Gefährliche Keime in Bächen, Flüssen und Seen
Ein Mann fällt in einen Bach, ertrinkt fast. Im Klinikum finden die Ärzte multiresistente Erreger in seiner Lunge. Kurz darauf stirbt der Mann. Die genaue Todesursache bleibt ungeklärt. Klar ist aber: Nach dem Todesfall untersucht das Gesundheitsamt das Bachwasser und entdeckt tatsächlich gefährliche, resistente Keime. Diese Meldung aus Frankfurt vom vergangenen Frühjahr war der Anlass für eine monatelange Recherche und eine Reise quer durch Niedersachsen. Journalisten der NDR Sendung Panorama - die Reporter wollten wissen, ob möglicherweise auch hier solche Keime in Gewässern zu finden sind.
Sie haben an insgesamt zwölf Stellen Proben genommen: aus Bächen, Flüssen und an zwei Badeseen, dem Zwischenahner Meer und der Thülsfelder Talsperre. Renommierte Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden und des Universitätsklinikums Gießen haben diese anschließend auf multiresistente Erreger untersucht - also auf Keime, gegen die viele Antibiotika nicht mehr wirken. Und überall wurden sie fündig.
Alarmierende Ergebnisse
"Das ist wirklich alarmierend", sagt der Antibiotika-Experte Dr. Tim Eckmanns vom Robert-Koch-Institut zu den Funden. "Die Erreger sind anscheinend in der Umwelt angekommen und das in einem Ausmaß, das mich überrascht." Klar war zwar bislang, dass Antibiotika-resistente Erreger in der Umwelt zu finden sind und sich dort ausbreiten können. Wie stark Gewässer belastet sind, ist allerdings weitgehend unbekannt, da es bislang keine systematischen Kontrollen auf solche Erreger gibt.
Resistenzen gegen wichtige Reserve-Antibiotika
Die Ergebnisse der Proben haben so auch die beteiligten Forscher überrascht. In der Art und Vielzahl hatte sie vorher niemand erwartet. In allen überprüften Gewässern wiesen die Wissenschaftler auch Erreger nach, bei denen besonders wichtige Medikamente, sogenannte Reserveantibiotika, nicht mehr wirken.
Bei den gefundenen Keimen handelt es sich um multi-resistente gram-negative Bakterien (MRGN). Sie bereiten Ärzten zunehmend Sorge - mittlerweile deutlich mehr als die bekannten MRSA-Erreger. Denn sie können zu schwerwiegenden Erkrankungen führen, die schwer zu behandeln sind. Und die Zahl der Infektionen durch solche Erreger steigt. In Deutschland sterben Schätzungen zufolge mehrere tausend Menschen pro Jahr an Erkrankungen durch multiresistente Keime. Gefährdet sind insbesondere vorerkrankte, geschwächte Menschen, aber auch Ältere oder Neugeborene.
Keime können in Kliniken eingeschleppt werden
Dass die Keime grundsätzlich ein Risiko sind, ist unbestritten. Wie hoch die Gesundheitsgefahr durch solche Erreger in der Umwelt zum Beispiel an belasteten Badeseen ist, ist jedoch noch weitgehend unklar. Bei gesunden Menschen führen die Keime in der Regel nicht zu einer Erkrankung, erklärt der Arzt Can Imirzalioglu von der Uniklinik Gießen. Doch sie könnten sich etwa im Darm ansiedeln. Später könne dies möglicherweise zu einer Infektion führen - zum Beispiel bei einer Immunschwächung oder wenn Operationen durchgeführt werden müssten. Zudem besteht das Risiko, dass die Bakterien weitergetragen und beispielsweise in Kliniken eingeschleppt werden. Dort können sie dann für geschwächte Menschen lebensbedrohlich sein.
Tatsächlich bringen immer mehr Patienten solche Keime mit in die Klinik, also tragen sie schon in sich, bevor sie aufgenommen werden, sagt Prof. Trinad Chakraborty, der Leiter der Mikrobiologie am Gießener Universitätsklinikum. "Es gibt eine Quelle für Resistenzen außerhalb der Klinik, und das ist ein Problem, das uns zunehmend interessiert."
Einige "sehr gefährliche" Erreger in Proben
Sein Kollege, der Arzt Dr. Can Imirzalioglu, sagt, in den Proben aus Niedersachsen wären einige Keime dabei gewesen, die ihm größere Sorgen bereiten würden. "Wir haben Erreger gefunden, die bei bestimmten Patienten durchaus schwerwiegende Infektionen verursachen können und auch schon als sehr virulente, also sehr gefährliche Erreger beschrieben worden sind." Das hätten sie so nicht erwartet.
Ein besonders besorgniserregender Fund war der Nachweis eines bestimmten Gens an fünf der zwölf Probenorte, des sogenannten mcr-1-Gens. Bei Bakterien, die solch ein Gen in sich tragen, wirkt das wichtige Reserveantibiotikum Colistin nicht mehr. Das Notfallmedikament wird nur in lebensbedrohlichen Situationen eingesetzt, wenn alle anderen Antibiotika versagen.
