbauer" aus Hannover engagieren sich junge Erwachsene mit Fluchterfahrung. Projektleiter Bernd Schlierf erklärt, dass es darum geht, ehrenamtlich andere zu beraten, damit die es einfacher haben und bestärkt werden bei Höhen und Tiefen: "Und wer weiß besser wie sich das anfühlt, als jene, die es selbst erlebt haben?"
Empfehlung: Mehr Rat für den Einzelnen
Alpha Bacar Diallo aus Guinea in Westafrika hat sich allein nach Europa durchgeschlagen und landete mit 16 in der Obhut des Jugendamtes in Ostfriesland. Seinen Betreuern ist er dankbar. "Es ist nicht einfach, das alleine zu schaffen. Ich habe Unterstützung bekommen. Aber ich habe andere gesehen, die waren mehr auf sich gestellt." Heute hat er als Fachkraft für Logistik einen festen Job. Er meint, dass es sich lohne, wenn Flüchtlinge mehr Ratgeber aus der deutschen Gesellschaft an ihrer Seite hätten.
Trotz festen Vertrags nur geduldet
Auch Rabih Ghandour engagiert sich bei den "Brückenbauern". Er ist IT-Fachkraft, hat sich in drei Jahren deutsch beigebracht und sich fortgebildet. Er hat einen unbefristeten Vertrag bei einer großen Firma, bei der er am wichtigen Thema IT-Sicherheit arbeitet. Doch obwohl Rabih Ghandour hier eine gesuchte Fachkraft ist, weiß er nicht, ob er überhaupt in Deutschland bleiben kann. Er kommt aus dem Libanon und hat kein Recht auf Asyl. Sein Fall liegt wie zahlreiche andere bei der Härtefallkommission des Landes.
Das Wahlthema: Migration und Zuwanderung von Fachkräften
In den Wahlprogrammen gehen alle größeren Parteien auf das Thema "Zuwanderung gegen Fachkräftemangel" ein, verfolgen teils ähnliche, teils aber auch sehr unterschiedliche Pläne und Ziele.
Die Pläne der SPD
Die SPD will eine "moderne Einwanderungsgesellschaft". Die Fachkräfteeinwanderung soll vereinfacht werden. Die Partei will dafür sorgen, dass Qualifikationen und Abschlüsse aus dem Ausland einfacher anerkannt werden. Integrationskurse sollen ausgebaut, die Ausländerbehörden und der Datenaustausch gestärkt werden.
Die Pläne der CDU
Die CDU schreibt in ihrem "Regierungsprogramm": "Für ausländische Fachkräfte wollen wir ein attraktiver Standort sein und lebenswerte Heimat werden." Die Idee: eine digitale "Work-and-Stay-Agentur". Sie könnte Service aus einer Hand bieten: Anwerbung, Arbeitsplatzvermittlung, Prüfung der Einreisevoraussetzungen, Visavergabe. Den Fokus will die CDU auf die vereinfachte und beschleunigte Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen legen.
Die Pläne der Grünen
Im Wahlprogramm steht: "Deutschland ist und bleibt ein Einwanderungsland." Die Grünen plädieren für eine Digitalisierung der Visavergabe, um Wartezeiten zu verkürzen. Außerdem sollen Bildungsabschlüsse leichter anerkannt und die Anrechnung von Berufserfahrung entbürokratisiert werden. Wo es sinnvoll ist, wollen die Grünen den "Spurwechsel" ermöglichen, also den Wechsel vom Asylbewerber zur Arbeitskraft: "Wer arbeiten kann, soll arbeiten dürfen."
Die Pläne der FDP
Die Partei möchte ein "Einwanderungsgesetz aus einem Guss", in dem alle gesetzlichen Grundlagen für Einwanderung und Asyl gebündelt werden. Sie will für eine Neuorganisation der behördlichen Strukturen sorgen. Wer auf den deutschen Arbeitsmarkt einwandern will, soll nur noch mit einer staatlichen Stelle zu tun haben. Dafür soll der Visaprozess auf den Prüfstand gestellt werden. Anders als die anderen Parteien erwähnt die FDP, dass sie das Instrument der Westbalkanregelung ausweiten möchte.
Die Pläne der AfD
Die Partei will verhindern, dass einheimische Arbeitskräfte oder Unternehmen abwandern. Sie stellt sich Rückgewinnungsprogramme für abgewanderte Leistungsträger vor. Auch technologische Lösungen wie Künstliche Intelligenz (KI), Robotik und Digitalisierung können aus Sicht der AfD helfen, den Fachkräftemangel zu überwinden. Im Rahmen eines Auswahlverfahrens will die AfD ein Punktesystem mit klaren Auswahlkriterien, wie z. B. Berufserfahrung, bereits bestehende Arbeitsverhältnisse oder ausreichende Sprachkenntnisse einführen.
Die Pläne der Linke
Die Linke sagt: Es braucht Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse unabhängig von Beschäftigungsdauer und Arbeitgeber. "Qualifikationen und Abschlüsse aus von Nicht-EU-Bürger*innen müssen schneller anerkannt werden". Alle Geflüchteten sollen ab dem Tag ihrer Ankunft eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis erhalten.
Die Pläne des BSW
Das BSW schreibt in seinem Wahlprogramm: "Fachkräfte-Mangel ist in Deutschland seit Jahren ein großes Thema. Leider führt die Debatte in der Regel nur zu einem Ruf nach mehr Einwanderung." Die Partei finde, dass statt der Anwerbung ausländischer Fachkräfte zunächst junge Menschen aus Deutschland qualifiziert werden sollten.