Stand: 06.11.2018 17:02 Uhr

Resistente Keime lassen uns keine Zeit mehr

Im Arsenal der Medizin gegen Infektionen gehören Antibiotika zu den wichtigsten Waffen, doch Experten wissen seit Langem, dass das einstige Wundermittel mehr und mehr an Wirkung verliert. Viele Bakterien entwickeln Resistenzen, gerade in Krankenhäusern entstehen so gefährliche Keime, gegen die die Medizin nichts mehr ausrichten kann. Im Auftrag der EU-Gesundheitsbehörde hat ein internationales Forscherteam jetzt diese Gefahr mit einer Zahl versehen: Jedes Jahr sterben in Europa 33.000 Menschen an solchen multiresistenten Bakterien.

Ein Kommentar von Christian Baars, NDR Ressort Investigation

Christian Baars © NDR/ Foto: Christian Spielmann/Christine Raczka
Christian Baars meint, dass der Kampf gegen die Ausbreitung multiresistenter Keime vereinte Kräfte braucht.

Die Verbreitung resistenter Keime ist eines unserer größten Gesundheitsprobleme. Wenn Antibiotika nicht wirken, funktioniert auch ein Großteil unserer modernen Medizin nicht mehr. Ohne Antibiotika sterben Menschen an Bagatellerkrankungen. Da kann schon eine Mittelohr- oder Blinddarmentzündung wieder lebensgefährlich werden.

Ohne wirksame Antibiotika ist auch jede Operation oder Krebsbehandlungen lebensgefährlich - wegen des hohen Risikos von Infektionen. Zudem steigen die Kosten für die Behandlung von erkrankten Patienten deutlich an.

Resistenzen sind ein globales Problem

Deshalb warnen Wissenschaftler weltweit seit Jahren vor der Ausbreitung von resistenten Keimen. Sie fordern, deutlich mehr zu unternehmen als bislang. Ärzte müssten besser geschult, Patienten aufgeklärt, der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung noch viel stärker zurückgefahren werden. Dringend nötig ist auch, viel mehr in die Entwicklung neuer Medikamente zu investieren.

Immer deutlicher wird zudem, dass die Resistenzen ein globales Problem sind. Wenn in Indien oder China, Griechenland oder Italien gefährliche Keime entstehen, werden sie recht schnell auch im Rest der Welt zu finden sein. Die Bakterien werden von Menschen und Tieren weitergetragen, sie verbreiten sich über Lebensmittel und Wasser. Selbst über die Luft können sie sich ausbreiten.

Schleichende Bedrohung wird nicht ernst genommen

Man könnte sehr viel tun, um dem entgegenzuwirken - etwa die Tierhaltung und die Hygiene in Kliniken verbessern oder Kläranlagen ausbauen, sodass sie Keime effektiv aus dem Wasser filtern können.

All das ist bekannt, es passiert jedoch nach wie vor viel zu wenig. Letztlich ist es wie beim Klimawandel. Es ist eine schleichende Bedrohung, sie wird immer größer, aber niemand ist emotional erschüttert. Deshalb ist es so schwierig, Menschen dazu zu bringen, wirklich etwas zu unternehmen.

Gefahr im Straßenverkehr ist geringer

Erschwerend kommt hinzu, dass die verschiedenen Akteure immer auf die anderen verweisen. Landwirte schieben die Verantwortung auf Kliniken, Ärzte auf Tierhalter - und sie alle behaupten von sich, sie täten doch schon einiges.

Doch es reicht bei Weitem nicht, das zeigen jetzt auch die aktuellen Zahlen. 33.000 Tote jedes Jahr allein in der Europäischen Union. Es sterben in der EU also deutlich mehr Menschen an resistenten Bakterien als durch Verkehrsunfälle.

Jetzt handeln, denn die Zeit drängt!

Uns muss klar sein: Wenn wir nicht jetzt entschieden entgegen steuern, wird die Zahl der Infektionen und der Todesfälle weiter rasant steigen. In anderen Regionen der Welt sieht es bereits fatal aus - beispielsweise in Indien, wo resistente Keime schon überall zu finden sind.

Einige Wissenschaftler befürchten deshalb, dass weltweit bald mehrere Millionen Menschen jedes Jahr sterben werden. Es wird also dringend Zeit, zu handeln. Die aktuellen Zahlen sollten ein Weckruf sein.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kommentar | 06.11.2018 | 18:30 Uhr

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Gesundheitspolitik

Infektion

Medikamente

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