Mitreden! Deutschland diskutiert
Montag, 18. November 2024, 20:15 bis
22:00 Uhr, NDR Info
"Mitreden!": Machen statt Meckern - Zeit für Parteieintritt?
Hörerinnen und Hörer haben bei Mitreden! mit Experten über einen Trend in der politischen Teilhabe diskutiert. Die Sendung als Video-Mitschnitt.
Ampel kaputt und nun herrscht Politikfrust? Offenbar ist das Gegenteil der Fall: Die Zahl der Menschen, die einen Antrag auf eine Parteimitgliedschaft stellen, steigt in jüngster Zeit - das haben die Parteien bei unseren Anfragen im Vorfeld der Sendung bestätigt. Doch warum entscheiden sich Menschen für eine Partei - oder auch nicht? Was erwarten sie von den Parteien und warum sind mehr Männer als Frauen politisch aktiv? Darüber haben wir mit Ihnen diskutiert.
Moderator Christoph Kober begrüßte als Gäste:
Dr. Helga Lukoschat
Senior Advisor EAF, Europäische Akademie für Frauen in der Politik und Wirtschaft
Luca Piwodda
jüngster Bürgermeister in Brandenburg und Gründer der Partei "Freiparlamentarische Allianz"
Wolfgang Schröder
Politikwissenschaftler,Universität Kassel
Amelie Ernst
landespolitische Korrespondentin des RBB in Brandenburg
CDU, SPD und FDP verloren jahrelang viele Mitglieder
"Genereller Negativtrend", so formulierte es der renommierte Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer in seinem jährlichen Bericht zur Parteienmitgliedschaft. Seit 1990 werden Parteimitgliedschaften erfasst, Niedermayer bereitet die Zahlen auf und veröffentlicht sie jährlich in den Arbeitsheften aus dem Otto-Stammer-Zentrum an der FU Berlin. In den letzten 13 Jahren haben CDU, SPD und FDP rund die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Aber es geht auch anders, das beweisen die Grünen. Sie konnten in den zurückliegenden Jahren besonders viele Mitglieder gewinnen - wie auch die AfD. Das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist noch nicht erfasst, peilt aber im ersten Jahr 1.000 Mitglieder an. Doch das ist nicht alles: Zur letzten Bundestagswahl waren 54 Parteien zugelassen und es gibt noch mehr Parteien im Land. Soweit die Statistik. Und dann kam der 6. November 2024 - die Ampel-Koalition zerbrach. Nun stellen offenbar noch mehr Menschen Mitgliedsanträge bei Parteien.
Trend zu Parteieintritten
So schreibt die SPD auf Anfrage von rbb24 Inforadio: "Seit dem 6. November sind über 2.000 Mitglieder online neu in die SPD eingetreten." Wie viele Menschen auf analogem Wege ein- oder ausgetreten sind, stehe allerdings erst zum Jahresende fest. Auch die Grünen freuen sich und schreiben: "Seit Mittwoch sind mehr als 5.500 Menschen in unsere Partei eingetreten - ein neuer Rekord." Und die CDU hat auf Bundesebene seit dem 6. November 1.000 neue Anträge gezählt. Genauere Zahlen soll es später geben. Andere Parteien bestätigen, dass großes Interesse bestehen würde. Parteienforscher und -forscherinnen wundert das erstmal nicht: Sie sehen immer vor Wahlen ein gestiegenes Interesse an Parteien. Dann würden die Mitgliedszahlen rasch nach oben schnellen - und anschließend wieder sinken.
Zeitaufwand für Parteiarbeit hält Frauen offenbar ab
Offenbar stellt sich schnell eine Ernüchterung ein und offenbar braucht Parteiarbeit Zeit. Und dieser Zeitfaktor scheint vor allem Frauen davon abzuhalten, in die Politik zu gehen. Lediglich rund 35 Prozent der Abgeordneten im Bundestag sind Frauen. Den größten Frauenanteil gibt es bei den Grünen mit 59 Prozent, den geringsten hat die AfD mit elf Prozent. In der Kommunalpolitik ist der Unterschied noch größer, nur jede zehnte Stadt in Deutschland hat eine Bürgermeisterin.
Junger Bürgermeister will locker Politikinteresse wecken
Unbeirrt von Zahlen und Trends hat Luca Piwodda seinen eigenen Weg gewählt. "Politik ist für mich genau das Richtige" sagt der 24-Jährige von sich. Nach einem Praktikum bei dem SPD-Bundestagsabgeordneten seiner Heimatregion, Stefan Zierke, hat er vor acht Jahren mit neun jungen Leuten die "Freiparlamentarische Allianz" gegründet (FPA). Die Partei hat es fast in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern geschafft. Doch Luca Piwodda ging zurück in seine Heimatstadt nach Gartz (Oder). Dort ist er jetzt ehrenamtlicher Bürgermeister und das jüngste Mitglied im Kreistag Uckermark. Mit der Kulturallianz organisiert er viele Veranstaltungen in dem Ort und hat dafür einen Grund: "Wir erschließen den vorpolitischen Raum, weil die wenigsten Leute Interesse an Parteien oder Politik haben. Aber sie kriegen vielleicht Lust, wenn sie merken, dass hier vor Ort etwas passiert."