Wenn TikTok regiert: Schulen in MV ringen um Medienbildung
In Mecklenburg-Vorpommern steht Medienkompetenz in den Lehrplänen. Damit sind Schulen in der Pflicht, Kindern und Jugendlichen einen gesunden Umgang mit Medien zu vermitteln. Doch es gibt Kritik an der Umsetzung.
Tobias Neumann will es von der Klasse 6a wissen: "Wie geht es euch damit, wenn ihr zum Beispiel anderthalb Stunden TikTok oder YouTube geguckt habt?" Der auf Medienbildung spezialisierte Sozialarbeiter besucht heute die Grundschule Nordlichter in Schwerin. Zunächst zögerlich, erzählen die Jugendlichen dann doch: Besonders in den Ferien sei es schwer, das Handy wegzulegen, sagt eine Schülerin. Eine andere klagt über Kopfschmerzen. Ein Schüler wendet ein, im entscheidenden Moment finde er den Aus-Knopf.
WHO: Soziale Netzwerke belasten viele Jugendliche
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte im September: Mehr als jedem zehnten Jugendlichen in Deutschland zwischen 11 und 15 Jahren fiele es schwer, auf TikTok, Instagram und Co. für eine Weile zu verzichten. Das belaste die psychische Gesundheit, das Sozialleben oder die schulischen Leistungen. Ein Drittel der Jugendlichen stünde in ständigem Kontakt über die sozialen Netzwerke. Seit Beginn der Corona-Pandemie sei die Zahl gestiegen, heißt es in der WHO-Studie.
Medienpädagogen unterstützen Schulen in MV
Für die Lehrerinnen und Lehrer bedeutet das im Klassenraum: Mehr Schülerinnen, die übermüdet sind, mehr Schüler, die gedanklich schnell abschweifen. Viele Schulen in Mecklenburg-Vorpommern holen sich deshalb Unterstützung von Medienpädagoginnen oder Sozialarbeitern wie Tobias Neumann. Bereits seit fünf Jahren kommt er regelmäßig für Workshops an die Grundschule Nordlichter.
"Ihr müsst immer die Bestimmer über das Handy bleiben"
Neumann und seine Kollegen klären auf über Fake News und Cybermobbing. Gleichzeitig wollen sie die Kinder und Jugendlichen befähigen, die Anziehungskraft der sozialen Netzwerke selbständig zu hinterfragen. Neumanns Botschaft an die Klasse: "Ihr müsst immer die Bestimmer über das Handy bleiben - nicht andersrum!"
Medienkompetenz als Lösung des Bildschirm-Problems?
Die WHO sieht Schulen und Bildungsministerien in der Verantwortung, dem Bildschirm-Problem entgegenzuwirken. Die dringende Empfehlung: Medienkompetenz solle stärker in den Lehrplänen verankert werden. Das Bildungsministerium in Mecklenburg-Vorpommern hat bereits 2018 einen Rahmenplan "Digitale Kompetenzen" erarbeitet. Dieser soll Lehrkräften zeigen, "wie Schülerinnen und Schüler die erforderlichen Kompetenzen erwerben, um sich in der digitalen Welt zurechtzufinden", so ein Sprecher. Schritt für Schritt würden die Bestimmungen des Rahmenplans in die einzelnen Schulfächer einfließen. Die konkrete Umsetzung bleibt jedoch den Schulen überlassen - oder den einzelnen Lehrkräften.
Suchtstelle fordert weitere Anstrengungen vom Land
Die Schulen würden zu sehr mit dem Problem allein gelassen, kritisiert die Landeskoordinierungsstelle für Suchtthemen (Lakost), die auch Mediensucht als Schwerpunkt hat. "Es braucht noch mehr Schulung für die pädagogischen Fachkräfte vor Ort. Und natürlich auch Programme und Projekte, die dabei unterstützen können", ergänzt Lakost-Berater Christian Krieg. Der Rahmenplan sei aber ein richtiger Schritt.
Eltern in der Verantwortung
Tobias Neumann beendet seine Stunde bei der 6a. Die Mädchen und Jungen stürmen aus dem Klassenraum. Die Auseinandersetzung mit dem Medienkonsum sollte an dieser Stelle nicht enden, betont der Sozialarbeiter. Auch Eltern müssten sich Zeit dafür nehmen - und mit gutem Beispiel vorangehen. Er höre oft auf Elternabenden: "Mein Kind kann das besser als ich." Ein Fehlschluss, sagt Neumann: "Das mag technisch vielleicht so sein. Aber inhaltlich und sozial können die Kinder das nicht besser als die Erwachsenen, weil sie viele Dinge einfach nicht reflektieren." Ein regelmäßiger gemeinsamer Blick auf die TikTok-Startseite sei ein guter Anfang.