Antibiotika-Forschung darf keine Pause machen
Immer mehr Pharma-Hersteller ziehen sich aus der Erforschung neuer Antibiotika zurück. Fast die Hälfte von etwa 100 Firmen, die 2016 eine gemeinsame Erklärung über mehr Anstrengungen im Kampf gegen Resistenzen vereinbart hatten, sind in diesem Bereich gar nicht mehr aktiv. Das haben NDR Reporter recherchiert. Im Kampf gegen Krebs und chronische Krankheiten lässt sich schlichtweg mehr Geld verdienen. Dabei werden neue Antibiotika benötigt, weil Bakterien zunehmen gegen ältere resistent werden.
Ein Kommentar von Christian Baars, NDR Ressort Investigation
Der Pharmaindustrie geht es derzeit ziemlich gut. Ein Unternehmen nach dem anderem erhöht seine Umsatzprognose. Im vergangenen Jahr machten die größten Konzerne zusammen mehr als 100 Milliarden Euro Gewinn - vor allem dank ihrer Medikamente gegen Krebs und chronische Erkrankungen. Gleichzeitig stellen immer mehr Pharmaunternehmen ihre Antibiotika-Forschung ein. Der Grund dafür sind offensichtlich finanzielle Erwägungen. Mit Antibiotika lässt sich kaum Geld verdienen.
Wirtschaftlich ist es also absolut verständlich, dass sich die großen Konzerne auf andere Bereiche konzentrieren. Antibiotika sind somit aber ein eklatantes Beispiel dafür, wie der Markt an einer ganz entscheidenden Stelle versagt. An lebenswichtigen Medikamenten wird nicht weiter geforscht, weil sie nicht lukrativ genug sind.
Neue Mittel gegen resistente Keime sind nicht in Sicht
Für uns alle ist das dramatisch. Ohne die Unterstützung und ohne die Finanzkraft von großen Firmen schaffen es auch kleine Unternehmen nicht, Antibiotika auf den Markt zu bringen. Denn die Entwicklung der Medikamente ist extrem aufwendig und teuer.
Gleichzeitig breiten sich resistente Keime zunehmend aus. Schon jetzt sterben jedes Jahr Hunderttausende Menschen weltweit, weil die vorhandenen Antibiotika bei ihnen nicht anschlagen. Und neue Mittel gegen die besonders problematischen Keime sind nicht in Sicht.
Gesamte moderne Medizin steht auf dem Spiel
Wenn jetzt nicht entschieden gehandelt wird - so warnen die Vereinten Nationen - werden zukünftige Generationen an den katastrophalen Folgen der Resistenzen leiden. Die gesamte moderne Medizin steht auf dem Spiel. Ohne wirksame Antibiotika sind viele Operationen, viele Krebstherapien oder auch die Behandlung von Frühgeborenen nicht mehr möglich. Viele Patienten würden an Infektionen sterben, etwa an einer Lungenentzündung oder an einer infizierten Wunde - so wie es früher war, als es noch keine Antibiotika gab.
Deshalb wäre es so wichtig, dass die Forschung weiter vorangetrieben wird - und zwar schnell. Denn die Entwicklung eines Medikaments dauert mindestens zehn bis 15 Jahre - und derzeit ist keine durchschlagende Erfindung in Sicht.
Globaler Fonds zur Antibiotika-Forschung wäre eine Möglichkeit
Allerdings kann man wohl kaum darauf setzen, dass die Industrie von sich aus das Problem löst, ohne dass sich die Rahmenbedingungen ändern. Zu verlockend sind die Profite mit anderen Medikamenten, zu schlecht sind die Gewinnaussichten bei Antibiotika.
Das heißt: Die Politik muss ran. Lösungsvorschläge gibt es: Etwa, dass ein globaler Fonds zur Antibiotika-Forschung geschaffen wird, in den alle Pharmakonzerne einzahlen müssen - und aus dem diejenigen Geld bekommen, die an neuen Antibiotika arbeiten.
Alternativ könnten auch einige Staaten sagen: Die Medikamente sind so wichtig für uns, für die gesamte Medizin, dass wir die Forschung in diesem Bereich komplett übernehmen, ähnlich wie bei der Trinkwasserversorgung.
Was allerdings nicht geht, ist weiter abzuwarten. Dafür ist die Lage jetzt schon viel zu ernst - und die Aussichten noch dramatischer.