Außenansicht der juristischen Fakultät in Rostock. © Screenshot

Juristenmangel in MV: Jura-Examen künftig auch in Rostock?

Stand: 16.10.2024 15:24 Uhr

In Mecklenburg-Vorpommern kann man nur an einer einzigen Universität Jura auf Staatsexamen studieren - in Greifswald. Gleichzeitig droht massiver Personalmangel in der Justiz, der durch die kommende Pensionierungswelle zusätzlich verschärft wird.

von Valeria Dobralskaya

Stellen Sie sich vor, Sie wollen um ihr gutes Recht kämpfen und vor Gericht ziehen, doch: Erst finden Sie keinen Rechtsanwalt, der Sie vertritt, und dann zieht sich ihr Verfahren über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, weil Richterinnen fehlen. In diese Situation werden die Bewohner und Bewohnerinnen von Mecklenburg-Vorpommern zukünftig immer öfter geraten, denn der Mangel an Juristen verschärft sich zunehmend. In den kommenden zehn Jahren scheiden 282 Richter altersbedingt aus dem Staatsdienst aus. Bei den Anwälten erreichen rund 600 in dieser Zeit das Rentenalter, teilte das Landesjustizministerium mit. Die Zahl der Anwälte in Mecklenburg-Vorpommern wird sich dann im Vergleich zu heute halbiert haben.

Grüne: Fehlende Reaktion auf Juristenmangel in MV

Constanze Oehlrich, Mitglied des Rechtsausschusses und Vorsitzende der "Grünen" im Landtag. © Screenshot
Constanze Oehlerich meint, dass Rechtssuchende in Mecklenburg-Vorpommern es immer schwerer haben werden, Rechtsrat zu erhalten.

Constanze Oehlrich, Mitglied des Rechtsausschusses und Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Landtag wirft dem Justizministerium vor, nicht angemessen und vor allem nicht rechtzeitig auf den Juristenmangel reagiert zu haben: "Es ist ja nichts, was plötzlich kommt. Der demografische Wandel hat sich schon seit Jahren abgezeichnet. Bei den Richterinnen wird fast die Hälfte innerhalb der kommenden zehn Jahre in Pension gehen. In der Exekutive und der Legislative wird es ähnlich aussehen. Was aber dramatisch ist: Genauso sieht es bei den Rechtsanwaltskanzleien aus", so Oehlrich.

Rückkehr des Jura-Studiums in Rostock diskutiert

Immer wieder wird in diesem Zusammenhang der Vorschlag diskutiert, die juristische Fakultät in Rostock als Ausbildungsort für Volljuristen erneut zu beleben. Zurzeit kann man in Rostock Good Governance (frei übersetzt: Gute Staatsführung) studieren - eine Mischung aus Recht, Wirtschaft, Politik und Philosophie. Die Absolventinnen erwerben den Abschluss Master of Laws. Aber dieser berechtigt nicht zur Zulassung ins juristische Referendariat, welches wiederum Voraussetzung ist, um als Richter, Staats- oder Rechtsanwalt zu arbeiten. Bis 2008 konnte man an der Universität Rostock ein juristisches Studium absolvieren, das mit dem Staatsexamen abschloss. Dann jedoch wurde der Studiengang aus Kostengründen eingestellt.

Stamer erklärt Entscheidung zur Hochschulstruktur

Dirk Stamer, hochschulpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion erklärt die damals gefallene Entscheidung: 2008 sei die Haushaltslage ähnlich angespannt gewesen wie heute, deshalb habe man geschaut, wie man die Hochschulen des Landes effizienter strukturieren und doppelte Strukturen abschaffen könne. Im Zuge dessen habe man beschlossen, dass die Universität Rostock die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer übernimmt und die Universität Greifswald die der Juristen. So müssten nicht beide Universitäten beide Studiengänge komplett anbieten. "Und die Situation, die wir heutzutage mit der aktuellen Haushaltslage haben, ist dieselbe", sagt Stamer zu NDR MV.

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Deshalb müsse man schauen, wie man die zur Verfügung stehenden Mittel effizient einsetzt. Aus seiner Sicht müsse man die bereits bestehenden Strukturen ausschöpfen, bevor man eine neue Vollfakultät aufbaut. Konkret heiße das: "Die Universität Greifswald muss ertüchtigt werden, mehr Absolventinnen und Absolventen zu produzieren. Darüber hinaus müssen wir das juristische Referendariat in Mecklenburg-Vorpommern attraktiver gestalten. Und dann schauen, dass von diesen Juristen möglichst viele hier bleiben und nicht das Land verlassen zugunsten anderer Bundesländer", so Stamer.

Wechsel nach Greifswald für Studierende oft problematisch

Der Plan der Landesregierung war, dass erfolgreiche Absolventinnen des Studiengangs Good Governance nach Greifswald kommen und ihr Studium dort bis zum Staatsexamen fortsetzen. Diese Zahl ist jedoch jedes Semester sehr niedrig, teilte das Dekanat der juristischen Fakultät in Greifswald mit.

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Für Jette Beck, die im fünften Semester Good Governance studiert und das Staatsexamen nachholen möchte, kommt die Universität Greifswald nicht in die nähere Auswahl. Sie möchte zwar unbedingt im Norden bleiben, zieht aber die Universitäten Kiel und Lüneburg in Betracht. Ein ausschlaggebender Grund: Unter Studierenden hat sich herumgesprochen, dass dort mehr Leistungen aus dem Good Governance-Studium in Rostock angerechnet werden als in Greifswald. Und gebe es Jura auf Staatsexamen in Rostock, würde sie hierbleiben, sagt Jette Beck. Eine andere Studentin berichtet, dass sie zum weiterführenden Studium nicht in "die kleinere und provinziellere Stadt Greifswald" ziehen möchte. Dann lieber gleich nach Berlin.

Jura-Examen in Rostock binnen zwei Jahren

Übrigens kann man, entgegen der 2008 getroffenen Vereinbarung, wieder Lehramt an der Universität Greifswald studieren. Der Lehrermangel war so dringlich, dass die Landesregierung diesen Schritt für unausweichlich hielt.   

Jörg Benedict, der Dekan der Juristischen Fakultät in Rostock, ist überzeugt, dass es mit wenig Aufwand möglich wäre, auf den Good Governance-Studiengang "aufzusatteln", damit die guten Absolventen ins Examen kommen und im Land bleiben. "Das, was unseren Absolventinnen und Absolventen fehlt, ist ja nicht viel. Es sind zwei, drei Semester mit ein paar Inhalten im Strafrecht und etwas mehr Vorbereitung auf das Examen. Wenn ein politischer Wille bestünde, könnte man innerhalb von zwei Jahren die ersten Absolventen haben, die ins Examen gehen."

Dafür wäre die Errichtung von vier oder fünf neuen Lehrstühlen notwendig und die Ressourcen, um diese dauerhaft aufrecht zu erhalten. Jörg Benedict schätzt die Kosten dafür auf etwa zwei Millionen Euro pro Jahr. "Das Geld, das man dafür investieren müsste, wäre in den Rechtsstaat gut investiert."

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 16.10.2024 | 19:30 Uhr

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Rostock

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