Ein Jahr Bauernproteste in MV - War es das schon?
Anfang 2024 kommen die bundesweiten Bauernproteste auch in Mecklenburg-Vorpommern an. Was die Landwirte erreicht haben, ob sie sich damit zufriedengeben und warum es wieder zu Protesten kommen könnte.
Der 8. Januar 2024 - mit seinem Traktor steht Otto Rogall vom Landhof Bobitz an der nächstgelegenen A20-Auffahrt. Es ist der Auftakt für wochenlange Bauernproteste. Die angedrohte Streichung der Agrardiesel-Subvention ist der Auslöser. Für Rogall und viele andere Landwirte bringt diese Sparmaßnahme der damaligen Ampel-Regierung das Fass zum Überlaufen. "Die Düngeverordnung, das Tierwohllabel und alles, was uns die letzten Jahre einfach aufgebürdet wurde, ist einfach zu viel. Die Bürokratie. Die werfen uns immer mehr Knüppel zwischen die Beine, dass wir schon fast nicht mehr laufen können", so Rogall.
Bauern aus MV bei Großdemonstration in Berlin
Heute erinnert sich der Landwirt aus Bobitz (Landkreises Nordwestmecklenburg) mit gemischten Gefühlen an die Proteste: "Dass der größte Teil der Landwirte mit auf die Straße gegangen ist, das macht einen stolz. Aber es war nicht der ganz große Erfolg, den wir am Ende erreicht haben. Uns wurde mehr versprochen als das, was am Ende bei rausgekommen ist." Bis nach Berlin zur Bundesregierung ziehen die Bauern im Januar 2024. Die Politik rudert zumindest ein Stück weit zurück: Die Agrardiesel-Subvention soll nicht sofort, sondern erst schrittweise fallen.
Bauernverband kritisiert Reaktion der Ampel
Die Ampelregierung habe nur unzureichend auf die Forderungen der Landwirtinnen und Landwirte reagiert, erklärt Mecklenburg-Vorpommerns Bauernpräsident Karsten Trunk. Damit meint er auch das im Sommer 2024 beschlossene Agrarpaket. Es enthalte wenige Erleichterungen und zu viele neue Belastungen - beispielsweise im Bereich der Düngevorschriften.
Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till Backhaus (SPD) wendet ein, die Forderungen der Bauern müssten zu Lösungen führen, die auch den Klima- und Umweltschutz einschließen. Die Politik sei in einer Phase, wo auch Veränderungen sehr lange dauern und sich mancher dadurch vielleicht auch nicht ernst genommen fühle. Backhaus ist der Überzeugung: "Wir haben im Agrarbereich insgesamt kein Erkenntnisproblem, sondern wir haben ein Umsetzungsproblem.“
Rogall: "Wollte nicht Opfer der Bürokratie werden"
Ein Satz, den Otto Rogall sicher unterstreichen kann. Mittlerweile leitet er die Agrargenossenschaft in Bobitz. In seinem Büro beugt sich der 37-Jährige über mehrere Aktenordner. Es geht um die jährliche Stoffstrombilanz, die dokumentiert, wann, wo genau, wieviel Gülle auf die rund 2.500 Hektar Ackerfläche ausgebracht wurde. Zuvor stand schon eine sogenannte Düngebedarfsermittlung an. Um berechnen zu können, wie viel Dünger die Ackerpflanzen benötigen, müssen die Landwirte Bodenproben nehmen und die Inhaltstoffe der Gülle bestimmen, erklärt Rogall.
Wo die Hinterlassenschaften der fast 700 Kühe des Landhofs dann am Ende landen, muss in verschiedenen Datenbanken und Karteien festgehalten werden. Das sei ein Riesenaufwand, nur um ein bisschen Gülle zu fahren, so Rogall. Als der heute 37-Jährige die landwirtschaftliche Laufbahn einschlug, hatte er damit nicht gerechnet: "Du wolltest Trecker oder Mähdrescher fahren, da hast du Bock drauf gehabt und nicht im Büro sitzen und Opfer der Bürokratie werden."
Sozialforschung geht Motiven auf den Grund
Diesen Gedanken teilen viele Landwirte im Land, sagt Wirtschaftssoziologe Professor Hajo Holst von der Universität Osnabrück. Er und sein Team forschen zu den Bauernprotesten und den Motiven der Landwirte. Die Wissenschaftler haben von Mecklenburg-Vorpommern bis nach Bayern mit rund 1.000 Landwirten gesprochen.
Vertrauen in die Politik schwindet
Ursächlich für die Proteste seien sogenannte Transformationskonflikte, Konflikte um die beginnende sozial-ökologische Transformation. "Also Konflikte um die Zukunft der Landwirtschaft und den richtigen Weg dahin", erklärt der Professor. Dabei seien sehr unterschiedliche Positionen unter den Landwirten zutage getreten. "Im Grunde reicht die Bandbreite von Landwirten, die die Transformation kategorisch ablehnen bis zu Landwirten, denen die Transformation nicht schnell genug geht." Feststellen ließen sich aber im Grunde drei große Treiber der Proteste:
- verbreitete wirtschaftliche Nöte
- ein Gefühl bürokratischer Überregulierung
- Skepsis gegenüber der beginnenden Ökologisierung
Nur 40 Prozent der Betriebe sehen sich demnach wirtschaftlich auf sicheren Füßen; 58 Prozent der Landwirte bangen um ihren Lebensstandard und für 72 Prozent erscheinen die gesellschaftlichen Erwartungen an Umweltschutz und Tierwohl nicht erfüllbar. Zudem haben Landwirtinnen und Landwirte der Studie zufolge kein Vertrauen mehr in die Politik.
Soziologen rechnen mit weiteren Protesten
Dieses Gefühl teilt auch Otto Rogall aus Bobitz: "Ich will jetzt nicht von Resignation sprechen, aber man hat es ja schon aufgegeben, eine vernünftige Politik zu bekommen." Wünschenswert seien weiterhin der Abbau von Bürokratie und "vernünftige Preise für vernünftige Produkte". Es gehe zunehmend auch um einen Protektionismus nach außen, so Rogall. Man müsse die Landwirte vor Billigimporten schützen, die nicht zu den hiesigen Standards produziert worden sind - beispielsweise aus Südamerika. In der Politik der Marktöffnung sehen die Osnabrücker Sozialforscher aktuell die stärkste Sprengkraft - allen voran das das Mercosur-Abkommen. Erste Demonstrationen gab es bereits. Mit dem Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten - Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela - entsteht die größte Freihandelszone der Welt. Sie betrifft mehr als 700 Millionen Menschen.
Auch das ursprüngliche Problem, der Konflikt um die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland und Europa, sei nicht gelöst worden. "Insofern erwarte ich, dass die Proteste wenn dann eher zunehmen als abnehmen", prognostiziert Prof. Hajo Holst von der Universität Osnabrück.