Ein Jahr Rot-Grün: Wie steht es um das Wunschbündnis?

Stand: 07.11.2023 14:27 Uhr

von Hilke Janssen

Seit einem Jahr regiert in Hannover die rot-grüne Landesregierung. Das Zwischenfazit dieser Amtszeit fällt durchwachsen aus. Kurzfristige Krisenpakete mussten geschnürt werden. Andere Vorhaben und Wünsche sind darum bisher auf der Strecke geblieben. 

War dieses erste Regierungsjahr erfolgreich für Rot-Grün?

Jein. Viele eigene Projekte hat die Landesregierung bisher noch nicht umgesetzt. Das liegt allerdings auch daran, dass Rot-Grün zum Start in großen Teilen mit Krisenbewältigung beschäftigt war: Die Folgen des Kriegs in der Ukraine, hohe Geflüchteten-Zahlen und stark gestiegene Preise haben das Anpacken eigener Projekte ausgebremst. Der Eindruck: Es wird viel verwaltet, aber von Aufbruchstimmung ist kaum etwas zu spüren.

Wie verstehen sich die Koalitionspartner?

Die Zusammenarbeit zwischen SPD und Grünen klappt eindeutig besser als bei der Vorgänger-Regierung aus SPD und CDU. Zwischen denen galt die Stimmung damals teilweise als eisig. SPD und Grüne sind sich inhaltlich näher; manchmal wird auch gemeinsam gefeiert. Nach der harmonischen Liebesheirat zu Beginn stellt sich nun aber auch Ernüchterung ein: Weil das Geld im Haushalt knapp ist, gibt es natürlich Rangeleien, welche Ministerin und welcher Minister für sich das meiste herausholt. Hinter vorgehaltener Hand wird auch gegenseitig über vermeintliche Schwächen des jeweiligen Koalitionspartners gestichelt.

Welche Projekte wurden bisher umgesetzt?

Beschlossen ist, dass viele Lehrerinnen und Lehrer mehr Geld bekommen: Das Einstiegsgehalt für Grund-, Haupt- und Realschulen soll ab Sommer 2024 um eine Gehaltsstufe steigen. Auch für Polizeibeamte gibt es eine Zulage. Ein neues Windenergie-Gesetz sorgt dafür, dass in den Landkreisen mehr Flächen als bisher für Windenergie genutzt werden; außerdem fließt zukünftig direkt Geld in die Kasse von Dörfern und Gemeinden, wenn Windräder gebaut werden. Verabschiedet hat Rot-Grün außerdem zwei milliardenschwere Krisenpakete, um die Folgen des Kriegs in der Ukraine abzuschwächen und Haushalte, Kitas, Schulen und Firmen zu entlasten. In der Praxis gibt es aber einen Haken: Die Wirtschaftshilfen für Unternehmen in Höhe von 200 Millionen Euro wurden kaum nachgefragt. Nur zwölf Anträge sind eingegangen. 

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Womit handelt sich Rot-Grün die meiste Kritik ein?

Die Liste an Kritik, Forderungen und Wünschen von allen Seiten ist lang - das ist nach einem Jahr Amtszeit aber auch nicht ungewöhnlich. Druck ist vor allem auf den Kitas und Schulen: Es fehlt an Personal, zu viel Unterricht und Betreuungszeit fällt aus. Die Landesregierung zeige beim Thema Bildung keinerlei Initiative, kritisieren CDU und AfD. Unmut gibt es auch, weil vielen Krankenhäusern das Geld ausgeht und die Kommunen die steigende Zahl an Flüchtlingen kaum mehr unterbringen können. Aus nahezu allen Bereichen - von Wirtschaft und Handwerk über Landwirtschaft bis zu Sozialverbänden - kommen außerdem Beschwerden über zu viel Bürokratie. Auch Armut und fehlende günstige Wohnungen sind dauerhafte Probleme.

Warum geht es an manchen Stellen nicht weiter?

Viele Probleme wird Rot-Grün nicht lösen können. Den Fachkräftemangel zum Beispiel kann eine Landesregierung allein nicht in den Griff bekommen. Und die Forderung nach mehr Geld für Flüchtlinge oder Krankenhäuser richtet sich oft weniger an die Regierung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), sondern eher an die Bundesregierung. Auch über den von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften dringend geforderten Industriestrompreis wird in Berlin oder Brüssel entschieden. Trotzdem kritisieren Opposition und viele Verbände, dass Rot-Grün im Land kaum oder falsche Akzente setzt. Die Landesregierung "verliert sich beim Regieren in unwesentlichen Details", heißt es von der CDU. Die AfD findet, dass der "Mangel mehr schlecht als recht verwaltet" werde. Die Gewerkschaft ver.di fasst es so zusammen: "Wir erwarten von Rot-Grün mehr Drive."

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Was muss die Landesregierung noch anpacken?

Vier Jahre Regierungszeit liegen noch vor SPD und Grünen. Die werden wahrscheinlich nicht einfacher als das erste Jahr. Niedersachsen sei wie der Rest der Republik "nicht auf Rosen gebettet", sagt Ministerpräsident Weil und meint damit die angespannte finanzielle Lage des Landes. Soll heißen: Ob und wann weitere Vorhaben umgesetzt werden, ist offen. Die größte außerplanmäßige Aufgabe der Landesregierung ist, zukünftig mehr Kapazitäten für Geflüchtete zu schaffen. Darüber hinaus soll in 2024 eine Landeswohnungsbaugesellschaft gegründet werden. Sie soll für mehr bezahlbaren Wohnraum sorgen. Auf der To-do-Liste der Landesregierung steht außerdem ein 29-Euro-Ticket für Azubis. Und die Aufgabe, dass die Verwaltung grundsätzlich schneller, einfacher und digitaler werden soll.

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Hallo Niedersachsen | 07.11.2023 | 19:30 Uhr

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