Korruptionsaffäre: Staatsanwaltschaft Hannover in Erklärungsnot
In der Affäre um einen mutmaßlich korrupten Staatsanwalt gerät die Staatsanwaltschaft Hannover in Bedrängnis. Möglicherweise wusste sie über die Vorwürfe gegen Yashar G. früher Bescheid als bisher bekannt.
In der Korruptionsaffäre um den Staatsanwalt Yashar G. gerät die Staatsanwaltschaft Hannover zunehmend in Bedrängnis. Nach Informationen des NDR sollen G.s Vorgesetzte bereits im Juni 2020 von einer anonymen Quelle darüber in Kenntnis gesetzt worden sein, dass ein iranisch-stämmiger Staatsanwalt aus der Abteilung für Betäubungsmittelsachen vertrauliche Informationen an Dritte weitergegeben habe. Dies erklärte der Strafverteidiger Raban Funk im Interview mit dem NDR. Yashar G. wäre somit klar zu identifizieren gewesen.
Niedersächsisches Justizministerium äußert sich nicht zu Vorwürfen
Der Anwalt Funk hat in der Vergangenheit zahlreiche Mandate aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität übernommen und gilt als sehr gut vernetzt. Soweit sich seine Angaben nachprüfen lassen, erscheinen sie plausibel. Auf Nachfrage erklärte ein Sprecher des niedersächsischen Justizministeriums, dass man zu dem Vorwurf aufgrund des laufenden Verfahrens gegen Yashar G. derzeit "keine Auskünfte erteilen" könne.
Anklage: G. soll 5.000 Euro monatlich plus Boni erhalten haben
Yashar G. wurde im Oktober 2024 verhaftet und sitzt seither in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück wirft ihm vor, im größten Kokainverfahren der europäischen Geschichte vertrauliche Informationen an die Täterseite weitergegeben zu haben. Yashar G. leitete das Verfahren. Für seine Tätigkeit als Maulwurf soll G. von der Kokainbande laut Anklageschrift eine Grundvergütung von 5.000 Euro im Monat erhalten haben sowie weitere 5.000 Euro für besonders wichtige Informationen. Die Täter sollen unter anderem für den Schmuggel von 16 Tonnen Kokain verantwortlich gewesen sein. Durch die Hilfe von G. sollen die Täter über wichtige Ermittlungsschritte informiert gewesen sein.
Staatsanwaltschaft Osnabrück: G. soll undichte Stelle sein
Viele der Täter konnten sich aufgrund einer undichten Stelle bei den Ermittlungsbehörden ihrer geplanten Festnahme im Frühjahr 2021 entziehen. Im Rahmen einer breit angelegten Durchsuchungsaktion konnten damals lediglich 20 der geplanten 32 Festnahmen vollzogen werden. Die restlichen Verdächtigen hatten sich nach Dubai, Albanien, Marokko und in andere Länder abgesetzt. Noch immer befinden sich mehrere mutmaßliche Täter, darunter der Hauptbeschuldigte, auf der Flucht. Heute ist die Staatsanwaltschaft Osnabrück davon überzeugt, dass es sich bei der undichten Stelle um Yashar G. gehandelt habe.
Trotz Verdachts: G. wurde nicht aus Abteilung abgezogen
Der gesamte Vorgang ist derzeit "Gegenstand einer umfassenden internen Prüfung", teilte das Justizministerium auf Nachfrage mit. Nach Informationen des NDR geht es dabei auch um die Frage, ob Vorgesetzte von Yashar G. möglicherweise gegen Dienstvorschriften verstoßen haben. Obwohl in den vergangenen Jahren immer wieder Verdachtsmomente gegen Yashar G. auftauchten und seine Vorgesetzten auch hierüber informiert waren, zog die damalige Leiterin der Staatsanwaltschaft Hannover, Katrin Ballnus, Yashar G. nicht aus der Abteilung für Betäubungssachen ab. Ballnus leitet inzwischen die Generalstaatsanwaltschaft Celle. Ein Mitte 2022 gegen G. eingeleitetes Verfahren wurde Ende 2023 wieder eingestellt, obwohl zu diesem Zeitpunkt zahlreiche Beweismittel gegen G. vorlagen, die Insider als "durchaus belastend" einschätzen. Zudem soll sich Ballnus aktiv dafür eingesetzt haben, dass G. das 16-Tonnen-Verfahren weiterführen sollte, obwohl gegen ihn zum Beginn der Hauptverhandlungen, im Dezember 2022, bereits ein Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrats lief. Auf Nachfrage erklärte Katrin Ballnus, sie könne sich zu Einzelheiten nicht äußern und verwies auf die andauernden Ermittlungen.
Polizei stellt Fotos von Einsatzplänen in G.s Wohnung sicher
Im Zuge der Ermittlungen wurden damals auch G.s Privatwohnung und sein Dienstzimmer durchsucht. Nach NDR-Informationen wurden hierbei umfangreich Indizien gesichert, die den Tatverdacht gegen G. stützen. So stellte die Polizei Hunderte Fotos von vertraulichen Ermittlungsakten auf Speichermedien und auf G.s Handy sicher. Darunter auch Fotos von Einsatzplänen der gescheiterten Razzia gegen die Kokainbande im Frühjahr 2022. Die sichergestellten Unterlagen sind derzeit ein wichtiges Beweismittel im anstehenden Prozess gegen Yashar G..
