Mitreden! Deutschland diskutiert

Volksdroge Alkohol: Hat Deutschland ein Promille-Problem?

Donnerstag, 19. September 2024, 20:15 bis 22:00 Uhr, NDR Info

Volksdroge Alkohol: Hat Deutschland ein Promille-Problem?

Sendung: Mitreden! Deutschland diskutiert | 19.09.2024 | 20:15 Uhr

Hörerinnen und Hörer haben bei Mitreden! mit Experten über Trinken und Feiern mit Alkohol diskutiert. Die Sendung als Video-Mitschnitt.

Alkohol ist in Deutschland allgegenwärtig, eine Feier ohne Bier oder Wein gibt es kaum. Wie viel Alkohol ist ok? Wo beginnt krankhaftes Trinken? Wie groß ist der Schaden - und ist es das wert? Das war unser Thema bei "Mitreden! Deutschland diskutiert".

Moderator Christian Orth begrüßte als Gäste:

Georg Schneider
Brauerei-Besitzer und Präsident des Bayerischen Brauerbundes

Florian Eyer
Leiter der Toxikologie am Uni-Klinikum der TU München

Siegfried Gift
Suchtberater bei Condrobs und Streetworker in München

AUDIO: Das war Mitreden! - Volksdroge Alkohol (4 Min)

EU-Bewohner trinken weltweit am meisten

Alkohol ist keine Lösung - chemisch betrachtet - sondern eine Emulsion. Kein Bier vor vier. Hopfen und Malz, Gott erhalt‘s. Bier auf Wein, das lass sein. Und so weiter. Sprüche gibt es einige, rund um der deutschen liebstes Rauschmittel: den Alkohol. Mit 10,6 Litern reinem Alkohol jährlich (Stand 2019) trinken die Deutschen (ab 15 Jahren) viel davon. Im Vergleich der EU-Länder sind wir oberer Durchschnitt - und die weltweiten Trinkercharts wiederum führt die EU deutlich an, mit 9,2 Litern reinem Alkohol pro Kopf und Jahr. Die Balten sind führend mit mehr als 11 Litern - die Schweden (7,1 Liter), Griechen (6,3 Liter) aber auch Italiener (7,7 Liter) trinken unterdurchschnittlich. Dass der Konsum in Deutschland so populär ist, wundert nicht.

Als Droge ist Alkohol akzeptiert und fast allgegenwärtig: Trotz Aufklärung und Skepsis haben heute immer noch 96 Prozent der jungen Erwachsenen (bis 25 Jahre) schon einmal Alkohol getrunken. Jeder Dritte war im vergangenen Monat mindestens einmal blau. Und: Alkohol wird auf Bier- und Weinfesten regelrecht gefeiert - zum Beispiel von Millionen Gästen ab Samstag auf dem Münchener Oktoberfest.

Frohsinn in Krügen, Flaschen, Dosen

Alkohol lässt uns mehr tanzen im Club oder auf der Bierbank und macht redselig bei Partys. Das liegt am Dopamin. Beim Konsum geringer Mengen Alkohol, also ein zwei Bier oder Gläser Wein, wird dieser Botenstoff ausgeschüttet. Dopamin führt zu Vorfreude und Tatendrank - einem Hochgefühl. Wir fühlen uns beschwingt und gut. Bis vor kurzem hieß es sogar noch, Alkohol in Maßen sei sogar gesund: die Stoffe aus Traubenschalen im Rotwein gut gegen Alzheimer? Ein wenig Alkohol bei Menschen über 50 Jahren stärke Gefäße und Herz. Aber das ist passé: Alkohol ist ein Zellgift. Von der Weltgesundheitsorganisation ist der Stoff klassifiziert als krebserregend, in der Gruppe 1. Also auf einer Stufe mit Tabak, Asbest und radioaktiver Strahlung. Alkohol befördert Krebserkrankungen in Mund, Rachen, Speiseröhre, Dickdarm sowie Brustkrebs.

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Fast acht Millionen Menschen in Deutschland trinken bedenklich viel

Die Schäden durch Alkohol sind offensichtlich und bei dem deutschen Dauerkonsum zahlreich: Rund 40.000 Menschen im Jahr in Deutschland sterben früher als sie müssten, wegen Alkohol. Fast acht Millionen Menschen hierzulande trinken bedenklich viel, zeigt das aktuelle Jahrbuch Sucht. Bedenklich beginnt bei Männern bei einem halben Liter Bier am Tag, bei Frauen schon bei einem guten Viertelliter Bier täglich. Das ist bezogen auf die Suchtgefahr - ungesund ist auch weniger. Den wirtschaftlichen Schaden beziffert die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen auf 57 Milliarden Euro im Jahr - mehr als 16 Milliarden Euro davon entfallen auf unser Gesundheitssystem. Auch Gewalt ist ein Problem. Bei jedem vierten Gewaltverbrechen ist Alkohol im Spiel. Macht ein wenig Alkohol lustig, macht viel davon aggressiv, die Hemmschwelle sinkt.

Gen-Z-Jugendliche trinken weniger Alkohol als ihre Vorgänger

Aber womöglich ändert sich etwas: Die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) will das sogenannte begleitete Trinken, also dass Eltern ihren Kindern ab 14 Jahren Bier und Wein vorsetzen dürfen, in Kürze abschaffen. Auch Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) zieht da mit und sagt, begleitetes Trinken widerspreche der Suchtprävention. Bedenken kommen aber aus Rheinland-Pfalz: Familienministerin Katharina Binz von den Grünen findet, es müsse geprüft werden, ob das Jugendschutzgesetz insgesamt noch zeitgemäß sei - und ob man "ausgerechnet bei der Frage über das begleitete Trinken anfangen muss".

Komasaufen geht zurück

Bei jungen Menschen geht der Trend langsam, aber stetig weg vom Alkohol: Das Rauschtrinken, früher auch Komasaufen genannt, also der Konsum von fünf Drinks oder mehr bei einem Anlass, wird seit 20 Jahren von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung abgefragt und sinkt. Die Zahl der Alkoholvergiftungen, die im Krankenhaus endeten, lag 2022 zum ersten Mal unter 11.000, zehn Jahre vorher waren es doppelt so viele. 2021 tranken nur noch neun Prozent der Minderjährigen wöchentlich Alkohol, im Jahr 2004 waren noch 20 Prozent. Auch in der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen ging der Anteil derer, die wöchentlich mindestens einmal Alkohol trinken von 44 Prozent im Jahr 2004 auf 32 Prozent im Jahr 2021 zurück.

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