Medienkompetenz: Desinformation in sozialen Medien erkennen
Die oft einzige Nachrichtenquelle für junge Menschen sind die sozialen Medien. Und gerade dort ist die Gefahr groß, auf Fake News hereinzufallen. Expertinnen und Experten fordern deshalb, dass Jugendlichen mehr Medienkompetenz vermittelt werden muss.
Junge Menschen konsumieren Nachrichten vor allem im Internet und in sozialen Medien. Das zeigt der aktuelle Reuters Institute Digital News Report. Dort gaben 35 Prozent der 18- bis 24-Jährigen an, dass soziale Medien für sie die Hauptnachrichtenquelle sei - und hier besonders Instagram, YouTube und TikTok. 16 Prozent der jungen Befragten erhalten ihre Nachrichten ausschließlich aus den sozialen Medien. Beliebt sind vor allem kurze Online-Videos, zum Beispiel zum Klimawandel oder innenpolitischen Themen.
Knapp die Hälfte der jungen Erwachsenen, die für die repräsentative Studie befragt wurden, nutzt aber auch regelmäßig die Nachrichteninhalte auf den Seiten und Apps der Zeitungsverlage und Rundfunkanbieter, von der ARD zum Beispiel tagesschau.de. Und auch wenn soziale Medien und Apps beliebt sind: Mehr als ein Drittel schaut mindestens einmal in der Woche Nachrichtensendungen im linearen Fernsehen.
Schulleiterin: Kinder gehen mit sozialen Medien nicht kritisch genug um
Den oftmals unkontrollierten Konsum sozialer Medien durch Kinder und Jugendliche sieht Silke Müller als besonders problematisch an. Sie ist Schulleiterin, Buchautorin und Digitalbotschafterin des Landes Niedersachsen. "In sozialen Medien finden wir oftmals keinen Journalismus, der verantwortlich ist, sondern Inhalte, die der eigenen Meinung entsprechen und geteilt werden - und möglicherweise als Nachrichten ausgelegt werden. Und dann fehlt ein reflektiver Blick", sagte Müller im Interview bei NDR Info. Es fehle meist auch die Einschätzung, ob die Information richtig oder möglicherweise sogar politisch gefärbt sein könne. Kinder würden oftmals nicht kritisch genug damit umgehen.
Soziale Medien könnten so ein Einfallstor für Desinformation sein, beklagte die Pädagogin: "Charakterbildung findet durch Likes statt. Je mehr Likes man dann hat, desto wichtiger ist man und desto scheinbar ehrlicher ist man." Das Prinzip "Der Laute ist der Stärkste und gewinnt" bringe Kinder auch auf die falsche Fährte: "Je mehr Lautstärke ich habe, je mehr Reichweite und Lautstärke ein Post hat, umso einflussreicher wird er."
Wie können Eltern und Schule dagegen vorgehen?
Wenn ein Post in den sozialen Medien eine hohe Reichweite hat, würden Jugendliche oftmals denken, dass der Inhalt damit automatisch richtig ist. Dieser Irrglaube müsse ausgeräumt werden, da seien Elternhäuser ebenso in der Pflicht wie Schulen. Doch der Schulleiterin betonte: "Es sind nicht immer wirklich reflektierte Elternhäuser da oder manchmal gar keine Elternhäuser. Es hat noch nicht mal etwas mit der Bildungsschicht zu tun, sondern: Hat man die Zeit und die Muße, sich mit dem Kind auseinanderzusetzen?" Der richtige Ansatz für Eltern und Lehrkräfte sei, klarzustellen: Was macht eine gute Nachricht aus? Wie kann ich nachprüfen, ob das stimmt, was da gesagt wird? Den Kindern und Jugendlichen müsse beigebracht werden, was eine verlässliche Quelle sei.
Die Digitalbotschafterin berichtete, dass sie früher mit ihren Eltern zusammen die Tagesschau schauen oder im Radio Nachrichten hören musste: "Genau das würde ich auch zum Beispiel von Schulen erwarten, dass man sich auch Initiativen anschließt wie 'Journalismus macht Schule', wo gute Journalisten an die Schule kommen und erzählen, was ist auch die Gefahr von Fake News? Was ist die Gefahr möglicherweise durch Künstliche Intelligenz, wo Fake noch mal gefährlicher werden kann? Und wie schütze ich mich? Wie hinterfrage ich kritisch? Und wie prüfe ich - quasi wie bei einer Mathe-Aufgabe - nach: Kann mein Ergebnis, also das, was mir präsentiert wird, stimmen?"
Notwendige Reform des Schulsystems
Aus Sicht der Digitalbotschafterin müsse das Schulsystem dringend reformiert werden. Medienkonsum müsse im Mittelpunkt stehen, im Sinne einer Medienethik, einer Medienkompetenz. Auch werteorientierter Unterricht müsse deutlich mehr Raum erfahren. "Denn am Ende geht es ja darum, Kinder zu befähigen, kritisch zu denken, kritisch zu hinterfragen und kritisch zu lesen. Und für all das ist im Moment in Schulen ganz wenig Raum, die Kinder dabei wirklich zu begleiten", beklagte Müller.
Gemeinsam verantwortlich für den Medienkompetenzaufbau
Unser Schulsystem käme aus einer Zeit des tradierten Journalismus, wo galt: Das, was in der Zeitung steht, stimmt. Das habe sich gewandelt, darauf könne man sich nicht mehr verlassen. Die Schule habe viel zu spät reagiert und auch in der Lehramtsausbildung zu spät damit begonnen umzusteuern. Und umso wichtiger sei es, Allianzen zu bilden, betonte die Schulleiterin: "Beispielsweise hat der NDR tolle Materialien zur Verfügung gestellt, die Öffentlich-Rechtlichen sowieso." Organisationen wie "Journalismus macht Schule" müssten als Partner genutzt werden: "Wir sind gemeinsam verantwortlich für den Medienkompetenzaufbau der nachfolgenden Generationen."
Gesellschaftliche Resilienz über Medienbildung stärken
Auch Christian Stöcker von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) setzt auf Aufklärung: Was einem in den sozialen Medien begegne, solle man durchaus kritisch bis misstrauisch betrachten. Medienbildung sei sehr wichtig, sagte er im Gespräch bei NDR Info. "Wir haben an der HAW seit vielen Jahren Projekte, die sich an Schulen wenden." "Use the news" sei ein aktuelles Projekt in Zusammenarbeit mit der Deutschen Presseagentur. "Da arbeiten wir daran, dass die Sensibilität in diesem Bereich erhöht wird. Gesellschaftliche Resilienz stärken ist das Stichwort", fasste Stöcker zusammen.