Engagement gegen Extremismus: Vereine fordern Gesetzesreform
Nach geltendem Recht kann Vereinen, die sich laut und klar für die demokratische Grundordnung und gegen Rechtsextremismus positionieren, die Gemeinnützigkeit aberkannt werden. 110 Vereine haben sich Mitte Juni in einem Brief an die Regierung gewandt.
Für den Fußballverein Internationaler Fußballclub Rostock, kurz IFC, gehören Fußball und Politik zusammen - so festgeschrieben in der Satzung des Vereins. Der IFC ruft zu Demonstrationen auf, organisiert Fußballtreffs mit Geflüchteten um Integration über den Sport zu ermöglichen und positioniert sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf seinen Social-Media-Kanälen. Vereine könnten deswegen Probleme bekommen - ihnen könnte die Gemeinnützigkeit aberkannt werden.
Bedeutung der Gemeinnützigkeit für Vereine
Die Gemeinnützigkeit ist für Vereine ein wichtiger Status, denn daran sind finanzielle Entlastungen geknüpft - zum Beispiel Gewerbe- und Körperschaftssteuerfreiheit, ermäßigte Umsatzsteuersätze oder das Ausstellen von Spendenbescheinigungen. Um den Status der Gemeinnützigkeit zu bekommen und zu halten, müssen Vereine allerdings gewisse Vorgaben und Zwecke erfüllen, die in der sogenannten Abgabenordnung gesetzlich festgelegt sind. Ein Verein, der nicht in seiner Satzung verankert hat, sich politisch zu äußern, könnte Probleme bekommen. Die zuständige Finanzbehörde könnte dem Verein daher wegen seines Engagements die Gemeinnützigkeit entziehen.
Neuer Gesetzentwurf enttäuscht Vereine
Vor dem Problem einer klaren Rechtsgrundlage für politische Positionierungen - zum Beispiel gegen Rassismus oder Rechtsextremismus - stehen auch andere Vereine. Die Ampelregierung hatte deshalb in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, das Gemeinnützigkeitsrecht reformieren zu wollen. Anfang Juli hat das Bundesfinanzministerium dann den neuen Entwurf zum zweiten Jahressteuergesetz veröffentlicht, welcher auch eine Änderung der Abgabenordnung umfasst. Vereine dürften sich demnach anstatt wie vorher "vereinzelt" nun immerhin "gelegentlich" zu tagespolitischen Themen außerhalb ihrer Satzungszwecke äußern - ohne befürchten zu müssen, ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden. Das schafft zwar etwas mehr Rechtssicherheit, bietet aber weiterhin viel Interpretationsspielraum: Die Frage, was genau mit "gelegentlich" gemeint ist, bleibt bestehen. Gefordert hatten die Vereine ursprünglich, dass der Einsatz für Demokratie, für Menschenrechte, Antidiskriminierung und Rechtsstaatlichkeit als gemeinnützige Zwecke in die Abgabenordnung aufgenommen wird. Das ist nicht passiert.
Vereine fordern Regierung zum Handeln auf
Mehr als 100 Vereine aus Norddeutschland haben daher vor kurzem einen Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geschickt, in dem sie fordern, den Gesetzesentwurf entsprechend anzupassen. Zumal, so die Unterzeichner, die AfD auf Basis der geltenden Ordnung Vereine und Initiativen beim Finanzamt anzeige, die sich gegen Rechtsextremismus engagierten. "Deswegen denken viele von uns über jedes Engagement zweimal nach - über jede Aktion, jede Demonstration, jeden Offenen Brief. Und deswegen geht immer mehr Engagement für unsere Demokratie verloren", heißt es in dem Brandbrief. Der Jurist Joschka Selinger von der Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstreicht die Bedeutung einer klaren Reform: "Die bestehende Unsicherheit beim Gemeinnützigkeitsrecht, die nützt derzeit vor allem den extremistischen Parteien. Die demokratische Zivilgesellschaft, die will sich klar positionieren für Demokratie und gegen ihre Feinde. Und kann das einfach gerade nicht." Er kritisiert die Regierung dafür, die Unsicherheiten nicht beiseite geräumt zu haben.
SPD: Situation wird aus rechtem Spektrum befeuert
Die Fraktionen des Landtags in Mecklenburg-Vorpommern reagieren unterschiedlich auf den Entwurf. Die SPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern hätte mehr Bekenntnis zur Demokratie vom Bundesfinanzministerium begrüßt, weist aber darauf hin, das die Situation auch durch "das Denunziantentum aus dem rechten Spektrum befeuert" würde. "Es zeigt sich einmal mehr, dass man in diesem Lager, egal ob es bekennende Rechtsextremisten sind oder die AfD, gern jedes Mittel nutzt, um Demokratinnen und Demokraten, die Haltung für die Demokratie zeigen, zu verunsichern und kaltzustellen", so Tilo Gundlack (SPD). Trotzdem sehe die SPD keinen akuten Handlungsbedarf, da gelegentliche Äußerungen zu tagespolitischen Ereignissen nach dem Entwurf möglich sind.
CDU warnt vor Politisierung gemeinnütziger Arbeit
Die CDU äußerte sich froh darüber, dass keine weiteren gemeinnützigen Zwecke in die Abgabenordnung aufgenommen wurden. Aus ihrer Sicht bestünde andernfalls eine Gefahr der Politisierung gemeinnütziger Arbeit. "Es ist wichtig, dass Organisationen die bestehenden Vorschriften genau einhalten und ihre politischen Aktivitäten klar in ihren gemeinnützigen Rahmen einordnen", sagte Sebastian Ehlers (CDU).
FDP: Gesetzesentwurf beseitigt Unsicherheiten
Ähnlich sieht das auch die FDP im Land. Politische Willensbildung und öffentliche Meinung seien kein eigenständiger, gemeinnütziger Zweck und sollten dies aus Sicht der FDP auch nicht werden, befindet René Domke (FDP). Der Gesetzesentwurf stelle klar, dass sich steuerbegünstigte Organisationen außerhalb ihres Zweckes gelegentlich zu tagespolitischen Ereignissen äußern dürfen, ohne hierdurch ihre Steuerbegünstigung zu verlieren. Sollte sich dennoch herausstellen, dass Unsicherheiten bestehen, sei die Gelegenheit gegeben, diese auszuräumen. Die Linke, die Grünen und die AfD haben auf Anfragen nicht geantwortet.
IFC will sich weiter für Demokratie engagieren
Zu den Unterzeichnern des Briefs an die Bundesregierung gehört auch der IFC aus Rostock. Geschäftsführer Martin Quade bezeichnet seinen IFC als basisdemokratischen Verein. "Wir treffen uns monatlich und entscheiden quasi gemeinsam", erläutert Quade. Auch ihm geht der aktuelle Gesetzentwurf nicht weit genug. "Das Einsetzen für Menschenrechte und das Einsetzen für die Demokratie muss gemeinnützig sein. Und das ist elementar für eine gesunde Gesellschaft. Vereine müssen sich deswegen auch so positionieren können", erläutert Quade. Der Verein feiert nächstes Jahr sein zehnjähriges Bestehen und zählt aktuell 650 Mitglieder, die sich auch in Zukunft gegen Rechtsextremismus und Rassismus einsetzen und kritisch äußern wollen.