Luxemburg erspart Firmen Milliarden Steuern
Luxemburg hat Hunderten Konzernen in geheimen Absprachen hohe Steuerabschläge zugesichert und so weltweit Steuerzahlungen in Milliardenhöhe verhindert. Das geht aus Unterlagen hervor, die der Norddeutsche Rundfunk zusammen mit internationalen Medienpartnern ausgewertet hat.
Zu den Firmen gehören börsennotierte Konzerne wie Pepsi, FedEx, Ikea, die Deutsche Bank, Amazon und Fresenius ebenso wie Mittelständler und Spezialfonds. Der Datensatz zeigt, dass über 340 Firmen die Vorteile der Steuerdeals nutzen. Zum Teil erreichen sie in Luxemburg eine effektive Steuerrate von weniger als einem Prozent - ganz legal, obwohl Luxemburg eine Unternehmensbesteuerung von nominell 30 Prozent hat.
Schäuble: "Es kann ja nicht sein, dass sich wenige auf Kosten vieler bereichern"
Unterdessen wächst die Kritik am Großherzogtum. In einer ersten Reaktion bemängelte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die fragwürdigen Steuerpraktiken der Konzerne. "Es kann ja nicht sein, dass sich wenige auf Kosten vieler bereichern", sagte er heute vor dem Bundestag. Dies gelte für Staaten wie Unternehmen sowie für kleine wie große, betonte er in einer Regierungserklärung. SPD-Finanzexperte Carsten Schneider forderte vom ehemaligen Luxemburger Premier- und Finanzminister und jetzigen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker umgehend eine Aufklärung. Der Finanzexperte der Grünen im Europaparlament, Sven Giegold, bezeichnete Junckers Glaubwürdigkeit als "beschädigt".
Die luxemburgische Regierung verteidigte die Steuerpraktiken im Großherzogtum und bezeichnete als rechtmäßig. "Luxemburg hält sich an nationale Gesetze und internationale Gesetze", sagte Regierungschef Xavier Bettel heute vor Journalisten im Großherzogtum.
Bis zu 50 Milliarden Euro verschoben
Entwickelt hat die Steuermodelle die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC). Berater setzten dabei komplizierte Strukturen auf: verschachtelte Firmen, die zum Teil über viele Ländergrenzen miteinander zusammenhängen. Danach wurden die Dokumente, die größtenteils den Jahren 2008 bis 2010 stammen, von der Luxemburger Finanzverwaltung abgesegnet. Die profitiert davon, trotz extrem niedriger Steuerraten: Die Unterlagen belegen, dass Firmen zum Teil gigantische Summen in den Kleinstaat verschoben haben, bis zu 50 Milliarden Euro.
Die Modelle zeigen detailliert, wie die Steuervermeidung funktioniert. Das Energieunternehmen E.ON etwa hat in Luxemburg eine Art firmeneigene Bank eingerichtet hat: eine Tochtergesellschaft, die hohe Summen an E.ON-Geschäftsteile in den USA oder Großbritannien verliehen hat. Diese zahlten das Geld zurück - plus Zinsen. So konnte E.ON in Luxemburg große Barreserven ansammeln, die durch einen Trick mit Verlustvorträgen nahezu komplett am Finanzamt vorbeiflossen. 2012 nahm die Luxemburger E.ON-Tocher rund 130 Millionen Euro ein - zahlte aber etwas weniger als 1.600 Euro Steuern. Eine ähnliche Struktur nutzt auch das DAX-Unternehmen Fresenius Medical Care, das nach eigenen Angaben so rund eine Million Euro Steuern pro Jahr spart - über eine Luxemburger Gesellschaft, deren Geschäftsadresse nicht einmal ein Klingelschild hat.
Amazon, Apple und Ikea sind auch dabei
Die meisten Steuersparer kommen aus den USA. Darunter: Softdrink-Hersteller Pepsi, Versandhändler Amazon, Apple-Tochter iTunes, Baumaschinen-Hersteller Caterpillar, Ketchup-Riese Heinz und das Konsumgüter-Imperium Procter & Gamble, in Deutschland vor allem durch Handelsmarken wie Gillette, Tempo oder Ariel bekannt. Alle Unternehmen nutzen die Vorteile des Landes. Der schwedische Möbelriese Ikea leitet Lizenzgebühren aus Läden in der ganzen Welt über die Niederlande nach Luxemburg und weiter in eine Stiftung in Liechtenstein - jedes Jahr Hunderte Millionen Euro, die in Luxemburg nahezu nicht besteuert werden.