Wissenschaftler halten es für wahrscheinlich, dass das Resistenzgen aus der Tierhaltung stammt, denn dort wird Colistin im Gegensatz zur Humanmedizin in größeren Mengen eingesetzt. Tatsächlich wurde das Gen in mehreren Proben aus einer Region mit intensiver Tierhaltung nachgewiesen. Resistente Erreger können aus den Ställen beispielsweise über Mist oder Gülle auf Felder und so in die Umwelt gelangen. Auch Tiere wie Insekten, Vögel oder Hunde verbreiten Keime weiter.
Problematische Keime hinter Kläranlagen
Ein anderer problematischer Erreger fand sich in einem kleinen Bach in einem Wald im Süden Niedersachsens. Dort landet das aufbereitete Abwasser aus einer privaten Kleinkläranlage eines Altenpflegeheims. In dem Wasser und in dem Sediment des Bachs wiesen die Forscher verschiedene multiresistente Erreger nach. Darunter war ein Keim, gegen den fast überhaupt kein Antibiotikum mehr wirkt und der in Kliniken und Heimen gefürchtet ist, weil er Lungen und Bronchien dauerhaft schädigt.
Auch in dem Fluss Hase in Osnabrück, kurz hinter dem Auslauf des kommunalen Klärwerks, fanden die Wissenschaftler Erreger, gegen die bei einer Erkrankung fast kein Mittel mehr hilft. Außerdem haben sie dort insgesamt sehr hohe Konzentrationen an multiresistenten Keimen gemessen. Beide Proben belegen ein generelles Problem: Kläranlagen in Deutschland sind derzeit nicht ausgerichtet, multiresistente Erreger komplett herauszufiltern.
Karte: Proben-Orte in Niedersachsen
Bundesumweltministerium für Nachrüstung und mehr Kontrollen
Angesichts der Ergebnisse der Proben fordert das Bundesumweltamt nun, dringend zumindest alle größeren Klärwerke nachzurüsten. Technisch sei dies machbar. Die Kosten dafür würden bei jährlich etwa 1,3 Milliarden Euro liegen - das wären knapp 16 Euro für jeden Bundesbürger, sagt die Präsidentin des Umweltbundesamts Maria Krautzberger im Interview für die Sendung Panorama - die Reporter. Das seien "Mittel, die man durchaus in Erwägung ziehen sollte, auch zum Schutz des Einzelnen", so Krautzberger.
Auch das Bundesumweltministerium teilte dem NDR auf Anfrage mit, es halte eine Nachrüstung von Kläranlagen für sinnvoll. Außerdem sieht es Handlungsbedarf zum Beispiel bei Badegewässern. Sie sollten künftig auf multiresistente Erreger untersucht werden, so das Bundesumweltministerium. Zuständig für beides seien jedoch die Bundesländer.
Auf Anfrage des NDR teilten die Landesministerien in Niedersachsen allerdings mit, sie schätzten das Gesundheitsrisiko als gering ein und sähen keinen besonderen Handlungsbedarf. Sie verwiesen auf bestehende Vorschriften und Kontrollen. Eine Untersuchung von Badeseen oder anderen Gewässern auf antibiotika-resistente Keime fand demnach bislang nicht statt, wurde aber auch vonseiten der niedersächsischen Ministerien nicht als erforderlich angesehen. Die Befunde der vom NDR durchgeführten Proben wollte das niedersächsische Gesundheitsministerium nicht bewerten.
Niedersächsischer Umweltminister kündigt Proben an
Nach der Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse sagte jedoch Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD): "Wir nehmen das Thema ernst und wir können nachvollziehen, dass sich die Menschen sorgen, wenn plötzlich solche Messergebnisse vorliegen." Das Risiko für den Menschen, sich beim Baden in offiziell überwachten Badegewässern mit antibiotikaresistenten Erregern zu infizieren, sei jedoch sehr gering. Allerdings würden sie jetzt die Ergebnisse des NDR genau überprüfen lassen, "um gegebenenfalls weitere Schritte zu unternehmen." Mittlerweile kündigte das Ministerium an, eigene Proben nehmen zu lassen.
Zu den niedersächsischen Kläranlagen hieß es in der Antwort des Umweltministeriums auf die NDR Anfrage, sie würden die gesetzlichen Vorgaben erfüllen. Die Einführung einer zusätzlichen Reinigungsstufe sei "daher derzeit grundsätzlich nicht vorgesehen". Das Umweltministerium hielt lediglich eine Behandlung von Dünger für "zielführend", um den Eintrag von resistenten Erregern in die Umwelt zu reduzieren. Doch dafür sei Niedersachsens Landwirtschaftsministerium zuständig. Dies wiederum hält eine solche Maßnahme für nicht gerechtfertigt.