Luxemburg: Die Oase der Steuervermeider
Die Anstrengung ist ihm ins Gesicht geschrieben. Hinter Jean-Claude Juncker liegen aufreibende Wochen voller Diskussionen um seine Person und seine Personalentscheidungen. Nun soll das Europäische Parlament ihm und der Kommission endlich den Segen geben. An diesem Tag Ende Oktober soll seiner Krönung als Kommissionspräsident, als erster Mann Europas, nichts mehr im Wege stehen. Es gibt Blumen und Applaus. Da weiß Juncker noch nicht, dass ein deutscher Reporter ihn wenig später mit einer einfachen Frage aus der Fassung bringen wird.
Steuergestaltung made in Luxemburg
Es geht um Junckers Heimatland Luxemburg, dessen Geschicke er als Premier und Finanzminister mehr als zwanzig Jahre lang geprägt hat. Das kleine Land im Herzen Europas hat offenbar über viele Jahre hinweg einigen der hundert größten globalen Unternehmen ermöglicht, Steuern im ganz großen Stil zu sparen.
Darunter Pepsi, Ikea, Amazon und der deutsche Energieriese E.on. Das belegt ein Datensatz, der in den vergangenen sechs Monaten von einem internationalen Journalistenteam, bestehend aus 84 Reportern in 26 Ländern, ausgewertet wurde - koordiniert vom International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). Die streng geheimen Unterlagen der Luxemburg-Leaks beschreiben auf 27.819 Seiten im Detail, auf welchen Wegen 343 Unternehmen Luxemburg zur Steuergestaltung nutzen.
Werbung mit "günstiger Steuerumgebung"
Das Grundprinzip der Konstruktionen scheint einfach: Multinationale Konzerne schieben Gewinne nach Luxemburg, wo sie weit weniger besteuert werden als in den Ländern, in denen die Konzerne ihren Hauptsitz haben und den Großteil ihrer Geschäfte machen.
In sogenannten "tax rulings", steuerlichen Vorbescheiden, lassen sich die Unternehmen ihre ausgefeilten Gestaltungen vorab von den Luxemburger Behörden absegnen. Aufbereitet wurden diese Rulings von der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers (PwC), die in ihren Broschüren mit der "günstigen Steuerumgebung" Luxemburgs wirbt: Luxemburgs "prime features" umfassten seine kleine Größe, den Umstand, dass Entscheidungsträger leicht zu erreichen seien, und grundsätzlich die "Offenheit der Behörden".
Der offizielle Unternehmenssteuersatz Luxemburgs liegt bei 29,22* Prozent, ähnlich hoch wie der deutsche von durchschnittlich 29,58 Prozent. Die Papiere offenbaren hingegen, mit welch absurden Tricks und Transaktionen der effektive Steuersatz oft bei nur wenigen oder gar nur einem halben Prozent endet. Mit dem Segen der Luxemburger Behörden.
Ermittlungen der EU-Kommission
Die Enthüllung der Luxemburger Steuer-Deals kommt für das Großherzogtum* und seinen langjährigen Premier zu einem Zeitpunkt, der unglücklicher kaum sein könnte. Jean-Claude Juncker ist erst seit wenigen Tagen EU-Kommissionspräsident. Seine Wahl war auch deshalb umstritten, weil die EU erst im Frühjahr Ermittlungen gegen Luxemburg eingeleitet hatte. Darin geht es um Steuer-Abmachungen mit Amazon und Fiat - Abmachungen, die den Rulings ähneln, wie sie den Journalisten des ICIJ nun hundertfach vorliegen.
Der Vorwurf: Unerlaubte Beihilfe an einzelne Unternehmen und damit Verstoß gegen EU-Wettbewerbsrecht. Über den Fall wird die die neue EU-Kommission entscheiden. Ihr Chef: Jean-Claude Juncker. Er war Premier und Finanzminister Luxemburgs, als Amazon den günstigen Steuerdeal bekam.
"Ermittelt jetzt Juncker gegen Juncker?"
An jenem Oktobertag also, am Rande der feierlichen Bestätigung der neuen Kommission. Die Pressekonferenz neigt sich dem Ende, als Reporter Christoph Lütgert endlich das Wort erteilt wird. Jean-Claude Junckers Mundwinkel rutschen sichtlich nach unten, als der Reporter seine Frage formuliert: "Diese Kommission hat Ermittlungen eingeleitet gegen das Steuerparadies Luxemburg. Ermittelt jetzt also Juncker gegen Juncker?" Die nun enthüllten Dokumente erlauben jedenfalls einen tiefen Einblick in das Räderwerk der Luxemburger Steuervermeidungs-AG.
*In einer früheren Version dieses Textes wurde der Steuersatz für Luxemburg mit 28,8 Prozent angegeben. Tatsächlich wurde er jedoch 2013 auf 29,22 Prozent angehoben. Außerdem wurde das Großherzogtum fälschlicherweise als "Fürstentum" bezeichnet. Nach einem User-Hinweis (siehe Kommentare) haben wir diese Angaben korrigiert. Wir entschuldigen uns und bedanken uns für den Hinweis.