Stand: 06.02.2018 01:00 Uhr

Fragen und Antworten zu Keim-Funden in Gewässern

Journalisten des NDR haben für die Sendung Panorama - die Reporter Proben in Gewässern in Niedersachsen genommen, unter anderem in Bächen, Flüssen und Badeseen. Dort fanden sich überall gefährliche, multiresistente Erreger.

Welche Erreger wurden gefunden?

Die Untersuchungen waren darauf ausgerichtet, nach bestimmten Bakterien zu schauen, die als besonders problematisch gelten und die bekanntermaßen auch in der Umwelt vorkommen können. In der Wissenschaft werden sie als multiresistente gram-negative Bakterien (MRGN) bezeichnet. Es handelt sich vor allem um Fäkalkeime, die bei Menschen und Tieren in der Regel im Darm vorkommen.

Weitere Informationen
Jemand hält eine Platte mit Bakterien drauf.

Gefährliche Keime in Bächen, Flüssen und Seen

NDR Reporter haben Gewässerproben aus Niedersachsen auf antibiotikaresistente Keime untersuchen lassen. Überall wurden sie fündig. Das Umweltbundesamt fordert Konsequenzen. mehr

Tatsächlich fanden die Forscher in den Proben von allen untersuchten Stellen solche Bakterien (v.a. E.coli) beziehungsweise entsprechende Resistenz-Gene. Überall wiesen sie auch Erreger nach, bei denen wichtige Reserve-Antibiotika (die sogenannten Carbapeneme) nicht mehr wirken. Einige Bakterien waren gegen fast alle zur Verfügung stehenden Mittel resistent.

An fünf der zwölf Orte wiesen die Wissenschaftler zudem Resistenz-Gene vom Typ mcr-1 nach. Bei Bakterien, die es in sich tragen, wirkt das wichtige Reservemedikament Colistin nicht mehr. Lange Zeit wurde das Mittel in Deutschland fast ausschließlich in der Tiermast eingesetzt. Denn es kann bei Menschen schwere Nebenwirkungen verursachen. Doch seit einigen Jahren müssen Klinik-Ärzte bei einigen lebensbedrohlich erkrankten Patienten wieder Colistin einsetzen, weil immer mehr Antibiotika versagen.

Wie gefährlich sind die gefundenen Erreger?

Die in den Gewässern nachgewiesenen Erreger führen bei Gesunden in der Regel nicht zu einer Erkrankung. Sie können aber - etwa wenn das Immunsystem geschwächt ist - schwere oder sogar lebensbedrohliche Infektionen verursachen wie Harnwegsinfektionen, Lungenentzündungen oder eine lebensgefährliche Sepsis ("Blutvergiftung"). Weil die Erreger gegen viele Antibiotika resistent sind, sind solche Erkrankungen dann schwer zu behandeln.

Downloads

Ergebnisse der Keim-Proben aus Gewässern

Die TU Dresden und das Uniklinikum Gießen haben Proben aus niedersächsischen Gewässern für den NDR untersucht. Die genauen Ergebnisse können hier heruntergeladen werden (PDF). Download (164 KB)

Die Bakterien werden häufig als "Krankenhaus-Keime" bezeichnet, da sie vor allem geschwächte Patienten in Kliniken betreffen. Auch Neugeborene oder ältere Menschen sind stärker gefährdet. Zu Infektionen können die Erreger außerdem etwa bei Wunden oder Operationen führen.

Wenn gesunde Menschen solche Keime etwa auf der Haut oder in ihrem Darm tragen, merken sie meist nichts davon. Ärzte sprechen dann von einer "Besiedlung" im Unterschied zu einer Infektion, bei der Krankheitssymptome auftreten.  "Besiedelte" oder "kolonisierte" Menschen können aber die Bakterien weitertragen und beispielsweise in Kliniken oder Altenheime einschleppen.

Über das Wasser breiten sich die Keime zudem in der Umwelt aus. Auch Tiere wie Vögel, Insekten, Ratten oder Hunde können sie weitertragen. Wie groß die Gefahr ist, dass Menschen die Keime aus der Umwelt aufnehmen und diese sich dann im Darm einnisten, ist nicht klar. Abhängig ist sie auf jeden Fall von der Konzentration: Je mehr Keime da sind, desto höher ist das Risiko. Auch eine Antibiotika-Behandlung kann die Gefahr erhöhen. Denn dann sterben viele Bakterien, und möglicherweise vorhandene resistente Keime haben mehr Platz, um sich auszubreiten.

Woher stammen die multiresistenten Bakterien?

Dies ist im Einzelfall schwer zu beantworten. Aber Untersuchungen zeigen, dass sie wohl teils aus Kliniken und Haushalten sowie teils aus der Tiermast stammen. Klar ist: Überall, wo viele Antibiotika eingesetzt werden, entstehen resistente Erreger.

Einige Mittel wie Colistin werden fast ausschließlich in der Tiermast eingesetzt - zum Beispiel in der Puten- und Hühnermast, andere wie die Carbapeneme nur in der Humanmedizin. Findet man nun Resistenzen gegen diese Mittel, kann man daraus schlussfolgern, in welchem Bereich sie wahrscheinlich entstanden sind.

