Wie die Inflation die Tierwohl-Pläne gefährdet
Durch stark gestiegene Preise schauen die Verbraucherinnen und Verbraucher auch bei den Lebensmitteln wieder deutlich mehr auf den Preis. Macht die Inflation damit auch die Tierwohlbestrebungen zunichte? Ein Expertengespräch mit Astrid Kühn aus der NDR Info Wirtschaftsredaktion.
Ist mehr Tierwohl angesichts der aktuell stark gestiegenen Preise überhaupt noch umsetzbar?
Astrid Kühn: Eigentlich ist die Frage, wie viel Geld die Verbraucherinnen und Verbraucher für Nahrungsmittel und für tierische Produkte ausgeben können oder wollen. Und das ist ja bereits seit vielen Jahren ein Thema. Im internationalen Vergleich geben Deutsche wenig Geld für Lebensmittel aus, das ist nicht erst seit der Energiekrise der Fall. Dennoch sind die Deutschen beim Thema Massentierhaltung kritischer geworden und haben gerade in der Corona-Krise mehr Geld ausgegeben und haben auch mehr Bio-Fleisch gekauft. Wir sprechen dabei jedoch trotzdem nur von einem Anteil am Gesamtmarkt von vielleicht maximal rund vier Prozent. Nun ist der Preisdruck wieder stärker vorhanden, wodurch sich das Ganze dreht: Die Verbraucher sparen, der Handel will allzu hohe Preissteigerungen vermeiden. Das Grundproblem bleibt also bestehen: Alle hätten irgendwie gern mehr Tierwohl, aber kaum jemand ist nachhaltig bereit, dafür zu zahlen.
Was bedeutet das für die Landwirte – haben sie sich darauf bereits eingestellt?
Kühn: Gerade die Schweinehalter sind in der Dauerkrise - das sehen wir auch an den Zahlen: In Deutschland gibt es aktuell so wenig Schweine wie seit 25 Jahren nicht mehr, die Zahl der Betriebe hat sich in den vergangenen zehn Jahren halbiert. Begründet ist dies unter anderem durch die sinkende Nachfrage und den enormen Preisdruck.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat zuletzt ein staatliches Tierhaltungssiegel auf den Weg gebracht. Wie passt das mit den Befürchtungen der Landwirte zusammen?
Kühn: Die Haltungskennzeichnung - also dass man im Laden auf den ersten Blick sieht, ob es sich um Fleisch aus der Stallhaltung oder Bio-Fleisch handelt - ist schon länger im Gespräch. Die Chancen, dass der Gesetzentwurf von Cem Özdemir umgesetzt wird, stehen relativ gut. Allerdings ist sein Vorschlag bereits viel kritisiert worden, unter anderem, weil erstmal nur frisches Schweinefleisch gekennzeichnet werden soll. Es betrifft also nur die Mast, nicht die Ferkelaufzucht. Hinzu kommt, dass frisches Schweinefleisch nur einen geringer Anteil an der Gesamtverarbeitung ausmacht: Wurst muss zum Beispiel erstmal nicht gekennzeichnet werden. Deswegen schrecken die Landwirte davor zurück, Ställe im großen Stil und mit viel Geld umzubauen. Özdemir will zwar andere Bereiche mit einbinden und strebt auch eine Herkunftskennzeichnung an, aber der Glaube, dass das schnell realisiert werden kann, ist in der Branche gerade nicht vorhanden.
Das Geld ist also nach wie vor der entscheidende Faktor?
Kühn: Ja genau - und damit verbunden die Investitionssicherheit. Dabei geht es um einen substanziellen Umbau, vergleichbar mit Umbrüchen wie der Energiewende, an der auch die Verbraucher über die EEG-Umlage den Umstieg auf erneuerbare Energien bezahlt haben. Was so etwas in puncto Tierhaltung kosten würde, hat das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, die sogenannte Borchert-Kommission - bereits vor drei Jahren ausgerechnet: Es sind rund drei bis fünf Milliarden Euro jährlich. Zur Finanzierung hat die Kommission ebenfalls bereits Vorschläge gemacht: So könnte es zum Beispiel eine Abgabe pro gekauftem Kilo Fleisch geben. 70 Cent Mehrkosten pro Woche wären das für eine Durchschnittsfamilie. Angefasst hat dieses Konzept noch keiner richtig. Die vorherige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hat sich damit nicht befasst, ihr Nachfolger Özdemir versucht sich eher an eigenen Plänen - und geht dabei scheibchenweise vor, wie Kritiker sagen.
Das Gespräch führte Stefan Schlag.