Trotz Beweisen: Staatsanwaltschaft sieht keinen erhärteten Tatverdacht
Offenbar wurden sie zum Zeitpunkt der Sicherstellung allerdings nicht als relevant bewertet. Bereits einen Tag nach der Durchsuchung bei Yashar G. wurde das Justizministerium vom damaligen Generalstaatsanwalt und von der damaligen Leiterin der Staatsanwaltschaft Hannover, Katrin Ballnus, über die Durchsuchung informiert. Hierbei sei durch die Staatsanwaltschaft dargelegt worden, "dass sich ein Tatverdacht auch durch die Durchsuchung bisher nicht erhärtet habe", teilte das Justizministerium auf NDR-Anfrage mit. Wenige Tage nach der Durchsuchung konnte Yashar G. somit die Anklage im Hauptverfahren gegen mehrere Mitglieder der 16-Tonnen Bande führen. Die Leiterin der Staatsanwaltschaft ordnete allerdings an, ihm einen zweiten Staatsanwalt zur Seite zu stellen.
BGH: Urteil gegen Spediteur muss neu verhandelt werden
Unter den Angeklagten befand sich zu diesem Zeitpunkt auch der Spediteur Jonas H. Dieser Umstand ist juristisch heikel: Jonas H. hatte vor dem Beginn seines Prozesses eine Aussage gemacht und darin eben den Staatsanwalt belastet, der damals gegen ihn die Anklage führte: Yashar G.. Der Spediteur wurde vom Landgericht Hannover zu einer Haftstrafe von zwölfeinhalb Jahren verurteilt. Mittlerweile hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass über dieses Strafmaß neu verhandelt werden muss, weil das Landgericht Hannover keine Strafmilderungsgründe erwogen habe, obwohl Jonas H. mit seiner Aussage im Prozess versucht hatte, die mutmaßlichen Taten des Staatsanwaltes aufzuklären.
Justizministerium Niedersachsen blieb lange tatenlos
Neben der Staatsanwaltschaft Hannover muss sich auch das Justizministerium Niedersachsen unangenehmen Fragen stellen. Bisher erklärte das Ministerium, dass es erst nach der erfolgten Durchsuchung, Ende November 2022 von den Verdachtsmomenten gegen Yashar G. erfahren habe. Dieser Umstand ist wichtig, denn das Ministerium führt die Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften in Niedersachen und kann diesen Weisungen geben. Entsprechend hätte auch das Ministerium verfügen können, Yashar G. aus dem Kokainverfahren abzuziehen. Ebenfalls hätte es bestimmen können, dass die Ermittlungen in dem Fall an eine andere Staatsanwaltschaft abgegeben werden müssen. Beides ist jedoch nicht passiert. Und das, obwohl ein damaliger Referatsleiter des Ministeriums offenbar bereits Ende September 2022 von den Vorwürfen gegen Yashar G. Kenntnis hatte, also etwa zwei Monate vor der Durchsuchung. Offenbar telefonierte der Referatsleiter damals auch mit der Staatsanwaltschaft Hannover zu den heiklen Vorwürfen. Über die Inhalte des Gesprächs ist nichts bekannt. Das Ministerium wollte sich zu dem Vorgang nicht äußern.
Zeugenaussagen: G. soll weitere Ermittlungsinterna verraten haben
Der Fall wird die niedersächsische Justiz und auch die niedersächsischen Strafverfolgungsbehörden wohl noch lange beschäftigen. Laut Anklageschrift besteht der Verdacht, dass Yashar G. nicht nur die 16-Tonnen-Bande mit Informationen versorgt haben könnte. Zeugen haben demnach ausgesagt, dass Yashar G. in den vergangenen Jahren zahlreiche Kriminelle mit Ermittlungsinterna versorgt haben soll.
Durchsuchungen: Vertrauliche Unterlagen aus Berlin gefunden
Konkret sehen die Ermittler Hinweise darauf, dass auch Yashar G.s Schwager, ein verurteilter Drogenhändler, vertrauliche Informationen von G. abgefragt und an Dritte weitergeleitet haben könnte. Weiter besteht der Verdacht, dass G. auch Mitglieder der Hannoverschen Rockergruppierung Hells Angels über Jahre hinweg mit Informationen versorgt haben könnte. Unter den bei Yashar G. sichergestellten Beweismitteln befinden sich zudem Fotos aus vertraulichen Unterlagen der Berliner Justiz. G. arbeitete von 2014 bis 2019 als Staatsanwalt in Berlin, wo er ebenfalls für Drogensachen zuständig war. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Berlin erklärte, seine Behörde habe hiervon bisher keine Kenntnis.
G. bearbeitete für die Staatsanwaltschaft Hannover 247 Drogenfälle
Derzeit prüfen Ermittler des Landeskriminalamtes Niedersachsen, ob sie weitere Hinweise auf Korruptionshandlungen oder andere Straftaten in dem Komplex finden. Nach Angaben des niedersächsischen Justizministeriums bearbeitete Yashar G. in seiner Zeit bei der Staatsanwaltschaft Hannover insgesamt 247 Drogenfälle.
Rechtsanwalt: Mandant bestreitet Vorwürfe vollständig
Der Prozess gegen Yashar G. startet am 23. April. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück wirft ihm Bestechlichkeit in einem besonders schweren Fall, Verletzung des Dienstgeheimnisses und Strafvereitelung im Amt vor. Der 39-Jährige ist in 14 Fällen angeklagt. Auf Nachfrage teilte Yashar G.s Rechtsanwalt Timo Rahn dem NDR mit, die "aktuellen Anklagevorwürfe werden von meinem Mandanten vollständig bestritten". Weder habe Yashar G. an die Kokainbande noch andere Kriminelle Informationen weitergereicht. Dies gelte sowohl für seine Zeit in der Staatsanwaltschaft Hannover als auch für seine Zeit in Berlin. Zudem kündigte der Strafverteidiger an, dass sich sein Mandant im anstehenden Prozess "vollumfänglich einlassen" wolle. Es gilt die Unschuldsvermutung.
