Messerattacke Stralsund: Angreifer äußerte sich ausländerfeindlich
Nach einer Gewalttat in Stralsund gibt es früh Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund - allerdings nicht für die Ermittlungsbehörden. Inzwischen bestätigt die Staatsanwaltschaft, dass der Beschuldigte entsprechend aufgefallen ist.
Ein Deutscher verletzte Ende Mai einen italienischen Staatsbürger mit einem Taschenmesser in einer Stralsunder Bar. Während das Landesinnenministerium bisher keinen ausländerfeindlichen Hintergrund für die Tat sehen wollte, bestätigt die Staatsanwaltschaft, dass der Beschuldigte bereits in der Vergangenheit mit entsprechenden Aussagen aufgefallen ist.
Wochenlang keine Kenntnis von ausländerfeindlicher Äußerung
Bei seiner Festnahme soll der damals 64-jährige Mann zu den Polizeibeamten gesagt haben, dass er Deutscher sei und nur so gehandelt habe, weil das Opfer, ein Italiener tunesischer Abstammung, in der Bar deutsche Frauen angesprochen habe. Der Italiener erlitt eine zwei Zentimeter lange und eineinhalb Zentimeter tiefe Stichwunde. So schilderte die Staatsanwaltschaft Stralsund ihre Ermittlungsergebnisse am Freitag. Das ist durchaus bemerkenswert, denn die Behörde will über Wochen hinweg nach der Tat zunächst nichts von einer ausländerfeindlichen Äußerung des mutmaßlichen Täters gewusst haben.
Beschuldigter schon zuvor auffällig
Ein Augenzeuge hatte dagegen dem NDR bereits einige Tage nach der Messerattacke berichtet, der Angreifer habe bei seiner Abführung zu den Polizisten gesagt: "Ich habe das für Deutschland gemacht." Und auch weitere Ermittlungsergebnisse deuten jetzt in diese Richtung: Bereits vor der Tatnacht war der Mann mit Äußerungen wie "Ausländer raus" oder "Ausländer gehören nicht in diese Bar" aufgefallen, so die Staatsanwaltschaft. Zum Zeitpunkt der Tat sei der Beschuldigte stark alkoholisiert gewesen, ein entsprechender Test habe 2,33 Promille bei ihm ergeben.
Innenminister MV sah kein ausländerfeindliches Motiv
Durch die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft muss sich jetzt aber wohl auch die Landesregierung, genauer das Innenministerium in Schwerin, unangenehmen Fragen stellen. Denn auch das für die Polizei zuständige Ministerium wertete die Messerattacke nicht als ausländerfeindliche Tat. Auf eine entsprechende Kleine Anfrage der grünen Landtagsfraktion hatte Innenminister Christian Pegel (SPD) Ende Juli geantwortet, dass "diesbezügliche Erkenntnisse" bislang nicht "belastbar verdichtet" werden konnten.
Widersprüchliche Aussagen der Behörden
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Constanze Oehlrich, wollte vom Innenministerium außerdem wissen, ob die Polizisten, die den Beschuldigten abgeführt hatten, zu dem Ausruf "Ich habe das für Deutschland gemacht" befragt wurden. Pegel antwortet darauf: "Durch die eingesetzten und befragten Polizeibeamten wurden keine diesbezüglichen Wahrnehmungen getroffen." Diese Aussage lässt sich aber nach der Erklärung der Staatsanwaltschaft kaum aufrecht erhalten. Hatten die Polizisten die Aussage des mutmaßlichen Täters nicht ernst genommen, weil er betrunken war? Oder hatten die Ermittlungsbehörden es versäumt, die entsprechenden Fragen zu stellen? Der Augenzeuge, der sich einige Tage nach der Messerattacke an den NDR gewandt hatte, wunderte sich jedenfalls darüber, dass er bei seiner ersten telefonischen Vernehmung zunächst nicht darauf angesprochen wurde.
Experten kritisierten Ermittlungspannen
Genauso wunderte er sich über die Tatsache, dass die Tat von den Behörden zunächst nicht öffentlich gemacht wurde. Erst als der NDR gut zehn Tage nach der Tat wegen eines entsprechenden Hinweises bei der Staatsanwaltschaft nachfragte, bestätigte diese den Fall. "Man kann schon vermuten, dass da etwas vertuscht werden sollte", sagte der renommierte Kriminologe Professor Thomas Feltes von der Ruhr-Uni Bochum dem NDR. Und der ehemalige Leiter der Polizeiinspektion Neubrandenburg, Siegfried Stang, warf den Ermittlern schwere Fehler vor. So hatte die Wohnungsdurchsuchung beim Beschuldigten erst neun Tage nach der Tat stattgefunden, in der Zeit hätten wichtige Beweismittel aus der Unterkunft entfernt werden können, so der frühere Kriminaldirektor Stang.
Haftstrafe von bis zu zehn Jahren möglich
Der zum Tatzeitpunkt 64-jährige Deutsche wird jetzt wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Da der Mann nur einmal zugestochen habe, habe keine Tötungsabsicht vorgelegen, so die Staatsanwaltschaft. Als politisch motivierte Straftat schätzt die Behörde den Fall offenbar nicht ein, verweist darauf, dass bei der Beurteilung der psychischen Verfassung des nicht vorbestraften Beschuldigten seine "erhebliche Alkoholisierung" berücksichtigt werden müsse. Grundsätzlich könne die Strafkammer bei gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren verhängen.