Allerdings können Bakterien die Resistenz-Eigenschaften untereinander austauschen. Auch die Keime selbst können von Tieren und Menschen weitergetragen werden. So findet man auch in Ställen Erreger, die gegen Carbapeneme resistent sind oder umgekehrt in Kliniken manchmal Bakterien, bei denen Colistin nicht mehr wirkt.

Wo und wie wurden die Proben genommen?

Die Proben wurden exemplarisch an insgesamt zwölf Orten in Niedersachsen genommen - aus Flüssen, Bächen, Badeseen und aus der Kanalisation unter einer Klinik. Neben den Badestellen handelte es sich um Probenorte, wo die Verbreitung resistenter Keime möglich schien, weil dort vermutlich viel Antibiotika eingesetzt werden - zum Beispiel in Gegenden mit intensiver Tierhaltung, an einer Klinik oder hinter einem Altenpflegeheim.

Karte: Proben-Orte in Niedersachsen

Die Journalisten der NDR-Sendung Panorama - die Reporter haben jeweils zwei Liter Wasser in sterile Flaschen gefüllt und - wo es möglich war - Sedimentproben genommen. Alles wurde sofort gekühlt und per Express-Sendung verschickt, so dass die Proben spätestens 24 Stunden nach der Entnahme im Labor in Dresden waren.

Wie wurden die Proben untersucht?

Zwei Plastikflaschen mit Proben in einem Labor. © NDR
Die Wasserproben wurden in sterilen Flaschen ins Labor nach Dresden geschickt.

Zunächst haben Wissenschaftler des Instituts für Hydrobiologie an der Technischen Universität Dresden die Proben untersucht. Sie sind auch an einem großen, vom Bundesforschungsministerium finanzierten Projekt zur Gefahr der Ausbreitung von resistenten Erregern über Abwässer beteiligt ("HyReKA").

Mit einer speziellen Methode, dem sogenannten qPCR-Verfahren, haben sie nach bestimmten Resistenz-Genen in den Wasser- und Sedimentproben geschaut. Das Problem daran ist jedoch, dass man nicht erkennen kann, welche Bakterien genau dort vorhanden sind. Deshalb haben die Wissenschaftler, einzelne Keime herausgefiltert und untersucht, ob sie auf speziellen Nährmedien mit Antibiotika heranwachsen. Denn wenn sich Bakterien trotz der vorhandenen Medikamente vermehren, bedeutet das, sie sind dagegen resistent, und die Antibiotika wirken gegen sie nicht.

Aus den Proben von allen Orten konnten im Labor viele verschiedene multiresistente Bakterien herangezüchtet werden. Diese haben die Dresdener Forscher dann an das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung an der Universitätsklinik Gießen geschickt. Dort haben die Wissenschaftler die Bakterien genauer untersucht und jeweils ein Antibiogramm erstellt, also getestet, welche Antibiotika bei ihnen noch wirken.

Außerdem haben die Wissenschaftler stichprobenhaft bei zehn der Bakterien das gesamte Erbgut analysiert - mithilfe einer sogenannten Ganz-Genom-Sequenzierung. Dabei wird eine Art genetischer Fingerabdruck der Bakterien erstellt. Dadurch kann man unter anderem feststellen, ob sie als besonders krankheitserregend bekannt sind - oder ob sie beispielsweise eher in Ställen oder Kliniken auftauchen.

Wurde auch Trinkwasser untersucht?

Der NDR hat im Rahmen seiner Recherche zu multiresistenten Keimen in der Umwelt kein Trinkwasser untersuchen lassen. Denn die Reporter waren der Frage nachgegangen, ob sich in Bächen, Flüssen und Badeseen solche Erreger finden lassen. Das Bundesgesundheitsministerium hat aber auf Nachfrage mitgeteilt, dass Infektionen mit antibiotika-resistenten Keimen durch Trinkwasser nach aktuellem Kenntnisstand unwahrscheinlich seien.
Nach den Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes und der Trinkwasserverordnung müsse Trinkwasser so beschaffen sein, dass sich niemand um seine Gesundheit sorgen müsse, heißt es weiter. Wo Oberflächenwasser zur Trinkwassergewinnung genutzt werde, sorgten verschiedene Methoden wie etwa Filtration und Desinfektion dafür, Erreger und Stoffe wirksam zurückzuhalten. Das Ministerium weist allerdings auch darauf hin: "Trinkwasser wird in Deutschland jedoch nicht routinemäßig auf antibiotikaresistente Keime untersucht."

Dieses Thema im Programm:

Panorama - die Reporter | 06.02.2018 | 21:15 Uhr

Mehr Nachrichten aus Niedersachsen

Menschen gehen durch eine Stadt. © picture alliance/dpa Foto: Sina Schuldt

Niedersachsen hat weniger Einwohner als gedacht - das hat Folgen

Das Land bekommt dadurch weniger Geld vom Bund. Außerdem muss Niedersachsen mit Rückzahlungen in Millionenhöhe rechnen. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?