Armutsfalle Pflegeheim: Nur noch Taschengeld im Alter
Das Armutsrisiko für alte, pflegebedürftige Menschen steigt. Die Kosten für das Pflegeheim sind für viele nicht mehr bezahlbar - die Rente reicht dafür bei Weitem nicht aus.
Gerade hat die Krankenkasse DAK-Gesundheit erschreckende Zahlen aus einer Studie dazu präsentiert. Danach sind wieder mehr Pflegebedürftige auf Sozialhilfe angewiesen. Belastend für alle, die ihr Leben lang gearbeitet haben. Das System der Pflegeversicherung versagt für alle sichtbar und für viele empfindlich spürbar.
Kosten für Pflege nur mit Sozialhilfe zu stemmen
Die Zahlen, die die DAK-Gesundheit präsentiert, beunruhigen: In diesem Jahr, so hat der Bremer Pflegeforscher Heinz Rothgang für die Krankenkasse errechnet, werden durchschnittlich 32,5 Prozent aller Heimbewohner und Heimbewohnerinnen Sozialhilfe bekommen, die sogenannte Hilfe zur Pflege. Sie dürfen damit maximal 10.000 Euro von ihrem Geld behalten und bekommen monatlich nur noch ein Taschengeld. Ihr Erspartes oder Grundbesitz muss dann im Regelfall vorher zur Finanzierung des Heimplatzes aufgewendet werden. Ihre Kinder müssen allerdings nur dann für den Heimplatz zahlen, wenn sie wohlhabend sind und mehr als 100.000 Euro Bruttojahreseinkommen haben.
Zahlen vom Verband der Ersatzkassen zeigen: Im Schnitt kostet ein Heimplatz in Niedersachsen aktuell fast 2.200 Euro Eigenanteil. Ein Anstieg von rund 380 Euro im Vergleich zum Vorjahr. Das sind Preise, die kaum ein niedersächsischer Rentner selbst tragen kann. So lag die Durchschnittrente für Männer in Niedersachsen 2021 bei 1.278 Euro, für Frauen bei 741 Euro.
Armutsrisiko betrifft immer mehr Menschen: Ein "Rekordwert" droht
"Wir haben die Sorge, dass das Pflegeheim zur Armutsfalle für die Pflegeheimbewohner wird", sagt Dirk Vennekold, Leiter der niedersächsischen Landesvertretung der Kasse DAK-Gesundheit. "Der Anteil der Sozialhilfeempfänger in den Pflegeheimen liegt mittlerweile bei einem Drittel und wird in den nächsten Jahren auf über 36 Prozent steigen. Das ist ein Rekordwert."
Entlastung für Pflegebedürftige hat nicht funktioniert
Die Zahl der pflegebedürftigen Sozialhilfeempfänger steigt, weil auch die Eigenanteile für Heimbewohnende wieder exorbitant steigen - obwohl der Staat jüngst gegensteuern wollte. Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte kurz vor seinem Ausscheiden aus der Regierung noch gestaffelte Entlastungszuschläge eingeführt, die die Kosten abfedern sollten. Das hat aber nicht funktioniert, weil die Kosten insgesamt explodierten.
Pflegeversicherung deckt nur einen Teil der Heimkosten ab
Im vergangenen Sommer stiegen auch die Renten. Eigentlich sollten Seniorinnen und Senioren damit mehr im Portemonnaie haben. Doch inzwischen müssen Pflegekräfte nach Tarif bezahlt werden und die allgemeinen Kosten für Energie und Lebenshaltung sind enorm gestiegen. Das geben die Einrichtungen an die Bewohnenden weiter, denn der Anteil der Pflegeversicherung ist fest definiert - abhängig vom Pflegegrad - und deckt nicht alle Kosten ab. Den flexiblen Rest für Pflege, Essen, Unterkunft und Reparaturen zahlen die Bewohnerinnen und Bewohner.
Besorgte Anrufer: Sozialämter erleben Ansturm
Die Not der alten Menschen, die ihre Heimkosten nicht mehr selbst schultern können, ist bei den Landkreisverwaltungen ein Dauerthema. Die Kreise zahlen die Sozialleistungen für den Bund aus und sind Adressaten für die Anträge. Hubert Meyer vom Niedersächsischen Landkreistag berichtet: "Uns erreichen viele besorgte Anrufer aus den Pflegeheimen, die darauf hinweisen, dass sie ihre Anteile nicht mehr selbst zahlen können. Das hat zu einem erheblichen zusätzlichen Ansturm in den letzten Monaten geführt und zu längeren Bearbeitungszeiten. Die Politik nimmt das aus unserer Wahrnehmung noch nicht ernst genug und bringt noch nicht deutlich genug zum Ausdruck, dass mehr Geld in die Pflege kommen muss."
Versteht die Politik den Ernst der Lage nicht?
Auch Niedersachsens Diakonievorstand Hans-Joachim Lenke ist der Ansicht, dass die Entscheidungsträger den drängenden Problemen nicht wirksam begegnen: "Die Politik hat in den vergangenen Jahren kosmetische Korrekturen vorgenommen, aber das Grundproblem nicht wirklich angepackt." Er wirbt für das Modell, das Pflegeforscher Rothgang etabliert hat: eine Art Vollkaskoversicherung statt wie bisher Teilkasko. Damit würden die Eigenanteile der Versicherten eingefroren: "Wir müssen den Sockel fix von den Pflegebedürftigen finanzieren lassen und das, was darüber hinausgeht, müssen wir von der Pflegeversicherung gedeckt sehen. Meines Erachtens kann es nur so gehen", sagt Lenke. "Das hat natürlich zur Folge, dass wir einen stärkeren steuerfinanzierten Anteil in der Pflegeversicherung brauchen."
Verbände fordern mehr Unterstützung
Eine Position, die auch die anderen Einrichtungsträger in der Landesarbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände teilen, wie deren Vorsitzender Ralf Selbach betont. Er kritisiert, dass die Politik immense Kostensteigerungen beschlossen habe, ohne die Finanzierbarkeit durch die Betroffenen sicherzustellen. Die exorbitanten Mehrkosten würden komplett auf die betroffenen Menschen abgewälzt und zwängen sie kurzfristig in die Sozialhilfe.
14 Milliarden Euro für eine große Pflegereform
Auch die DAK-Gesundheit fordert eine echte Reform der Pflegefinanzierung hin zu einem verlässlich gedeckelten Eigenanteil. "Das würde nach unseren Berechnungen etwa 14 Milliarden Euro kosten. Das ist viel Geld, aber kurzfristig muss es das Ziel sein, den Anteil der Sozialhilfeempfänger in den Pflegeheimen wieder auf unter 30 Prozent zu drücken", sagt Dirk Vennekold. Wenn man die Lasten fair verteile, dann sei das machbar. Die DAK gehe davon aus, dass eine große Pflegereform mit sieben bis acht Millionen Euro an Steuern und höheren Beiträgen zur Pflegeversicherung im Gesamtumfang von 6,5 Milliarden finanzierbar sei - also rund 14 Milliarden.