Wie ticken Betrüger? Eine Psychotherapeutin klärt auf
Dr. Cathrin Chevalier ist psychologische Psychotherapeutin und Leiterin der Fachgruppe 3 "Kriminalwissenschaften" an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege in Güstrow. Im Interview erklärt sie, warum Betrüger oft so erfolgreich sind.
Es ist der aktuell wohl bekannteste Fall eines Betrügers in Mecklenburg-Vorpommern: Der Bestatter Enrico B. soll mehrere Frauen um hohe Geldbeträge betrogen und aus Sicht des Gerichts die emotionale Notlage der Geschädigten ausgenutzt haben. Das hat ihm auch den Namen "Trauerschwindler" eingebracht. Zudem werden ihm noch weitere Betrüge vorgeworfen, für die er teilweise verurteilt wurde oder die Verfahren noch laufen. Auch in diesem Fall fragen sich nicht nur seine Oper: Was macht Betrüger so erfolgreich und warum scheinen sie immer so ein gutes Gespür zu haben?
Frau Chevalier, wir möchten mit Ihnen über psychologische Hintergründe solcher Taten sprechen. Können Sie uns sagen, wie generell Betrüger arbeiten, wie sie vorgehen?
C. Chevalier: "Man muss bedenken, dass Betrüger tatsächlich ein komplexes Beziehungsgeflecht beherrschen müssen. Das heißt, sie müssen erkennen, was ist das Bedürfnis meines Gegenübers? Und sie müssen auch immer erkennen, wann hat mein Gegenüber zum Beispiel Zweifel oder Misstrauen und müssen darauf reagieren können. Und was Betrüger vor allen Dingen gut können, ist lügen. Also die meisten Menschen, wenn die lügen, die werden rot. Die werden nervös, die verknappen in der Kommunikation, um sich möglichst nicht in Widersprüche zu verstricken. Das alles hat der Betrüger nicht. Er kann also hervorragend lügen. Der empfindet keine Scham, keine Angst, keine Schuld wenn er lügt. Das machen ja die meisten Menschen."
Haben Betrüger ein besonderes Gespür für ihre Opfer?
C. Chevalier: "Ja, das müssen Betrüger haben, weil sie müssen ja erkennen können: was ist die Bedürftigkeit meines Gegenübers? Was muss ich bedienen, damit ich zu meinem Ziel komme."
Wie bringen Sie denn Opfer dazu, Dinge zu tun, die diese vielleicht bei Vorliegen aller Informationen anders oder gar nicht tun würden?
C. Chevalier: "Sie haben schon das Talent, ihr Gegenüber zu manipulieren. Man schreibt Betrügern auch so eine dunkle Triade zu, ein Persönlichkeitsprofil. Und diese Triade beinhaltet drei Konstrukte. Zum einen ist es der Narzissmus. Wir wissen, dass Betrüger tatsächlich sehr narzisstisch sind, also dass sie eine hohe, extreme Selbstbezogenheit haben, dass sie ausbeuterisch agieren. Wir wissen, dass sie sich überhöhen, indem sie andere abwerten, zum Beispiel. Und wir wissen auch, dass sie psychopathisch sind, dass sie tatsächlich so eine Skrupellosigkeit haben, dass sie tatsächlich auch so eine Strafunempfindlichkeit haben, dass sie impulshaft agieren und was wir auch über sie wissen ist, dass sie tatsächlich die Bedürfnisse des anderen gut kennen können und sich dann tatsächlich von jeglicher Moral entbinden können. Also es gibt ja immer Ethik und Moral. Und wir alle haben ja so einen moralischen Kompass. Aber Betrüger können sich davon völlig loslösen."
Wie kommt ein Betrüger zu seinen Opfern?
C. Chevalier: "Also ich glaube, dass ein Betrüger ganz gut wahrnehmen kann, wann ist das Opfer in einer dürftigen Situation? Wann hat es eine hohe Bedürftigkeit? Und wann kann es wahrscheinlich auch wenig auf ein soziales Netzwerk zurückgreifen, um vielleicht einen Faktencheck zu organisieren, zum Beispiel."
Das heißt, der Betrug funktioniert auch nicht bei jedem?
C. Chevalier: "Das würde ich so nicht sagen, weil ich glaube, wir Menschen gehen ja an Interaktion mit einer Art Vertrauen. Und wenn wir auf Menschen treffen, die uns Fragen stellen, dann beantworten wird die. Und wenn uns Menschen sympathisch sind, dann stellen wir auch immer mehr auf Gemeinsamkeiten ab. Das heißt, es machen wir alle. Wir haben ja alle so ein Vertrauen in Beziehungen. Und in der Situation selber, in der Tathandlung, erkennen Sie den Betrüger kaum an seinen Tathandlungen."
Haben Betrüger auch eine gewisse Ausdauer und müssen sie die auch mitbringen, auch eine Gewissenhaftigkeit?
