Abgelegen im Wald: Wo dürfen Geflüchtete in MV untergebracht werden?
Bei Stralsund plant der Landkreis Vorpommern-Rügen eine Unterkunft für Geflüchtete einzurichten. Die isolierte Lage sorgt für Kritik vom Flüchtlingsrat.
Versteckt gelegen in einem Wäldchen, von der nächsten Ortschaft Negast etwa drei Kilometer Fußweg auf einem unbeleuchteten Feldweg entfernt - hier liegt die geplante Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete bei Stralsund. Bis vor wenigen Jahren lebten hier Menschen mit Behinderung, nun sollen bald etwa 80 Geflüchtete einziehen. Ein Bus fährt bislang nicht. Die Infrastruktur sei "schlecht" und auch "viele andere Parameter nicht günstig", dessen sei man sich bewusst, sagte bei einer Einwohnerversammlung vor zwei Wochen auch die stellvertretende Landrätin von Vorpommern-Rügen Kathrin Meyer (CDU): "Aber in der Not braucht man eben auch solche Objekte", so Meyer, "um nicht auf Sporthallen ausweichen zu müssen". Andere Unterkünfte bräuchten noch Vorbereitungszeit, die im Wald solle nur übergangsweise für zwei Jahre genutzt werden.
Überforderung bei Unterbringung
Bundesweit sind viele Kommunen mit der Unterbringung Geflüchteter überfordert. Unter diesem Druck beraten die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in Berlin mit dem Bundeskanzler. Die Not der Kreise bestätigt auch Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD). Die Zahl der Asylerstanträge steigt nach ruhigen Jahren mit etwa 2.000 bis 3.000 Fällen pro Jahr im Land seit 2022 wieder stark an. Im vergangenen Jahr lag sie bei mehr als 6.000 Erstanträgen. Es gebe einen erheblichen "Suchdruck" in den Kreisen und kreisfreien Städten, so der Innenminister. Da müssten Kompromisse gemacht werden. In Mecklenburg-Vorpommern übernimmt das Land die Kosten der Unterbringung in solchen Gemeinschaftsunterkünften vollständig. Auch deshalb hat Pegels Ministerium über sein zuständiges Landesamt einen Blick auf die Einrichtung neuer Unterbringungsmöglichkeiten in den Kreisen.
Kritik vom Flüchtlingsrat
Scharfe Kritik an Heimen wie dem bei Negast kommt dagegen vom Flüchtlingsrat MV: "Man hat manchmal den Eindruck, dass die Landesregierung ihre eigene Verordnung nicht liest", sagt dessen Vorsitzende Ulrike Seeman-Katz. Gemeint ist die sogenannte Gemeinschaftsunterkunftsverordnung (GUVO MV) des Landes. Darin heißt es in Paragraf 2 unter der Überschrift "Grundsätze und Ziele der Unterbringung": "Um die Teilnahme am Gemeinschaftsleben zu ermöglichen, dürfen Gemeinschaftsunterkünfte nur in oder im Anschluss an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil eingerichtet werden." Und das sei in dem Fall südlich von Stralsund nicht gegeben. Es komme immer wieder vor, dass Unterkünfte irgendwo völlig ohne Nachbarschaft gelegen seien, sagt Seemann-Katz. Das behindere nicht nur die Integration, für Geflüchtete sei es auch wichtig, ihre Rechtsanwälte zu erreichen oder Arztbesuche machen zu könnten.
Innenminister: Unterkunft nicht Ort der Integration
Innenminister Pegel reagiert auf die Vorwürfe gelassen. Die angesprochene Verordnung sehe Ausnahmen vor. Und die könnten eben greifen, wenn Unterkünfte dringend gebraucht würden. Das Argument, durch eine so abgelegene Lage könne Integration nicht stattfinden, lässt er nicht gelten: Die Gemeinschaftsunterkunft sei "nicht der Ort der Integration", meint Pegel, sondern "nur in einem gewissen Zeitraum die Unterbringungsvariante". Sprach- und Integrationskurse würden dort in der Regel vor Ort angeboten. Erst nach abgeschlossenem Asylverfahren, wenn die Bleibeperspektive der Menschen klar sei, beginne der "Hauptpunkt des Integrationsprozesses", so der Minister, etwa in den Arbeitsmarkt. Diese Verfahren allerdings dauern nach Angaben des Flüchtlingsrats derzeit durchschnittlich sechs bis sieben Monate. Erheben Asylsuchende daraufhin Einspruch und klagen, ziehe sich das Verfahren auch häufig zwei bis drei Jahre hin, so Ulrike Seemann-Katz. In dieser Zeit bleiben die Menschen in Gemeinschaftsunterkünften.
Unterbringung bei Negast unvermeidlich
Um Ergebnisse wie das Heim als Notlösung bei Negast zu vermeiden, fordert sie vom Land mehr dezentrale Unterbringung zu ermöglichen oder zumindest kleinere Gemeinschaftsunterkünfte zu planen. Denn diese seien auch leichter zu finden als große Objekte. Außerdem könne das Land selbst mehr tun und in den Bau neuer Unterkünfte investieren, so die Vorsitzende des Flüchtlingsrats: "Wir wissen auch, dass die Zahl der Geflüchteten nicht abnehmen wird, weil die Zahl der Konflikte auch nicht abnimmt. Das Gegenteil ist ja eher der Fall." Das plant das Land laut Innenminister dagegen nicht. Ein Neubau koste Zeit, man würde höchstens sanieren, sonst eher zusätzliche Gebäude anmieten. Auf diesem Weg sollen auch in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes die Kapazitäten von 1.200 Plätzen auf künftig 2.400 Plätze verdoppelt werden. Das hatte das Kabinett am Dienstag erst beschlossen. Daran, dass Geflüchtete nach den ersten Wochen in dieser Erstaufnahmeeinrichtung des Landes künftig auch an abgelegenen Orten, untergebracht werden können, führt laut Pegel kein Weg vorbei: "Wir werden es nicht schaffen alle Gemeinschaftsunterkünfte nur in den großen und sehr großen Städten unseres Landes anzusiedeln, weil wir am Ende des Tages auch die gesamte Fläche brauchen", so der Innenminister.