Illegale Müllhalden: Behörden häufig machtlos
In Norddeutschland gibt es aktuell mindestens 60 illegale große Müllkippen. Auf manchen Flächen sollten Solaranlagen entstehen, Investoren versprachen dafür die Räumung des Mülls. Doch mehrere Gemeinden fühlen sich getäuscht.
Fährt man von der Autobahn A20 zum kleinen Örtchen Neverin im Kreis Mecklenburgische Seenplatte, dann sieht man sie schon von weitem: Müllberge, die sich am Ortseingang aufhäufen. Mehrere zehntausend Tonnen Müll lagern hier illegal - direkt neben einer großen Solaranlage. "Ein Schandfleck am Ortseingang", meint Bürgermeister Nico Klose.
Dabei hätte alles so schön werden sollen: Vor rund acht Jahren kauften Investoren aus der Region das Grundstück vor Neverins Toren. Es gehörte früher einer Recyclingfirma, die vor vielen Jahren insolvent ging und den Müll hinterließ. Auf einem Teil der Fläche wird daraufhin eine Solaranlage errichtet. Der größte Teil der Abfälle liegt allerdings bis heute auf einem anderen Teil der Fläche, obwohl die Eigentümer eigentlich dazu verpflichtet sind, die illegal lagernden Abfälle zu räumen.
Doch das ist im Falle Neverins nicht so einfach. Denn hier hat nicht nur eine Firma die Fläche gekauft, sondern mehrere Unternehmen. Dabei wurde die Fläche so erworben, dass der Bereich mit dem meisten Müll einer englischen Briefkastenfirma, der Agro Finance Ltd. gehört. Hinter ihr steht ein Unternehmer aus der Nähe von Flensburg, Uwe K. Das Gelände, auf dem die Solaranlage errichtet wurde, gehört einer Firma mit Sitz in Rostock. Ob diese Aufteilung so getroffen wurde, um sich der Verpflichtung zur Räumung zu entziehen, kann nur gemutmaßt werden. Weder die Agro Finance Ltd. noch Uwe K. oder die Firma in Rostock haben auf Anfragen reagiert.
Steckt hinter dem Verkauf belasteter Grundstücke ein Muster?
Klar ist, die Konstruktion erschwert es deutschen Behörden die Firma zu einer Räumung zu zwingen. Das erzählt Jürgen Buchwald, Staatsekretär im zuständigen Landwirtschafts- und Umweltministerium von Mecklenburg-Vorpommern: "Es ist schon ein Problem die Schriftsätze zuzustellen, so dass sie tatsächlich dort ankommen, wo sie ankommen sollten."
Auf Christoph Linke vom Staatlichen Amt für Umwelt und Naturschutz (StALU) in Neubrandenburg wirkt alles wie eine Masche: "Der Verkauf von mit Müll belasteten Grundstücken ins Ausland scheint ein Muster zu sein", sagt er. "Es muss uns gelingen, künftig besser in diesen Bereich einzusteigen".
Kein Einzelfall
Neverin ist dabei nur ein Beispiel, ein anderes liegt nicht weit davon entfernt in Walow. Auch hier waren vor vielen Jahren große Mengen Baumischabfälle nach der Insolvenz eines Recyclingunternehmens auf einem Grundstück zurückgelassen worden. Hier sind nach Recherchen von Panorama 3 die gleichen Investoren aktiv geworden wie im Fall Neverin. Auch in Walow wurde auf einer Teilfläche eine Solaranlage errichtet.
Walows Bürgermeister Heinz Gerull erzählt, dass für den Bau ein Teil des Mülls planiert wurde. Ein Großteil der Abfälle sei aber nur zur Seite geschoben und aufgetürmt worden. Plastikabfälle flogen von dort bei starkem Wind bis ins nahe gelegene Dorf, erzählt Heinz Gerull. Darüber ärgert er sich noch heute. Auch hier entzogen sich die Grundstückseigentümer nach Recherchen von Panorama 3 mutmaßlich ihrer Verantwortung, in dem sie den Teil des Grundstücks, auf dem der Müll lag, im Grundbuch vom Rest des Grundstücks abtrennten. Das neue Grundstück mit dem Müll wurde an die gleiche englische Firma verkauft wie im Fall Neverin: die Agro Finance Ltd.
Die Gemeinde Walow hatte vor dem Bau der Solaranlage sogar zu verhindern versucht, am Ende auf dem Müll sitzenzubleiben. Mit dem Unternehmen, das die Anlage bauen und betreiben sollte, wurde ein städtebaulicher Vertrag geschlossen, darin stand auch, dass der Müll geräumt werden soll. Der Rostocker Solarunternehmer Dirk K. habe sich gegenüber der Gemeinde zunächst freundlich gegeben.
Doch als die Solaranlage auf einem Teilstück in Betrieb ging, habe er von der Müllräumung nichts mehr wissen wollen, erzählt Sandro Steinhäuser vom zuständigen Amt Malchow. Bei Fragen sei man vertröstet worden, schließlich habe der Unternehmer weder auf Nachrichten noch Anrufe reagiert. "Sie hatten ihr Ziel erreicht, und damit war die Gemeinde uninteressant. So schien es zumindest", sagt Steinhäuser. Dirk K. äußert sich auf Anfrage von Panorama 3 nicht zu den Vorwürfen. Auch weitere Geschäftsleute, die offenbar in die Machenschaften involviert sind, beantworten keine Fragen.
Entsorgungskosten vorgestreckt
Schließlich räumte das Land im Jahr 2016 die illegale Müllkippe am Rande der Solaranlage in Walow: per so genannter Ersatzvornahme. Dabei werden die Entsorgungskosten aus Steuergeld vorgestreckt, um sie später bei den eigentlich Verantwortlichen zurückzufordern. Im Fall Walow waren das laut Landwirtschafts- und Umweltministerium rund 300.000 Euro. Doch bis heute hat Mecklenburg-Vorpommern keinen Cent davon zurückerhalten, wie das zuständige Finanzministerium Panorama 3 bestätigt. Wie viel im Detail unternommen wurde, um die 300.000 Euro zurückzufordern, teilt das Finanzministerium nicht mit.
Dabei zeigen Recherchen von Panorama 3, dass offenbar alle Akteure in Norddeutschland leben. Für Walows Bürgermeister Heinz Gerull ist die Sache klar: "Das sind gewissenlose Machenschaften. Das Geld, was vom Staat verauslagt wurde, ist auch unser Steuergeld und muss zurückgeholt werden."
Mitarbeit: Michael Billig