Gericht in Schwerin verhandelt Scheidungen nur noch in Notfällen
Die Justiz in Mecklenburg-Vorpommern kämpft mit Personalmangel. Am Amtsgericht Schwerin wirkt sich das besonders aus. In der "Scheidungshochburg" können Scheidungsfälle nur noch in Ausnahmefällen bearbeitet werden.
Das Problem ist nicht neu: Wenn Richter fehlen, klemmt es in der Rechtsprechung. Mecklenburg-Vorpommerns Justizministerin Jacqueline Bernhardt (Die Linke) hat das zuletzt offen eingestanden. "Die Gerichte leiden unter hohen Altbeständen an Verfahren", erklärte sie im Sommer. Schlagzeilenträchtig wird die Belastung in der Regel nur, wenn mutmaßliche Straftäter als Untersuchungshäftlinge nach sechs Monaten auf freien Fuß gesetzt werden müssen, weil kein Verhandlungstermin angesetzt wurde. Noch zu Oppositionszeiten hatte Bernhardt das in kleinen Anfragen und Pressemitteilungen moniert. Sie bezog sich dabei auch auf Fälle am Landgericht Schwerin, in denen Haftbefehle aufgehoben wurden.
23,2 Scheidungen je 10.000 Einwohner
Als Ministerin muss sich Bernhardt jetzt selbst mit den Lücken im System herumschlagen. Eine dieser Lücken erscheint wenig medienwirksam: Am Amtsgericht Schwerin können Scheidungsverfahren nur noch im Ausnahmefall verhandelt werden. Die zuständige Richterin ist seit Monaten erkrankt und fällt jetzt komplett aus. Kollegen haben mit anderen Verfahren zu tun - vor allem mit Kindschaftssachen. Ausgerechnet in der "Scheidungshochburg" Schwerin, in der im Landesvergleich die meisten Ehen scheitern, müssen Betroffene oft übermäßig lang auf einen Termin warten. In der Landeshauptstadt wurden im vergangenen Jahr je 10.000 Einwohner 23,2 Ehen gesetzlich aufgelöst, landesweit lag die Quote bei 16,1.
Familiensachen gelten als kompliziert
Schweriner Rechtsanwälte haben jetzt vom Gericht Post bekommen, in der mitgeteilt wird, dass nur Eil-Sachen bearbeitet werden. Man bitte um "Verständnis", heißt es freundlich. Nach Neubesetzung der zuständigen Richterstelle gehe es "unverzüglich" weiter. Offen ist, wann das passiert. Das Justizministerium hat bisher keinen Ersatz geschickt. Familiensachen gelten als kompliziert, junge Proberichter können dort nicht ohne weiteres eingesetzt werden. Weil die Verfahren häufig emotional und auch konfliktgeladen sind, verlangt der Justiz-Apparat von den Richterinnen und Richtern eine mindestens einjährige Erfahrung. Der Job gilt auch deshalb nicht als der attraktivste unter Richtern.
Lebenspläne werden durchkreuzt
Der Schweriner Anwalt und ehemalige Präsident der Rechtsanwaltskammer, Axel Schöwe, nennt die Lage am Familiengericht in der Landeshauptstadt eine "Katastrophe". Es würden ohnehin schon viele Altfälle auf Entscheidungen warten. Für die Betroffenen, die sich aktuell scheiden lassen wollten, bedeute das ein Durchkreuzen der eigenen Lebenspläne - mit Auswirkungen auf das weitere Umfeld. Er nennt Beispiele: Wer nach einer gescheiterten Ehe noch einmal neu heiraten will, könne das nicht tun, solange die alte Ehe noch Bestand hat. Oder: Erwarte eine Frau von einem neuen, außerehelichen Partner ein Kind, so sei laut Gesetz automatisch noch der Ehemann, von dem sie längst getrennt lebe, der gesetzliche Vater. Menschlich sei das "schwierig", so Schöwe. Er drängt auf Abhilfe.
Ministerium weist Kritik zurück
Das Justizministerium reagierte gelassen. In Schwerin würden die Verfahren mit durchschnittlich 6,3 Monaten genauso lange dauern wie im Bundesschnitt, rechnete das Ministerium auf Anfrage vor. Es gebe landesweit kein "Problem in Familiensachen". Insider berichten allerdings, dass sich Scheidungsverfahren zumindest an den Standorten Ludwigslust und Parchim ebenfalls lange hinziehen. In Mecklenburg-Vorpommern arbeiten nach neuesten Angaben 451 Richter, fünf weniger als 2018.
Ministerin will Bestand an Verfahren reduzieren
Im Sommer meinte Ministerin Bernhardt mit Blick auf die gesamte Justiz, "Ziel soll sein, einen Weg zu finden, den Bestand an Verfahren zu reduzieren". In Schwerin sind die Familien-Anwälte gespannt darauf, wie das erreicht werden soll. Das Angebot eines erfahrenen Familienrichters, seine altersbedingte Pensionierung zu verschieben und "zu verlängern", lehnte das Ministerium - wie in fast allen vergleichbaren Fällen - ab. Zu den Gründen wollte sich das Ministerium auf Anfrage nicht äußern.