Pleitewelle droht: "Der Patient Krankenhaus ist kritisch krank"
"Alarmstufe Rot: Krankenhäuser in Not" - unter diesem Titel haben Klinikbeschäftigte am Dienstag in Niedersachsen auf die prekäre Finanzlage der Krankenhäuser aufmerksam gemacht.
Die wirtschaftliche Situation vieler Kliniken in Niedersachsen sei verheerend, hieß es in einer Erklärung der "Niedersächsische Allianz für die Krankenhäuser" - und die Liste der Probleme lang. Die Inflation habe die Personal- und Sachkosten extrem ansteigen lassen. Hinzu komme ein Investitionsstau in Milliardenhöhe. Das Risiko, dass Kliniken in die Insolvenz gehen, steige stetig an. Die notwendige Refinanzierung fehle. Um den Kliniken schnell zu helfen, fordern die 19 Verbände und Organisationen auch einen Inflationsausgleich für die Jahre 2022/23 sowie eine dauerhafte Refinanzierung von Tarifkostensteigerungen. Andreas Hammerschmidt, zweiter Vorsitzender des Marburger Bundes in Niedersachsen, sagte am Dienstag in Hannover: "Der Patient Krankenhaus ist kritisch krank."
Philippi fordert pauschale Zahlung des Bundes
Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi forderte den Bund am Dienstag auf, vor der Sommerpause eine Pauschale von 2,5 Milliarden Euro an die finanziell angeschlagenen Krankenhäuser in Deutschland auszuzahlen. "Das ist dringend notwendig, damit im Kern gut aufgestellte Krankenhäuser erhalten bleiben", sagte der SPD-Politiker. Ansonsten drohe einigen Krankenhäusern im Sommer die Insolvenz. Finanziert werden soll die Unterstützung aus einem Energiehilfe-Programm des Bundes. Das umfasst 4,5 Milliarden Euro, wurde bisher aber nur schleppend ausbezahlt. Philippi hatte vorgeschlagen, einen Teil davon als Pauschale an die Krankenhäuser zu geben. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unterstützt das und bat um eine entsprechende Umwandlung von 2,5 Milliarden Euro. Wie viel Geld davon auf Niedersachsen entfallen würde, konnte das Ministerium in Hannover noch nicht beziffern.
"Die Uhr läuft gnadenlos gegen die Krankenhäuser"
90 Prozent aller Kliniken in Niedersachsen rechnen mit roten Zahlen zum Jahresabschluss, so die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft (NKG). Jeden Tag wachse das Defizit demnach um 1,46 Millionen Euro. Für dieses Jahr sei ein Minus von mehr als 500 Millionen Euro zu erwarten. "Die Uhr läuft gnadenlos gegen die Krankenhäuser", sagte NKG-Landesvorsitzender Hans-Heinrich Aldag. "Ihr Finanzierungssystem sollte zumindest eine schwarze Null ermöglichen, das ist aber aktuell überhaupt nicht absehbar." Der Investitionsstau belaufe sich aktuell auf rund drei Milliarden Euro. "Die aufgelaufenen Defizite dürfen nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden oder zu Lasten der Patientinnen und Patienten gehen", hieß es in dem Schreiben. Und Aldag warnte: "Aktuell stellt sich nicht die Frage ob, sondern wann für einzelne Kliniken die Zeit endgültig abläuft."
Warnungen vor unkontrollierten Schließungen
Der Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke, warnte indes vor katastrophalen Auswirkungen für das Flächenland, wenn "benötigte Häuser unkontrolliert schließen und Lücken in das Versorgungsnetz reißen" würden. Nicht nur finanziell auch personell sei das System ausgelaugt. Arbeitskräfte fehlten in allen Bereichen von Ärzten über Pflegekräfte bis hin zu Reinigungspersonal. Die Vorsitzende des Niedersächsischen Pflegerates, Vera Lux, sagte, es sei klar, dass es bei einer Neuregelung der Gesundheitsversorgung zu Einschnitten kommen müsse. "Aber ein unstrukturiertes Kliniksterben ist dafür der schlechteste Weg."
In ganz Niedersachsen protestieren Mitarbeitende in Kliniken
Von Göttingen bis Braunschweig über Osnabrück, Bad Bentheim, Meppen und darüber hinaus beteiligen sich Krankenhäuser an dem Aktionstag. Die Sprecherin des Klinikum Peine sagte, dass die Kosten an allen Stellen explodieren würden. Mitarbeitende hätten deswegen Flyer der Deutschen Krankenhausgesellschaft an Patienten verteilt. Der Forderung nach einem Inflationsausgleich schlossen sich mit Plakaten auch die Geschäftsführerin und Belegschaft der Harzkliniken in Goslar an. Der Geschäftsführer des städtischen Klinikums in Wolfenbüttel erklärte, dass Krankenhäuser steigende Preise nicht alleine ausgleichen könnten, weil sie die Preise für ihre Behandlungen nicht selbst festlegen dürften.
Schnelle Hilfe benötigt
Vom Agaplesion Klinikum Schaumburg hieß es, die wirtschaftliche Situation sei mehr als angespannt. Die Krankenhäuser müssten dringend gestärkt werden, um die Patientinnen und Patienten weiter versorgen zu können. Dabei würde auch ein Bürokratie-Abbau für alle Mitarbeitenden helfen. Die Krankenhäuser in der Region Hildesheim schlugen gemeinsam Alarm: die derzeitige finanzielle Krise sei für die Kliniken massiv herausfordernd, sagte der Geschäftsführer vom Sankt Bernward Krankenhaus Hildesheim, Stefan Fischer. Die gestiegenen Tarifkosten müssten refinanziert werden und es fehle ein Inflationsausgleich. Den könnten die Kliniken ja nicht einfach an die Patientinnen und Patienten weitergeben. Das AKH Celle mahnte: die aktuellen Reformpläne der Politik seien unterstützenswert - aber diese Reformen bräuchten Zeit, die die Kliniken aktuell nicht hätten. Es würden jetzt sofort finanzielle Hilfen benötigt.