C. Chevalier: "Ja, ich glaube schon. Also ich glaube, die haben tatsächlich ja immer ein bestimmtes Bedürfnis, was dem Betrug zugrunde liegt. Vielleicht kann man das am besten erklären, indem man sich mal anschaut, wie so Straftaten überhaupt entstehen. Es braucht immer einen Menschen, eine Tatperson mit einem bestimmten Bedürfnis. Und dann braucht diese Tatperson auch immer ein Opfer oder ein Tatobjekt sozusagen, um dieses Bedürfnis zu befriedigen. Und dann braucht es auch immer noch eine Tatgelegenheit. Das heißt, es muss tatsächlich so soziale Kontrolle ausbleiben, so dass es der Tatperson möglich macht, auch den Betrug durchzuführen. Es gibt sogar spezifiziert auf den Betrug auch das Betrugsdreiecksmodell, so sagt man dazu. Das heißt, es gibt eine Tatperson, die hat einen wahrgenommenen Druck wie finanzielle Probleme oder auch Frustration. Es müssen nicht immer nur finanzielle Probleme sein, sondern es reicht auch die Frustration. Dann gibt es immer eine wahrgenommene Gelegenheit. Und dann muss sich der Täter oder die Tatperson auch noch die Erlaubnis geben, tatsächlich eine Straftat zu begehen. Das heißt, in der Regel machen das die Tatpersonen indem sie sagen: Na, ich habe ja dem Opfer nicht weiter geschadet. Oder: Das Opfer konnte sich ja Dinge erarbeiten. Ich nicht. Ich stand unter finanziellem Druck. Das Opfer eben nicht. Da gibt es so Rationalisierungen, die es dann möglich machen, in die Straftat einzusteigen."
Was sind denn die besonderen Fähigkeiten, die der Betrüger hat?
C. Chevalier: "Also ich glaube, dass der Betrüger sozial sehr kompetent ist. Also der ist schon sehr einfühlsam. Wir wissen von Liebesbetrügern zum Beispiel, dass die sehr charmant sind, dass die sehr leidenschaftlich sind, dass die sehr geduldig sind."
Und welche Überzeugungstechniken wenden die dann an?
C. Chevalier: "Ich glaube, die setzen vor allen Dingen darauf, dass sie dem Opfer zeigen, dass es ihnen um ein Leben zu zweit geht. Also die sind zukunftsorientiert und so nach dem Motto 'wir müssen hier nur einen steinigen Weg gehen. Und dann werden wir beide ganz glücklich zusammenleben können.'"
Wie wahr ist denn die These "Einmal Betrüger – immer Betrüger"?
C. Chevalier: "Also ich glaube, ob ein Betrüger oder eine Betrügerin tatsächlich davon Abstand nimmt, hängt von einem individuellen Entscheidungsprozess ab. Das ist immer so eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Also wenn durch die Strafe oder durch andere Sanktionen tatsächlich die Person so beeindruckt ist von einer Haft oder von dem, wie sie begrenzt wurde, dann kann es durchaus sein, dass sie sich sagt: 'Okay, das soll mir nicht widerfahren.' Aber es gibt eben auch Menschen, die sind strafunempfindlich. Also denen macht das gar nichts aus, in Haft zu gehen. Und die werden wahrscheinlich dann eher zu dem Schluss kommen 'na ja, jetzt weiß ich ja, wie die mich erwischt haben. Jetzt muss ich es beim nächsten Mal noch mal besser machen.' Also das bleibt ein individueller Entscheidungsprozess."
Macht es einen Unterschied, ob ich jemanden betrüge, den ich persönlich kenne oder ob ich ein anonymes Opfer habe wie jetzt den Staat oder eine Versicherung oder Online-Kunden?
C. Chevalier: "Wir wissen, dass die Hemmschwelle sinkt, online. Ja, weil sie auch nicht den unmittelbaren Kontakt zu ihrem Opfer haben und das tatsächlich es für sie leichter ist, das Ganze für sich zu organisieren."
Wenn wir jetzt mal die Opferseite in den Fokus nehmen. Wer ist denn besonders anfällig, betrogen zu werden?
C. Chevalier: "Ja, ich glaube, das sind Menschen in für sie sensiblen Situationen, die da eine hohe Bedürftigkeit entwickeln und dann tatsächlich kaum Möglichkeiten haben, sich sozial abzugleichen. Wir wissen ja auch, dass es besondere Personengruppen gibt, die auch immer wieder tatsächlich Opfer solcher Betrugsstraftaten werden, wie zum Beispiel der Enkeltrick bei älteren Mitmenschen."
Und ist den Betrügern egal, was die anderen Menschen fühlen? Wissen sie das?
C. Chevalier: Also ich glaube, kognitiv wissen sie das. Sie müssen ja erkennen: Was sind die Bedürfnisse meines Gegenübers. Aber sie spüren so etwas wie Schuld und Scham eben nicht. Und deswegen fühlen sie nicht mit. Empathie hat ja immer so zwei Seiten. Also ich kann mir vorstellen, wie es dem anderen geht. Und zum anderen spüre ich das. Das kennen wir ja auch, dass, wenn wir einen Film schauen und der ist ganz traurig, dass wir auch mal anfangen zu weinen. Also wir lassen uns von den Emotionen anstecken. Das ist ja beides Empathie. Und das bleibt bei dem Täter aus. Das spürt er nicht. Also, der fühlt nicht mit."