Einbürgerung: Ministerium in MV empfiehlt ChatGPT bei Bekenntnis-Prüfung
Das Innenministerium in Mecklenburg-Vorpommern setzt bei Einbürgerungsverfahren offenbar auf den Einsatz künstlicher Intelligenz. Es rät den zuständigen Ausländerbehörden in den Kommunen, ChatGPT zu befragen, um beispielsweise Antisemiten unter den Antragstellern zu erkennen.
Das neue Staatsbürgerschaftsgesetz soll Einbürgerungen erleichtern. Ausländer, die Deutsche werden wollen, müssen sich dabei zum Grundgesetz bekennen. Seit Neuestem wird von den Antragstellern auch ein Bekenntnis zu Deutschlands Verantwortung für die NS-Diktatur und auch zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland verlangt. Geregelt ist das im neuen Paragraf 10 des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Zuständig sind die sechs Landkreise und die beiden großen Städte Rostock und Schwerin. Das komplette Verfahren erläutert beispielsweise der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte auf seiner Internetseite.
Künstliche Intelligenz als "Arbeitserleichterung"
Die Ausländerbehörden in den Kommunen scheinen aber ratlos, wie sie dieses Bekenntnis glaubhaft abprüfen können. Das Innenministerium hat ihnen nach einer Arbeitsbesprechung Ende vergangenen Jahres einige ungewöhnliche Tipps gegeben. In einer Rund-Mail des Ausländer-Referats heißt es, die Kommunen könnten "zur Arbeitserleichterung für die Prüfung der Bekenntnisse nach §10 Fragenkataloge mittels KI erstellen lassen". Die Rund-Mail an 27 Empfänger in den Behörden liegt dem NDR vor.
Ministerium empfiehlt ChatGPT
Ausdrücklich wird auf das Portal ChatGPT hingewiesen und verlinkt. In der Rund-Mail wird betont, dass ChatGPT "kostenlos" sei. In dieser Version sei die Menge der Anfragen allerdings begrenzt. Auch die entsprechende Handyapp "Talkai" wird genannt. Das Referat rät dazu, "die Fragen konkret zu stellen, z.B.: einfacher Fragenkatalog zum Schutz jüdischen Lebens". Die Ministeriumsmitarbeiterin teilte mit, bei einem ersten Test habe die Plattform "sehr gut funktioniert".
Keine Hilfestellung aus Schwerin
Auf standardisierte Handreichungen verzichtete das Ministerium allerdings, es betont auf NDR Anfrage die Zuständigkeit der Ausländerbehörden. Dort würden "üblicherweise in Form eines Gesprächs" die Bekenntnisse abgefragt. Ein solches Gespräch verlaufe sehr unterschiedlich und lasse sich nicht in "vorgefertigte Baukastensätze/-fragen stanzen". Allerdings schlägt das Ministerium genau das in seiner Rund-Mail vor. Die Frage, ob bei den schon erteilten Hinweisen KI eine Rolle gespielt habe, ließ das Ministerium unbeantwortet.
CDU beklagt fehlende Ernsthaftigkeit
Die Opposition im Landtag zeigt sich entsetzt: Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Sebastian Ehlers, meinte, dass die Verantwortung bei den Kreisen abgeladen werde, um Antisemiten zu identifizieren, "hätte ich nicht für möglich gehalten". Er hätte sich von Innenminister Christian Pegel (SPD) mehr Ernsthaftigkeit gewünscht, "wenn es darum geht, die Einbürgerung von Antisemiten zu verhindern", so Ehlers. Der Vorgang stehe auch im Widerspruch zur geplanten Änderung der Landesverfassung in der nächsten Woche: Dort soll der Schutz jüdischen Lebens nach dem Willen von SPD, CDU, Linken, Grünen und FDP Staatsziel werden. Verfassungsrang und Verfassungswirklichkeit, vermutet Ehlers, seien "offenbar grundlegend unterschiedliche Dinge".
Innenministerium bietet Hilfe an - wenn nötig
Für die Verfassungsänderung zum Schutz jüdischen Lebens hatte sich auch Minister Pegel eingesetzt. Auf Anfrage erklärte das Ministerium, man stehe den Kommunen zur Seite. "Soweit es für erforderlich erachtet werden sollte, würde das Innenministerium auch in Form von Verwaltungsvorschriften tätig werden." Pegels Fachleute erklärten, bestimmte Einbürgerungen stünden "ohnehin unter dem Zustimmungsvorbehalt des Innenministeriums, wenn es um eine 'Gefahrenproblematik' gehe". Wie oft das Ministerium in der Vergangenheit von seinem Einbürgerungs-Veto Gebrauch gemacht hat, blieb zunächst offen. Eine Sprecherin teilte mit, man führe darüber keine Statistik.
FDP: Ministerium ohne Konzept
Auch FDP-Fraktionschef René Domke hält das Vorgehen für fragwürdig. Die ernsthafte Prüfung einer inneren Einstellung wie einer antisemitischen Haltung erfordere mehr als den Verweis auf Fragenkataloge, "die man sich in den Ausländerbehörden dann auch noch selbst erarbeiten soll", kritisierte er. Im Ministerium liege weder ein Konzept vor noch gebe es eine Vorstellung davon, dass das Verfahren auch rechtlich überprüfbar sein müsse. KI könne diese Konzeptionslosigkeit nicht ersetzen, so Domke.
Antisemitismus unter Migranten
Die Integrationsbeauftragte des Landes, Jana Michael, hatte zuletzt Antisemitismus in der "migrantischen Gesellschaft" beklagt. Diese Entwicklung müsse klar benannt und bekämpft werden, forderte Michael. Im vergangenen Jahr haben nach bisher vorliegenden Zahlen des Innenministeriums bis Ende November 1.708 Ausländer einen deutschen Pass bekommen. Ihre bisherige Staatsbürgerschaft mussten sie nicht mehr ablegen. Der Großteil der Neubürgerinnen und -bürger stammt aus Syrien - ihr Anteil macht mit rund 1.000 Eingebürgerten mehr als die Hälfte aus.