Deutsche Bürokratie: Problem für Fachkräfte aus dem Ausland

Stand: 27.10.2023 07:52 Uhr

von Anna-Lou Beckmann, Redaktion Politik & Recherche

Züsow, ländlicher Raum, etwa 20 Kilometer entfernt von Wismar: In einer kernsanierten Scheune rattern die Nähmaschinen. Hier werden aus Schafswolle Jacken produziert. Fair, nachhaltig, regional - und das alles in Handarbeit. Das ist Marco Scheel, Gründer und Geschäftsführer der Firma Nordwolle, wichtig. Eigentlich fehlen in der Region die entsprechenden Fachkräfte. Selbst ausbilden kann der Meisterbetrieb nicht - die nächste Berufsschule ist Hunderte Kilometer entfernt in Süddeutschland. "Das klingt ein wenig makaber, aber wir partizipieren dann von den Einwanderungswellen", so Scheel. 80 Prozent seiner Mitarbeitenden in der Näherei kommen aus dem Ausland. Sie stammen etwa aus der Ukraine, aus Syrien oder auch aus Afghanistan. Sie halten den Betrieb am Laufen. Der Unternehmer ist dankbar, sie zu haben und gleichzeitig frustriert, dass ihm und ihnen immer wieder Steine in den Weg gelegt würden.

Unternehmer: "Das ist absolut unbefriedigend"

Regelmäßige Behördengänge, ständige Sorgen um den Aufenthaltsstatus, fehlende Deutschkurse - das sind nur einige der Alltagsprobleme, schildert der Geschäftsführer der Firma Nordwolle. "Dann dürfen sie manchmal aufgrund ihres Aufenthaltsstatus den Landkreis nicht verlassen. Wie soll das denn gehen, wenn sie etwa in Güstrow wohnen? Das ist doch schon ein anderer Landkreis", ärgert sich Scheel. "Und wenn man dann versucht, den Umzug zu organisieren, dann ist das drei Tage lang eine Odyssee durch alle Behörden dieser Welt." Für ihn sind Situationen wie diese völlig unverständlich. "Du findest jemanden, der ist auch gewillt zu arbeiten. Aber dann gibt es noch jemand anderen, der sagt 'Nicht so schnell'". Die Situation sei absolut unbefriedigend. Der Unternehmer ist sicher: Die deutsche Bürokratie verschlimmere den bestehenden Fachkräftemangel.

Nur 19 Prozent der ukrainischen Geflüchteten sind erwerbstätig

Mit dieser Meinung ist er nicht allein. Ähnlich schätzt auch der Professor für Politikwissenschaften und Migrationsforschung von der Uni Münster, Dietrich Thränhardt, die Lage ein. In einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung untersuchte er, wie viele ukrainische Geflüchtete bereits erwerbstätig sind. Dank einer EU-Regel dürften sie theoretisch sofort arbeiten. Während der Anteil derer, die das auch tun, etwa in Dänemark in diesem Jahr bei etwa 77 Prozent liegt, landet Deutschland im Vergleich der europäischen Staaten auf einem der letzten Plätze. 19 Prozent der Ukrainer und Ukrainerinnen sind hierzulande erwerbstätig, im vergangenen Jahr waren es 17 Prozent. Die Ursache laut dem Autor der Studie: die deutsche Bürokratie.

"Die Institutionen sind zu langsam. Die rechtlichen Vorgaben sind zu schwierig. Ich denke, gerade im Beamtenbereich ist auch eine große Scheu, Verantwortung zu übernehmen", erklärt Thränhardt. Außerdem beobachtet der Experte eine Dequalifizierung: Die ankommenden Ukrainer und Ukrainerinnen seien häufig sehr gut ausgebildet, würden in Deutschland allerdings oft nur einen weniger qualifizierten Job erhalten. Das liege daran, dass Berufsanerkennung sehr langwierig und die Sprachanforderungen zu starr seien. Der Wissenschaftler ist sich sicher: Deutschland verpasse gerade eine große Chance, den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen. "Das kann so nicht weiter gehen. Die Migration kann uns bei den Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt helfen, aber nur wenn wir vernünftig damit umgehen", so der Professor der Uni Münster. Das bisherige Agieren der deutschen Behörden bezeichnete er angesichts des Fachkräftemangels als "schizophren". 

Biercher: Behörden "arbeiten nicht gut Hand in Hand zusammen"

In weiten Teilen muss auch der Chef der Agentur für Arbeit im Norden, Markus Biercher, der Kritik zustimmen. "Wir sind - auch wenn wir seit 2020 ein Einwanderungsland sind - in Deutschland tatsächlich behördlich noch nicht gut aufgestellt." Der Gesetzgeber habe seinen Teil bereits getan. Nach Bierchers Meinung müssten jetzt Behörden, Kammern und Verbände ihre Prozesse besser aufeinander abstimmen. "Diese Beteiligten arbeiten noch nicht gut Hand in Hand zusammen." Es gehe darum, Fachkräfte und Unternehmen persönlich zusammenzubringen. Es müsse daran gearbeitet werden, dass es weniger Hürden und dafür mehr "Möglichmacherei" gebe.

Ein weiterer Kritikpunkt Bierchers: "Die Anerkennungsverfahren (Anmerkung der Redaktion: Anerkennungsverfahren der Berufsabschlüsse) sind ausgesprochen kompliziert und ausgesprochen langwierig." Sein Credo: Mehr auf die persönlichen Kompetenzen der Menschen vertrauen statt nur auf formale Abschlüsse. Trotz aller Probleme und Kritik zeigte Biercher sich zuversichtlich: "Allein im letzten Jahr haben wir die Zahl der beschäftigen Ukrainer und Ukrainerinnen in Mecklenburg-Vorpommern vervierfacht."

Land plant zentrale Einheit, um das Problem anzugehen 

Doch auch das Land scheint das Problem erkannt zu haben. Das Innenministerium arbeitet derzeit an einer neuen, zentralen Abteilung, die sich explizit um den Fachkräftezuzug in Mecklenburg-Vorpommern kümmern soll. Die Ministeriumssprecherin beschreibt die Idee wie folgt: "Das wird Know-How bündeln, damit die Entscheidungen beschleunigt werden und die Qualität der Entscheidungen optimiert wird." Die neue Einheit solle als Ansprechpartner für Unternehmen im Land, Arbeitsmigrationswillige sowie deutsche Botschaften im Ausland auftreten. Das entlaste auch die einzelnen Ausländerbehörden der Kreise. So zumindest der erste Entwurf, der bereits im Kabinett besprochen worden ist. Es folgen weitere Beratungen. Startschuss für die Arbeit der neuen Einheit könnte der 1. April 2024 sein. Dann sollen sich sechs Mitarbeitende um die Integration ausländischer Fachkräfte in Mecklenburg-Vorpommern kümmern.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 27.10.2023 | 06:00 Uhr

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