Bauernproteste: Junglandwirte gegen rechtsextreme Hetze
"Identitäre Bewegung" auf der Bauerndemo in Hannover, völkische Symbole im Protestzug in Emden, Hetze in sozialen Medien: Junge Landwirte in Niedersachsen fordern eine klare Abgrenzung vom Rechtsextremismus.
Raffael Kreißl kniet mit einem Pinsel in der Hand vor einem großen Banner mit der Aufschrift: "Für Vielfalt auf dem Acker - Gegen Gentechnik. Für Vielfalt in der Gesellschaft - Gegen rechte Hetze". Gemeinsam mit anderen Mitgliedern der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jAbL) in Lüneburg malt er das Banner für eine Demonstration im Rahmen der Grünen Woche in Berlin. Der 29-Jährige arbeitet in einem solidarischen Landwirtschaftsbetrieb und studiert Umweltwissenschaften.
"Ein klares Statement ist wichtig"
Die Botschaft auf dem Banner ist ihm wichtig, denn er und seine Mitstreiter machen sich Sorgen, dass Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker ihren Protest für sich nutzen: "Gerade jetzt mit den Bauernprotesten, wo ja immer wieder auch versucht wurde, das von rechts zu vereinnahmen, ist es total wichtig, dass es ein klares Statement gibt", sagt Kreißl mit Blick auf den fertigen Schriftzug.
Identitäre Bewegung in Braunschweig und Hannover
Hanna Koop, Junglandwirtin aus Handrup, hat in diesem Jahr das erste Mal für ihre Zukunft in der Landwirtschaft demonstriert. Durch ihr Engagement in der katholischen Landjugendbewegung ist sie landesweit gut vernetzt und hat so von einigen Zwischenfälle bei Demonstrationen mitbekommen: "Es wurden zum Beispiel Bilder von Autos oder Personen verschickt, die versucht haben, irgendwelche Flyer mit rechtem Gedankengut zu verteilen oder Personen mit Fahrzeugen, die dann mit rechten Fahnen geschmückt sind. Also da werden schon verschiedene Wege genutzt."
Die Sorge der jungen Landwirte ist nicht unbegründet. Recherchen des NDR Niedersachsen zeigen zum Beispiel, dass die als rechtsextrem eingestufte "Identitäre Bewegung" an der großen Kundgebung am 11. Januar in Hannover teilgenommen hat und sich in Telegram-Chatgruppen damit rühmt: "Eine erfolgreiche Kundgebung mit 1.800 Fahrzeugen geht zu Ende", schreibt ein Teilnehmender. Andere posten Fotos, zum Beispiel aus Braunschweig, darauf zu sehen Traktoren mit Banner: "Lieber die Pest im Stall als rot, gelb, grün in Berlin" und dem Aufruf der Identitären: "Raus auf die Straßen!"
Gewaltsymbole und völkische Fahnen
Ein Symbol, das in den vergangenen Wochen immer wieder auftaucht, ist die Ampel am Galgen. Die aggressive Darstellung steht unter dem Verdacht, als öffentliche Aufforderung zu Straftaten gewertet werden zu können. Vereinzelt werden auf den Treckerdemos außerdem völkische Symbole gesichtet. Bei einer Demonstration in Wiesmoor am 8. Januar fuhr ein Trecker mit einer Fahne mit der Aufschrift: "Deutscher durch Geburt, Ostfriese durch die Gnade Gottes".
Am selben Tag in Emden zu sehen: Ein Trecker mit der Fahne der Landvolkbewegung - nicht zu verwechseln mit dem aktuellen Landesbauernverband "Landvolk Niedersachsen". Die historische Landvolkbewegung bildete sich in den 1920er-Jahren während der damaligen Agrarkrise in Schleswig-Holstein und radikalisierte sich schnell. Ideologisch hatte sie große Gemeinsamkeiten mit den Nationalsozialisten der NSDAP. Ihre schwarze Fahne mit weißem Pflug und rotem Schwert gilt auch heute noch als völkisches Erkennungszeichen.
Ein Anlass, das politische System verächtlich zu machen
Mehrere Polizeidirektionen in Niedersachsen bewerteten die Demonstrationen als überwiegend friedlich. Die Direktionen in Göttingen und Braunschweig teilten auf Anfrage des NDR Niedersachsen mit, dass ihnen die Beteiligung von "Reichsbürgern" und "Querdenkern" bekannt sei. Im Raum Braunschweig habe es auch vereinzelt Versuche von Rechtsextremisten gegeben, sich mittels Solidaritätsbekundungen unter die Proteste zu mischen. Laut Niedersachsens Verfassungsschutz dienen die Bauernproteste den rechten Gruppen "in erster Linie als Anlass, das politische System und seine Repräsentanten in Gesamtheit abzuwerten beziehungsweise verächtlich zu machen". Ein prägender Einfluss auf die Demonstrationen sei aber nicht festzustellen.
Göttinger Agrarsoziologin kritisiert mangelnde Distanzierung
Alle organisierenden Bauernverbände haben sich in offiziellen Stellungnahmen vom rechtsextremen Rand distanziert. Auf der großen Demonstration in Hannover prangte an mehreren Stellen der Slogan "Landwirtschaft ist bunt, nicht braun". "Dass viele Trecker auf den Demos jetzt auch mit diesen Sprüchen beklebt sind, ist natürlich eine positive Entwicklung", sagt die Agrar-Soziologin Janna Luisa Pieper von der Universität Göttingen. Doch sie warnt auch davor, das Problem einfach abzutun. Pieper erforscht seit Jahren bäuerliche Protestbewegungen und kritisiert, dass Landwirtinnen und Landwirte rechtspopulistische Einflüsse teilweise auch zuließen.
Junglandwirte setzen auf Information und Bildung
Diesen Vorwurf wollen gerade junge Landwirtinnen und Landwirte nicht auf sich sitzen lassen. Raffael Kreißl aus Lüneburg hat vor Kurzem sogar an einem Diskussionstraining gegen Demokratiefeindlichkeit teilgenommen. Zu Beginn der Proteste hatte das die junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft auf Wunsch der Mitglieder kurzerhand organisiert. Kreißl selbst hat auch schon Situationen erlebt, in denen ein Gespräch über Landwirtschaft in eine verschwörungstheoretische oder antisemitische Richtung abdriftete. "Da auch eine Souveränität zu bekommen, sich hinzustellen und auch eine Demokratie zu verteidigen, das ist schon etwas, was mich total bestärkt", sagt Kreißl.