Verfolgt und gefoltert: Erster Stolperstein für Zeugin Jehovas in MV
In Schwerin wurden weitere Stolpersteine verlegt, unter anderem für Emma Tiesel. Damit erinnert ein weiterer Stein in Mecklenburg-Vorpommern an ein im Nationalsozialismus verfolgtes Mitglied der Zeugen Jehovas.
Das ehemalige Wohnhaus der 1890 geborenen Schwerinerin Emma Tiesel in der Heinrich-Mann-Straße steht nicht mehr. Ein Ort des Erinnerns wird diese Leerstelle aber doch - durch eine quadratische Messingplatte mitten auf dem Bürgersteig. Dieser Stolperstein ist einer der wenigen in Mecklenburg-Vorpommern, die an ein von den Nationalsozialisten verfolgtes Mitglied der Zeugen Jehovas erinnern. Er wurde am Mittwoch verlegt.
Enkelin verfolgt Stolpersteinverlegung
Für Johanna Dunken, die Enkelin Emma Tiesels, ist die Zeremonie der Stolpersteinverlegung aufregend und emotional. "Ich bin dankbar, dass sie wirklich so glaubenstreu war und mir das so gut vorleben konnte. Denn ich habe sehr, sehr viel in meinem Leben davon gebrauchen können, was sie vorgelebt hat. Ihre Hoffnung ist auch zu meiner Hoffnung geworden und ich finde, das ist etwas wertvolles", sagt die Berlinerin. Sie selbst habe das Haus noch gekannt, viel von ihrer Großmutter gelernt. Insbesondere, sich im Glauben nicht erschüttern zu lassen.
Zeugen Jehovas im NS-Regime verfolgt und misshandelt
1925 schloss sich Emma Tiesel den Zeugen Jehovas an. Die hießen damals noch Bibelforscher, mit gut 120 Mitgliedern gab es in Schwerin damals die größte Gruppe in Mecklenburg-Vorpommern. Ab 1933 wurden sie von den Nationalsozialisten verfolgt, da die Anhänger den Hitlergruß und den Kriegsdienst ablehnten. Emma Tiesel wurde in Bützow inhaftiert und dort unter anderem mit einer ätzenden Flüssigkeit misshandelt. "Sie konnte den Rest ihres Lebens nur noch breiige Nahrung zu sich nehmen, weil ihre Speiseröhre kaputt war", beschreibt Johanna Dunken die Folgen. Emma Tiesel überlebte den Krieg, doch die Repressionen setzten sich unter dem SED-Regime fort. 1950 drohte ihr eine erneute Verhaftung, der sie durch ihre Flucht nach Westdeutschland knapp entgehen konnte.
Tsifidaris: Zeugen haben an Glaube festgehalten
Künstler Gunter Demnig hat zuvor den Sand aus den Fugen von zwei Pflastersteinen gekratzt und die Lücke gesäubert. Dann setzt er den Stein ein, auf dem die kleine Messingplatte sitzt. Ein paar Schläge mit einem Gummihammer, in die Fugen kommt jetzt Zement hinein. Gut 60 Besucherinnen und Besucher würdigen diesen Moment mit Stille, einige legen Blumen neben dem Stein ab. Die Zeugen Jehovas gelten als die am stärksten vergessene Opfergruppe des Nationalsozialismus. Michael Tsifidaris vertritt als Sprecher die Norddeutschen Glaubensgruppen. "Sie waren die einzigen, die sich geschlossen und kollektiv von Anfang an dem Zugriff des Nationalsozialismus entzogen haben. Sie waren weder bereit, andere Mitglieder zu denunzieren noch in die Wehrmacht einzutreten. Damit haben sie bewiesen, dass es möglich ist, an christlichen Prinzipien festzuhalten, auch wenn es im Zweifelsfall das eigene Leben kostet."
Zum neunten Mal Stolpersteine in Schwerin verlegt
Demnig, der in Köln sein eigenes Atelier hat, verlegte am Mittwoch zum neunten Mal Stolpersteine in Schwerin. Neben dem Stein für Emma Tiesel platzierte er diesmal Steine für Otto, Elly, Renate und Eddy Peter Löwenthal am Demmlerplatz, für Julius und Elfriede Stein in der Mozartstraße, für Käthe und Martha Ladewig in der Friedrichsstraße, für Leo und Jette Heidenstein in der Buschsstraße und für Heinrich Marcus in der Puschkinstraße.