Giftmülldeponie in Güstrow: Spurensuche nach den Hintermännern
Ein Betriebsgelände in Güstrow war jahrzehntelang illegale Deponie - mit Tausenden Tonnen gefährlichem Müll. Die Beseitigung kostete Millionen. Unklar bleibt, wer für dieses Umweltverbrechen verantwortlich ist.
Über fünf Millionen Euro: So viel hat das Land Mecklenburg-Vorpommern bezahlt, um eine wilde Müllkippe in Güstrow (Landkreis Rostock) zu reinigen. Auf der illegalen Deponie lagen Tausende Tonnen giftiger Müll. Niemand scheint genau zu wissen, wer die Hintermänner sind. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat die Suche nach den Verantwortlichen aufgegeben.
Der NDR Reporter David Pilgrim und der investigative Journalist Michael Billig nehmen in einer "Nordreportage" die Zuschauerinnen und Zuschauer mit auf eine spannende Spurensuche zur Geschichte der Giftmülldeponie in Güstrow (Mittwoch, 11. Dezember 2024, 18.15 Uhr im NDR Fernsehen).
"Perfekt gefälschte Transportdokumente"
"Es heißt ja nicht umsonst Abfall-'Wirtschaft'. Es ist ein Geschäft", sagt Sandra Pfrogner vom Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (Lung) in Güstrow. "Wenn man Abfälle ordnungsgemäß entsorgen will, kostet das richtig Geld. Und da, wo etwas viel Geld kostet, ist auch kriminelle Energie, dass man das Geld spart."
Sie geht davon aus, dass bei vielen Müllfuhren die Transportdokumente "perfekt gefälscht" waren. So sei nicht aufgefallen, dass Fuhren nicht zu einem seriösen Recyclingbetrieb ganz in der Nähe unterwegs waren, sondern zur illegalen Deponie.
Güstrow: Giftiger Müll im Trinkwasserschutzgebiet
Die Anfänge der illegalen Deponie von Güstrow reichen weit zurück. Mitte der 1990er-Jahre lädt eine Firma erstmals auf dem Betriebsgelände Müll ab: Auf dem Areal eines ehemaligen Getreidespeichers landen gebrauchte Behälter für Chemikalien und Reinigungsmittel. Das steht in amtlichen Dokumenten aus dieser Zeit, die dem NDR vorliegen. Und weiter heißt es darin: "Es ist erforderlich, die Fläche sofort von diesen Materialien zu räumen." Doch die Abfallberge werden nicht kleiner, sondern immer größer.
Das Grundstück befindet sich in einem Trinkwasserschutzgebiet und in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Kleingartenkolonie. Dennoch kippen noch Anfang 2020 Mülltransporte ihre stinkende Fracht hier ab. Erst danach stoppen Behörden und Polizei den illegalen Entsorgungsbetrieb.
Gutachten: "Krebserzeugender" Abfall auf illegaler Deponie
Im Sommer 2021 erkunden das erste Mal NDR Reporter die Müllberge von Güstrow. In Schutzanzügen klettern sie über ballenweise Verpackungsmüll, Säcke voller Plastikreste, Haufen aus Hausmüll, Kabelresten, alten Autoreifen und Asbest. Experten stufen einen großen Teil des Abfalls als gefährlich ein - "Krebserzeugend", heißt es in einem Gutachten.
Ende 2022 rollen die Bagger. Das Land lässt die illegale Halde beseitigen. Sie ist mit fast 30.000 Tonnen größer als ursprünglich angenommen. Die bloße Menge entspricht ungefähr dem jährlichen Müllaufkommen einer deutschen Stadt mit rund 45.000 Einwohnern. Aber nicht der gesamte Müll, der hier illegal abgekippt wurde, stammt aus Deutschland. Zwischen November 2019 und Februar 2020 wurden allein rund 1.700 Tonnen Müll aus den Niederlanden nach Güstrow verfrachtet.
Unter Verdacht: Eine Firma aus Parchim
Verantwortlich soll eine Firma aus Parchim sein. Die Reporter werden später zum offiziellen Sitz der Firma, einem Einfamilienhaus, fahren. Sie treffen dort auf eine Frau, die in dem Haus lebt, mit der Firma aber nichts zu tun hat - offenbar eine Scheinadresse.
Die Staatsanwaltschaft Rostock ermittelt gegen mehrere Personen, kann am Ende aber nur einen Verdächtigen dingfest machen. Er hatte in einem Wohnwagen auf dem Gelände in Güstrow gehaust, Lkw eingewiesen und den Müll mit einem Radlader zusammengeschoben. Ende 2023 verurteilt ihn das Amtsgericht Güstrow zu einer Bewährungsstrafe - wegen Beihilfe. Ein kleiner Fisch. Die wahren Täter bleiben im Dunkeln.
Heiße Spur in Hamburg?
Die Reporter aber verfolgen eine weitere Spur. Sie führt zu einer Hamburger Firma, der das Gelände in Güstrow gehört. Es geht um den Gründer der Firma, einen Mann, der wegen Betrugs schon zweimal im Gefängnis saß. Wegen Schmuggels von Kokain hätte er ein weiteres Mal einsitzen müssen. "Er wurde im Mai 2019 zum Strafantritt geladen, ist dieser Ladung aber nicht nachgekommen und seitdem flüchtig", so eine Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft, die in dem Drogen-Fall ermittelt hat.
Die Reporter suchen seinen letzten bekannten Wohnort auf. Unter der gleichen Adresse ist auch die Eigentümerin des betroffenen Grundstücks in Güstrow registriert. Der Name des Mannes steht am Briefkasten. Seine frühere Ehefrau öffnet die Tür. Sie erzählt, dass sich ihr Ex nach Afrika abgesetzt habe. Mit einer E-Mail unternehmen die NDR Journalisten einen letzten Versuch, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Tatsächlich erhalten sie Antwort. Demnach hält er sich in Nigeria auf, ist im Öl-Geschäft tätig. Mit dem Müll von Güstrow will er nichts zu tun haben.
Der Müll aus Güstrow liegt jetzt sicher auf der Deponie Ihlenberg bei Schönberg. Ein kleiner Teil ging zurück in die Niederlande. Mehr als fünf Millionen Euro hat der Abtransport gekostet. Nach jetzigem Stand bleibt das Land Mecklenburg-Vorpommern - und damit der Steuerzahler - auf diesen Kosten sitzen.