Auch für Immobilien-Geschäfte bietet das Herzogtum passende Modelle an. Die Deutsche Bank hat in Luxemburg Immobilien-Fonds aufgelegt, bei denen kaum Steuern anfielen. Auch zahlreiche institutionelle Investoren nutzen das Land. Staatliche Rentenkassen aus Südkorea und Kanada haben so Hunderte Millionen Euro in Berliner Wohn- und Geschäftshäuser investiert. Auch die American International Group (AIG), einer der größten Versicherer der Welt, hat offenbar von den Steuervorteilen profitiert. Und das, obwohl es zu dem Zeitpunkt mehrheitlich dem US-Finanzministerium gehörte.
"Wie ein magisches Märchenland"
"Eine Gesellschaft in Luxemburg bietet eine Möglichkeit, Einkommen aus welchem Land auch immer abzuziehen", sagt Stephen E. Shay, Professor für Internationales Steuerrecht an der Harvard Law School und ehemaliger Mitarbeiter des US-Finanzministeriums. Laut Shay ist Luxemburg für Konzerne "wie ein magisches Märchenland". Die geheimen Absprachen sind in Luxemburg legal, könnten aber von den Steuerbehörden anderer Länder angegriffen werden, wenn sie dort als unrechtmäßig betrachtet werden. Experten schätzen, dass allein deutsche Finanzämter durch die Tricks der Steuerberatungen pro Jahr zwischen 20 und 30 Milliarden Euro Steuern entgehen.
Die Enthüllungen fallen in eine Phase, in der Luxemburg zunehmend unter politischen Druck gerät. Vor kurzem kündigte die Europäische Wettbewerbskommission umfangreiche Ermittlungen gegen das Land an: Individuelle Steuerregelungen, so der Vorwurf, kämen einer verbotenen Beihilfe gleich. Aufklären soll das nun ausgerechnet der Mann, der wie kein anderer für den Aufstieg Luxemburgs als internationaler Finanzstandort steht: Jean Claude Juncker, ehemaliger Luxemburger Premier- und Finanzminister und seit Anfang November Präsident der Europäischen Kommission. Er ist der Architekt hinter vielen der firmenfreundlichen Steuerregelungen im Herzogtum, ein ehemaliger deutscher Finanzminister nennt ihn in einem Hintergrundgespräch den "charmantesten Schutzpatron" der Steuervermeider. Juncker lehnte eine Stellungnahme trotz wiederholter Anfragen ab. Am Mittwoch sagte er auf einer Pressekonferenz: "Die Kommission macht ihre Arbeit. Ich werde da nicht eingreifen."
27.000 Seiten, über 80 Reporter, 26 Länder
Der NDR veröffentlicht jetzt gemeinsam mit dem WDR, der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) und dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) über 1.000 solcher Steuerabsprachen mit insgesamt mehr als 27.000 Seiten. In den vergangen sechs Monaten haben mehr als 80 Reporter aus 26 Ländern die Unterlagen ausgewertet, darunter der britische "Guardian", die französische Zeitung "Le Monde" und der US-Sender CNBC.
Gemeinsam mit dem ICIJ haben NDR, WDR und SZ alle Unternehmen mit den Vorwürfen konfrontiert. Bis auf wenige Ausnahmen wollten sich die Firmen nicht äußern. AIG bestreitet die Vorwürfe, Ikea und Amazon sagten, man habe keine Sonderbehandlung erhalten. Die Deutsche Bank und E.ON bestreiten, dass es sich um Steuersparmodelle handelt. Die Aktivitäten in Luxemburg hätten andere wirtschaftliche Hintergründe. Alle Unternehmen versicherten, sich an geltendes Recht zu halten. PwC lehnte eine Stellungnahme zu konkreten Firmen ab, betonte aber, sich stets an alle Gesetze zu halten. Die Dokumente seien "veraltet" und "gestohlen" und der Vorgang liege bereits bei der zuständigen Behörde. Über einige der Dokumente hat der französische Journalist Edouard Perrin für den Fernsehsender France 2 bereits 2012 berichtet.